Der Nuklearmediziner 2005; 28(4): 195-196
DOI: 10.1055/s-2005-918200
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

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EditorialD. Moka1
  • 1RADIONUK, Gemeinschaftspraxis für Radiologie und Nuklearmedizin, Essen
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Publication Date:
02 January 2006 (online)

Die Nuklearmedizin gehört in der breiten Patientenversorgung neben Diagnostik und Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen leider zu den Randgebieten, die allzu häufig nur dann beschritten werden, wenn den behandelnden Kollegen nichts mehr einfällt. Überzeugende interdisziplinäre Zusammenarbeit im Interesse des Patienten ist in Deutschland aus unterschiedlichen berufspolitischen und ökonomischen Interessen der Kostenträger und Arztgruppen eher eine Seltenheit, ein Paradebeispiel ist hierfür die denkwürdige Hängepartie bei der Einführung und Vergütung der PET-Diagnostik.

Betrachtet man jedoch unser Fachgebiet im internationalen Vergleich, so stellen wir weltweit großes Interesse der Ärzte und verantwortlichen Kostenträger fest an den vielfältigen Möglichkeiten der Nuklearmedizin zum frühest möglichen Nachweis von funktionellen Störungen bei vielen Krankheiten als einem wegweisenden und zukunftsträchtigen Werkzeug in der bildgebenden Diagnostik und nachfolgenden Therapie.

Die in diesem Heft beschriebenen Grundlagen der Strahlenbiologie, das Ausmaß der natürlichen und artifiziellen Strahlenexposition und deren Dosimetrie sowie ein vernünftiger, angemessener Strahlenschutz, das sind die elementaren Basiskenntnisse bzw. -fähigkeiten eines jeden Nuklearmediziners.

Denn die „Strahlenangst” ist besonders in Deutschland ein weit verbreitetes Phänomen, dem wir nur durch kluge Aufklärung und überzeugend gelebten Strahlenschutz begegnen können. Uns als Praktiker, die wir täglich mit Strahlenexposition umgehen, mögen die Auflagen des Strahlenschutzes in Deutschland gelegentlich überzogen erscheinen, dennoch sind gerade dieser Strahlenschutz und die resultierende Begrenzung des unkritischen Einsatzes von Radioaktivität in der Medizin die entscheidenden Punkte, die die Eigenständigkeit unseres Fachgebietes und damit den Erhalt eines Facharztes für Nuklearmedizin sichern. Die kürzlich erfolgreich zurückgewiesene Reduktion der (Muster-) Richtzahlen in der (Muster-) Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer belegt diese Zusammenhänge äußerst eindrücklich.

Betrachtet man die Entwicklung anderer bildgebender Verfahren (z. B. Angiographie, Sonographie, Kernspintomographie), die ursprünglich einem Fachgebiet zugeordnet waren und sich dann zu medizinischem „Allgemeingut” entwickelt haben, so können wir uns durchaus glücklich schätzen, dass der hohe Kompetenzbedarf in nuklearmedizinischer Weiter- und Fortbildung und im Strahlenschutz dafür sorgt, dass szintigraphische Verfahren und Therapien mit Radioisotopen weiterhin in legitimierten Händen verbleiben.

Wir müssen unser Fach daher in Deutschland insbesondere im politischen Umfeld immer im Bewusstsein des Besonderen halten und offensiv vertreten können, und dazu benötigen wir insbesondere exzellente Kenntnisse der Grundlagen unseres Fachgebietes - allzu häufig im klinischen Alltag untergehend.

Ungeachtet weit verbreiteter Meinung sind energiereiche Strahlung und daran angepasste lebende Organismen elementare Bestandteile dieser Erde und mit einiger Wahrscheinlichkeit eine der Haupttriebfedern der Evolution. Im Laufe der Entwicklung hat homo sapiens nämlich nicht nur gelernt, sich der natürlichen Strahlung anzupassen, sondern er verdankt dieser wahrscheinlich auch seine entscheidenden Qualitätsmerkmale. Trotzdem ist die Begrenzung der zivilisatorischen Strahlenbelastung für unsere Gesellschaft eine wichtige Aufgabe, der sich verantwortungsbewusste Ärzte und Wissenschaftler stellen müssen.

Wie überall in der Medizin gilt auch beim Arbeiten mit Radionukliden der alte Lehrsatz:

Alle Ding' sind Gift und nichts ohn' Gift,
allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.

Oft wird die Aussage leicht verzerrt zitiert als „Nur die Dosis macht das Gift” (lat. Sola dosis facit venenum; Theophrast von Hohenheim, genannt Paracelsus).

Daraus abgeleitet gilt der Grundsatz der Optimierung:

Alle Strahlenexpositionen müssen so niedrig wie vernünftigerweise möglich gehalten werden (ALARA Prinzip: As Low As Reasonably Achievable).

Überzeugende offensive und verantwortungsbewusste Nutzen-Risiko-Betrachtungen müssen deshalb dringend neben den viel zu dominanten Kosten-Nutzen-Analysen die Akzeptanz unseres Fachgebietes verstärken. Das Verständnis für Strahlenexposition, Strahlenbiologie und Strahlenschutz ist daher dringend zu fördern, leider mangelt es häufig an Unterstützung und allgemeinem Interesse an dieser Arbeit. Jeder von uns kann leicht überprüfen, wie viele Vorträge und Weiterbildung es zu diesem Themengebiet auf nationalen Kongressen gibt.

Um sicher beurteilen zu können, inwieweit Strahlenexposition tatsächlich ein relevantes Risiko für den Menschen darstellt, sind weitere, auch aufwendigere experimentelle und epidemiologische Studien erforderlich. Dies betrifft nicht nur die Auswirkungen von energiereicher Strahlung aus künstlicher Radioaktivität oder andere medizinische Strahlenexpositionen, sondern auch andere ionisierende Strahlung (z. B. Höhenstrahlung bei Flugreisen, Auswirkungen von Atomkraftwerken, Strahlenexposition bei Weltraummissionen). Leider ist strahlenbiologische Forschung aus unterschiedlichen Gründen heute in Deutschland nicht sehr ‚en vogue’, in Zeiten knapper Geldmittel vielleicht verständlich, langfristig jedoch äußerst kurzsichtig gedacht.

Langfristig werden im internationalen Umfeld die Kenntnisse und Forschungsergebnisse zur Strahlenbiologie, zur Strahlenexposition und zum Strahlenschutz wieder durchgreifend an Bedeutung gewinnen. Dies betrifft nicht nur die von der US-amerikanischen Regierung (zumindest im Wahlkampf) so favorisierte Marsmission, sondern leider vielleicht ganz kurzfristig und direkt aktuelle Bedrohungen durch Terrorismus, verrottende Atom-U-Boote in der Behringsee, zunehmende Verbreitung von Atommaterial in Drittländern.

Dieses Themenheft soll allen interessierten Kollegen(innen) diese Kenntnisse - vielleicht manchmal aus einem etwas anderen Blickwinkel - wieder näher bringen. Es möchte aber auch Interesse wecken und Mut machen. Exzellente Kenntnisse auf diesem Gebiet werden immer ihren Stellenwert haben, wenn nicht immer in unserem Land der derzeit begrenzten Einsicht, so doch im „Rest der Welt” mit großer Sicherheit.

In diesem Sinne danke ich allen Autoren für ihre Bereitschaft und ihren Einsatz, ein komplexes Gebiet zu bearbeiten und übersichtlich darzustellen.

PD Dr. D. Moka

RADIONUK, Gemeinschaftspraxis für Radiologie und Nuklearmedizin

Henricistr. 40

45136 Essen

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