Aktuelle Dermatologie 2005; 31(12): 573-575
DOI: 10.1055/s-2005-921068
Kleine Kulturgeschichte der Haut
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Sklerodermien in Sage und Gegenwart

Dermatosclerosis in Fables and the Here and NowE.  G.  Jung
Further Information

Publication History

Publication Date:
22 December 2005 (online)

Die Sklerodermie (Abb. [1 a] u. [b]) fasziniert die Menschen seit jeher und stellt etwas Besonderes, Mythisches dar. Verhärtung und Verdickung der Haut als „Panzerhaut” ist Ausdruck von Unverletzlichkeit und gleichzeitig Abgeschlossenheit. Ersteres wurde in der Antike mit Unsterblichkeit gleichgesetzt, was allein den Göttern vorbehalten blieb, und auch die Abgrenzung zur Umwelt ist eine Eigenschaft der Götter. Das Bild der Sklerodermie mit Anspielung auf „Göttlichkeit” bleibt unvollständig, wird es doch in der Mythologie mit einer kleinen aber wesentlichen Einschränkung versehen. Eine kleine Stelle bleibt von der Härtung ausgespart, bleibt verletzlich und, die Sage will es so, wird zur Eintrittsstelle der feindlichen Waffe beim tödlichen Stoss. Hier an der „undichten Stelle” bricht auch die Hülle auf, worauf die „Lebensgeister” entweichen [1] [2].

Abb. 1 a Generalisierte Sklerodermie mit straffer Haut.

Abb. 1 b Sklerodermie der Hände, Panzerhaut und gleichzeitig Handschuhartige Einmauerung.

In den alten Sagen erscheinen zwei herausragende Helden, die beide eine unverwundbare Haut trugen, welche sie durch ein spezielles Verfahren erwarben. Beide hatten aber eine einzige Stelle, die verwundbar blieb und die ihnen im jungen Heldenleben schon zum Verhängnis wurden. Im griechischen Sagenkreis war dies Achilles, der Pelide, und im germanischen war es Siegfried von Xanten. So unterschiedlich die Geschichten sind, so ist beiden eine harte und feste, eben unverwundbare Haut eigen, die in manchen Aspekten an eine generalisierte Sklerodermie denken lassen.

Achilles, Sohn des Peleus und der Nereide Thetis wurde vom heilkundigen Kentauern Chiron erzogen. Seine Mutter Thetis wollte den jungen Helden unverwundbar machen und härtete seine Haut, indem sie ihn abwechselnd nachts über das Feuer hielt und tags im Wasser des Styx abkühlte. Dies geschah in Analogie zum Härten des Stahles in der Schmitte bei der Herstellung hochwertiger Schwerter. Die Härtung gelang bis auf eine kleine Stelle, bis auf die kleine Stelle an der Ferse, eben der Achillesferse, da wo ihn die Mutter festhielt bei der Prozedur.

Im trojanischen Krieg war Achilles der herausragend Held auf griechischer Seite. Die Achillesferse wurde ihm schließlich zum Verhängnis, als der vergiftete Pfeil von Paris, gelenkt vom Gott Apollon, ihn ebendort tödlich verletzte.

Siegfried von Xanten, Leuchtfigur der Nibelungensage, war der Sohn aus einer Geschwisterehe. Er wurde vom Schmied Mime aufgezogen und erschlug den Drachen Fafnir. Beim Bade in dessen Blut „härtete” sich seine Haut und wurde unverwundbar, bis auf eine kleine Stelle am Rücken, die von einem Lindenblatt abgedeckt war. Diese verwundbar gebliebene Stelle wurde ihm zum Verhängnis, als Hagen von Tronier auf der Jagd den wehrlosen Siegfried von hinten mit dem Speer durchbohrte. Der Tronnier kannte durch Krimhilde’s Indiskretion die einzige verletzliche Stelle.

Es wurde spekuliert, dass Siegfried an einer erblichen oder erworbenen Hautkrankheit gelitten habe, die der Haut panzerartige Eigenschaften verleiht und „Unverletzlichkeit” brächte. So ist vorgeschlagen worden, es habe sich um eine X-chromosomal rezessive Ichthyosis gehandelt, die wegen der Geschwisterehe manifest geworden sei. Ein Exempel zur Verbot von Ehen naher Verwandter wurde daraus abgeleitet. Doch diese Ichthyosis trägt eine stinkende, raue und schuppende Haut wie „Borstenvieh” und ist leicht verletzlich. Diese Eigenschaften passen nicht zur Lichtgestalt des Helden und Lieblings der Frauen seines Kulturkreises. Diese Hypothese gehört verworfen.

