Z Sex Forsch 2005; 18(4 ): 332-351
DOI: 10.1055/s-2005-918201
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

„ … als Conträrsexual und als Päderast verleumdet …” - Der Prozess um den Naturforscher Theodor Beer (1866-1919) im Jahre 1905

Florian Mildenberger1
  • 1Institut für Geschichte der Medizin, München
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Publication Date:
02 January 2006 (online)

Übersicht:

Der Prozess gegen den Naturforscher und Physiologen Theodor Beer (1866-1919), den der Autor historisch nachzeichnet, war ein herausragendes, aber zugleich auch repräsentatives Beispiel für die Zerstörung wissenschaftlicher Karrieren durch Rufmordkampagnen. Beer wurde beschuldigt, sich an zwei Knaben sexuell vergangen zu haben, wobei die Beweislage schwach war. Gleichwohl wurde er verurteilt und aus dem wissenschaftlichen Diskurs verbannt. Die Urteilsfindung und die soziale Ausgrenzung oblagen genau denjenigen Eliten des späten Habsburgerreiches, die Beer zuvor öffentlich attackiert hatte. Von seinen akademischen Weggefährten fand niemand den Mut, sich öffentlich für ihn zu verwenden. Der Vorwurf der Pädophilie genügte, um Theodor Beer zu isolieren.

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1 Zwar hatte Uexküll bereits während seines Studiums an der Universität Dorpat erste Zweifel an der Richtigkeit der Darwin'schen Lehre gehegt ([56] S. 36), die mit dem Darwinismus verbundenen mechanistischen Denkansätze hingegen hinterfragte er zu dieser Zeit noch nicht.

2 In sämtlichen Zitaten wurde die Originalschreibweise beibehalten.

3 Salvatore Lo Bianco, italienischer Zoologe, war viele Jahre an der Zoologischen Station Neapel als Mitarbeiter tätig. Herbert Linden war der Sekretär des Stationsleiters Anton Dohrn und erledigte die Korrespondenz mit den in Neapel arbeitenden Forschern.

Dr. phil. F. Mildenberger

Institut für Geschichte der Medizin

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80336 München

Email: florian.mildenberger@lrz.uni-muenchen.de