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DOI: 10.1055/s-2005-915321
Transkranielle Magnetstimulation: Neue Perspektiven in diagnostischer, grundlagenorientierter und therapeutischer Anwendung
Transcranial Magnetic Stimulation: New Perspectives in Diagnostic, Basic and Therapeutic ApplicationsPublikationsverlauf
Publikationsdatum:
08. Dezember 2005 (online)
Dieses Sonderheft ist neuen Perspektiven der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) in diagnostischer, grundlagenorientierter und therapeutischer Anwendung gewidmet. Die TMS hat sich seit ihrer Einführung 1985 [1], in erster Linie zur nicht-invasiven und schmerzfreien Stimulation der motorischen Hirnrinde und der hiermit möglichen Beurteilung der Integrität des kortikospinalen Traktes, fulminant weiterentwickelt. Eine Reihe neuer Anwendungsgebiete wurde erschlossen, und ein Ende dieser dynamischen Entwicklung ist nicht abzusehen.
In diesem Sonderheft werden die wichtigsten neuen Anwendungsfelder in sechs Übersichtsartikeln beispielhaft hervorgehoben. Der Artikel von Jung u. Ziemann beschäftigt sich mit der diagnostischen Wertigkeit von motorisch evozierten Potenzialen (MEP) bei Patienten mit multipler Sklerose. Obwohl die TMS bei den derzeit international üblichen diagnostischen Kriterien der multiplen Sklerose keine Rolle spielt, zeigt diese Arbeit, dass MEP im Vergleich zu magnetresonanztomographischen Daten einen stärkeren korrelativen und prädiktiven Zusammenhang mit klinisch-motorischen Funktionsausfällen in transversalen und longitudinalen Studien haben und sich daher besser als Surrogatmarker progredienter klinisch-motorischer Defizite eignen. Der Artikel von Mohammadi, Krampfl u. Bufler gibt einen Überblick über die mittlerweile verfügbare Vielfältigkeit von TMS-Protokollen, die über konventionelle Messungen der zentralmotorischen Leitungszeit hinausgehend eingesetzt werden, um die Erregbarkeit der motorischen Hirnrinde, in diesem Fall bei Patienten mit amyotropher Lateralsklerose quantitativ zu erfassen. Hierzu gehören insbesondere Doppelreizprotokolle und die kortikale Silent Period, mit denen verschiedene GABAerge und glutamaterge, also hemmende und erregende Netzwerke der motorischen Hirnrinde untersucht werden können. Ferner wird mit der Tripel-Stimulations-Technik (TST) eine neue Methode vorgestellt, mit der viel sensitiver als bisher mit der Einzelpulsmethode möglich, axonale Schädigungen des kortikospinalen Traktes nachgewiesen und quantifiziert werden können. Hierdurch kann bei fehlenden klinischen Zeichen einer Affektion des ersten motorischen Neurons die Diagnose einer amyotrophen Lateralsklerose unterstützt werden. Der Artikel von Flöel, Breitenstein u. Knecht befasst sich mit der kombinierten Anwendung von TMS und funktionell bildgebenden Methoden, insbesondere der Magnetresonanztomographie (MRT) und zeigt eindrucksvoll, dass der multimodalen Kombination von klinisch-neurophysiologischen Methoden die Zukunft gehört, da hierdurch Informationen gewonnen werden können, die mit den Einzelverfahren nicht erhältlich sind. TMS kann auf mittels funktioneller MRT gemessener Aktivierungsareale gerichtet werden und die funktionelle Relevanz dieser Aktivierungen untersuchen: Konnatal blinde Personen aktivieren im funktionellen MRT bei Verbgenerierungsaufgaben im Gegensatz zu Normalsichtigen die Sehrinde. Diese Aktivierung ist funktionell