Eine etwas besser passende Deutung unterstellt Siegfried eine erworbene diffuse Sklerodermie, die keine Erbkrankheit darstellt, sondern eine erworbene „Kollagenose”. Sie beginnt zunächst mit einer flächigen Verhärtung und Verdickung der Haut, die straff aufsitzt, und einen glänzenden Aspekt vermittelt. Solches entspricht dem, was in der Sage als der „Hörnen Siegfried” mit „vester hute” benannt ist. Diese Haut riecht nicht und sie ist deutlich fester gegenüber Verletzungen. Allerdings handelt es sich um eine zunehmend konsumierende Systemkrankheit mit autoimmuner Pathogenese, die zu Schwäche und Zerfall führt. Aber Siegfried hat womöglich diese Stadien wegen des frühen Todes nicht erlebt. Diese Hypothese, dass sich in der Siegfriedsage eine generalisierte Sklerodermie verstecken könnte, ist glaubwürdiger als die anderen Deutungen.

Siegfried und Achilles gelten als groß gewachsene, besonders starke und erfolgreiche Heldenfiguren, die wohlgestaltet, sieggewohnt, angesehen und deshalb bei den Damen begehrt waren. Die feste und harte Sklerodermiehaut passt zur Mähr der Unverwundbarkeit. Allerdings ist diese Haut das Leitsymptom der zehrenden Autoimmunerkrankung „Sklerodermie”. Und von Schwäche oder anderen Zeichen dieser Systemkrankheit wird in den Sagen nichts berichtet. Aber eben, beide Helden sind früh, beide infolge von Intrige, durch einen Speer Siegfried, und durch einen vergifteten Pfeil Achilles, ausgerechnet an ihrer einzigen verwundbaren Stelle getötet worden. Beide haben sie die Beschwernisse der konsumierenden Krankheit nicht mehr erleben können oder erdulden müssen.

Fazit: Auch heldenhafte Menschen mit beinahe göttlichen Attributen versehen, sind verletzlich und sterblich. Das bringt uns das Bild der Sklerodermie in der Sage nahe.

Im Gegensatz dazu oder gleichsam als Komplement zur Antike, hat in der Gegenwart des 20. Jahrhunderts das Schicksal des weltbekannten Malers und Graphikers Paul Klee (1879 - 1940) die Menschen und die Fachleute, Kunsthistoriker [3] [4] und Mediziner [5], beschäftigt. Er ist 1935 an einer progressiven Sklerodermie erkrankt, in seinem 56. Lebensjahr also, und hat in den verbleibenden 5 Jahren mit derselben und dem begleitenden Systembefall zunehmend Beschwerden erlitten. Organbeschwerden kamen hinzu und endlich ist er am an einer „Myokarditis” (Entzündung des Herzmuskels) verstorben. Retrospektiv legt die Analyse der Befunde wohl eine Mischkollagenose zwischen Sklerodermie und Lupus erythematosus nahe, also eine „Mixed connective tissue disease” oder ein „Overlap syndrom” [5].

Mit Beginn der Erkrankung fiel er in eine Schaffenskrise, um dann in seinen letzten Jahren nochmals eine schöpferische Phase mit einer Fülle von künstlerischen Produktionen zu schaffen. Im Jahre 1940 hat er die eigene Sklerodermie in einer Strichzeichnung „Ecce” festgehalten (Abb. [2]), und dabei seine eigene Einstellung dazu ausgedrückt. Hannelore Mittag [2] hat es uns jedenfalls in dieser Weise ausgelegt. Klee blieb gefangen in seiner „Panzerhaut”.

Abb. 2 Zeichnung „Ecce” von Paul Klee 1940, als Selbstbildnis mit der straffen Einmauerung des Gesichtes durch die Panzerhaut vorgestellt [2].

Literatur

  • 1 Benthien C. Haut, Literaturgeschichte-Körperbilder-Grenzdiskurse. Rowohlts Enzyklopädie. 2. Aufl. Reinbek; 2001
  • 2 Mittag H. Die Haut im medizinischen und kulturgeschichtlichen Kontext. Marburg; Völker & Ritter 2001
  • 3 LeRoy E C, Silver R M. Paul Klee and Scleroderma.  Bull Rheum Dis. 1006;  45 4-6
  • 4 Wolf G. Endure!: how Paul Klee’s illness influenced his art.  Lancet. ;  1, 353 (9163) 15516-15518
  • 5 Castenholz G. Der Maler Paul Klee (1879 - 1940) und seine Krankheit: von der schwierigen Diagnosestellung einer Mischkollagenose.  Schw Ärztezeitung. 2005;  86 645-647

Prof. Dr. Ernst G. Jung

Maulbeerweg 20 · 69120 Heidelberg

    >