relevant, da Blinde während TMS der Sehrinde eine erhöhte Fehlerrate bei der Verbgenerierungsaufgabe zeigen. Umgekehrt kann funktionelle MRT wiederum die Änderung von Netzwerkaktivierungen messen, die nach repetitiver TMS (RTMS) hervorgerufen werden. Hierdurch können neuronale Konnektivität zwischen Hirnarealen und durch RTMS ausgelöste Netzwerkplastizität untersucht werden. Der Artikel von Sommer u. Paulus geht auf die Bedeutung der Impulsform und Stromflussrichtung bei TMS-Messwerten und der durch RTMS erzeugten Änderung der Erregbarkeit der stimulierten Hirnrinde ein. Es wird deutlich, dass lang anhaltende Änderungen kortikaler Erregbarkeit besser durch monophasische als durch biphasische Impulse erzeugt werden können, und dass sich die Richtung von Erregbarkeitsänderungen durch Umkehr der Stromflussrichtung modifizieren und in einigen Situationen sogar umkehren lässt. Die physiologischen Grundlagen dieser Phänomene sind noch weitgehend ungeklärt, die Daten zeigen aber, dass die weitere Beforschung der physiologischen Grundlagen der Aktivierung der Hirnrinde durch TMS eine wichtige Aufgabe bleibt, um Messprotokolle und Reizeffekte bezüglich ihrer Selektivität und Wirkung zu optimieren. Der Artikel von Claßen u. Mitarb. bewegt sich noch eine Stufe weiter im Grenzgebiet zwischen Grundlagenforschung und potenzieller klinischer Applikation, indem verschiedene Reizprotokolle, insbesondere die assoziative Paarstimulation, besprochen werden, mit denen der Langzeitpotenzierung und Langzeitdepression ähnliche lang anhaltende Änderungen kortikaler Erregbarkeit induziert werden können. Interferenzstudien zeigen, dass diese Erregbarkeitsänderungen bei motorischen Lernprozessen grundlegend beteiligt sind. Der Artikel von Pötter, Peller u. Siebner schließlich gibt einen Überblick über die derzeitigen therapeutischen Einsatzmöglichkeiten und Grenzen von RTMS. Dies wird anhand von drei Erkrankungen, Morbus Parkinson, chronischen Schmerzen und Tinnitus, beispielhaft herausgearbeitet, indem die pathophysiologischen Konzepte dieser Erkrankungen und die daraus abgeleiteten therapeutischen RTMS-Protokolle (Senkung kortikaler Überregbarkeit durch niederfrequente RTMS, Steigerung kortikaler Untererregbarkeit durch hochfrequente RTMS) besprochen werden. Die bisher erzielten therapeutischen Effekte sind allerdings meistens nur kurz anhaltend, mäßig ausgeprägt und interindividuell variabel. Deshalb muss die RTMS derzeit als experimentelles Therapieverfahren ohne evidenzbasierten Wirksamkeitsnachweis eingestuft werden, das noch keinen festen Platz im therapeutischen Arsenal des Neurologen einnimmt.
Fazit: TMS und RTMS sind wichtige Methoden der klinischen Neurophysiologie, die sich in den letzten Jahren ein breites Feld diagnostischer, grundlagenorientierter und potenziell therapeutischer Anwendungen erschlossen haben, das immer weiterwächst und auch in den nächsten Jahren auf eine dynamische und zukunftsorientierte Entwicklung hoffen lässt. Hiervon geben die Übersichtsartikel dieses TMS-Sonderheftes bereits eine gute Vorahnung.
Literatur
- 1 Barker A T, Jalinous R, Freeston I L. Non-invasive magnetic stimulation of human motor cortex (letter). Lancet. 1985; 1 (8437) 1106-1107
Prof. Dr. med. Ulf Ziemann
Klinik für Neurologie · J.-W.-Goethe-Universität Frankfurt
Schleusenweg 2 - 16
60528 Frankfurt am Main
eMail: u.ziemann@em.uni-frankfurt.de