Senologie - Zeitschrift für Mammadiagnostik und -therapie 2005; 2(1): 10-11
DOI: 10.1055/s-2005-951634
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Kritik im Umgang mit Statistiken bei Brustkrebs

A. Hettenbach
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
12. September 2006 (online)

 

Die Kassenärztliche Vereinigung Nord-Württemberg (KV NW) mahnt einen verantwortungsvollen Umgang mit Brustkrebs-Statistiken an. Anlass sind die von Prof. Fritz Jänicke anlässlich der Europäischen Brustkrebskonferenz in Hamburg in Umlauf gebrachten Zahlen, die für Deutschland eine Sterblichkeitsrate von 37% der an Brustkrebs erkrankten Frauen nahe legen. "Die medizinische Versorgung wird bewusst schlecht geredet. Wer solche Statistiken verbreitet, handelt interessengeleitet und verunsichert die Betroffenen", so Dr. Werner Baumgärtner, Vorsitzender des Vorstandes der KV NW.

Jänicke argumentiert, dass die Sterblichkeitsrate durch Brustkrebs in Deutschland deutlich höher als in anderen europäischen Ländern liegt. Er stützt sich dabei auf die Daten aus der Studie "Globocan 2000". Jährlich erkranken demnach 51 000 Frauen an Brustkrebs, 19 000 sterben pro Jahr an dieser Krankheit. Die KV NW warnt davor, diese beiden Zahlen unzulässigerweise in Korrelation zueinander zu setzen und so eine Sterblichkeit von 37% der erkrankten Patientinnen zu errechnen. "Das ist verantwortungslos gegenüber den betroffenen Frauen", sagte Baumgärtner.

Bei den 51 000 Neuerkrankungen und den 19 000 Gestorbenen handelt es sich um zwei unterschiedliche Patientengruppen mit nur geringen Überschneidungen. Aussagen über die Sterblichkeit lassen sich daraus nicht schlussfolgern. Die Zahlen sagen auch nichts über die medizinische Versorgungsqualität aus. Während die Zahl der Neuerkrankungen den aktuellen Diagnosestand widerspiegelt, dokumentiert die Zahl der Gestorbenen den Effekt der durchgeführten medizinischen Behandlungen, die nicht selten sehr lange zurückliegen können. Die Globocan-Daten reflektieren also nicht die Effektivität aktueller Therapien."

Eine anhand der Globocan-Systematik erstellte Statistik bildet die Auswirkungen der Einführung eines flächendeckenden Mammographie-Screenings falsch ab. Durch das Screening ist damit zu rechnen, dass sich zunächst die Zahl der erfassten Neuerkrankungen erhöhen wird, während die Zahl der Gestorbenen pro Jahr wahrscheinlich keine Veränderung erfährt. In der Folge entsteht eine irreführende Statistik, die ein schlagartiges Absinken der Sterblichkeit nahelegt. Ein paradoxes Ergebnis liefert auch eine langfristige Beobachtung der Statistik: Die Zahl der erfassten Neuerkrankungen geht nämlich wieder zurück, die Zahl der Todesfälle bleibt aber konstant. Die Statistik würde also einen Wiederanstieg der Mortalität trotz des Screening-Programms ausweisen. Zur Beurteilung der Qualität der medizinischen Versorgung von Brustkrebs-Patientinnen in Deutschland können die Globocan-Daten also nicht herangezogen werden.

Aussagen zur Sterblichkeit werden in der wissenschaftlichen Literatur üblicherweise anhand von altersbereinigten Statistiken getroffen, die sich auf eine Grundgesamtheit von 100 000 Personen beziehen - also beispielsweise der Anteil an Brustkrebs gestorbener Patientinnen unter 100 000 Frauen, oder der Anteil an Brustkrebs Gestorbener unter 100 000 Todesfällen. Derartige Statistiken liefern OECD, WHO und andere Institutionen. Aus der OECD-Statistik ist beispielsweise ersichtlich, dass die Sterblichkeit durch Brustkrebs in Deutschland niedriger ist als in Großbritannien oder den Niederlanden und auf dem selben Niveau wie in Frankreich liegt. Bezogen auf 100 000 Todesfälle ermittelt die OECD als Todesursache Brustkrebs für Deutschland 25,9 Fälle, Großbritannien 28,9 und die Niederlande 33,3. Diese im Jahr 2002 veröffentlichten Angaben stützen sich auf den Zeitraum von 1995 bis 1999. Beachtenswert ist, dass sich in Deutschland in diesem Zeitraum die Zahl der Brustkrebstoten je 100 000 Todesfälle von 28,7 auf 25,9 reduziert hat - ein Rückgang um 9,8%.

Zuverlässige statistische Aussagen über die Brustkrebs-Behandlung in Deutschland sind wichtiger denn je, da die Auswirkungen von Disease-Management-Programmen (DMP), flächendeckendem Mammographie-Screening und neuen Therapien erfasst werden müssen. Wenn nicht mit harten Zahlen gerechnet wird, sind die Statistiken sinnlos.

Zudem ist eine verantwortungsvolle Aufklärung der Patienten über das Für und Wider von Früherkennungsuntersuchungen der Brust dringend notwendig, da das flächendeckende Mammographie-Screening nicht zwangsläufig zu besseren Behandlungsergebnissen des Brustkrebs führen wird. Die Tatsache, dass gerade die Altersgruppe der 40- bis 50-Jährigen, die eine deutlich erhöhte Mortalität an Brustkrebs aufweist, vom Screening ausgeschlossen ist, stimmt bedenklich. Ebenso ist nicht nachvollziehbar, warum moderne, nicht-belastende Diagnoseverfahren, wie die Sonographie, nicht als Basisuntersuchung beim Screening auf Brusterkrankungen Berücksichtigung finden.

Viele gesunde Frauen werden durch die Mammographie einer unnötigen Strahlenbelastung ausgesetzt. Die Strahlenkommission hat festgestellt, dass das relative Risiko, durch ionisierende Strahlen eine Brustkrebserkrankung zu induzieren, bei älteren Frauen deutlich geringer als bei jungen Frauen ausfällt. Man geht von einer Steigerung des Erkrankungsrisikos durch die Mammographien in der vorgesehenen Altersgruppe um 0,1% aus. Und nur für diese Gruppe kommt die Strahlenschutzkommission auch zum Schluss, dass der zu erwartende Nutzen des Screening-Programms das geringe Risiko der Strahlenexposition überwiegt. Aber gerade für die jüngeren Frauen wäre ein schlüssiges Screening-Konzept von großem Nutzen.

Studien zur Mammographie im Ausland zeigen, dass die Mammographie-Früherkennung zwar Leben rettet, in nicht unerheblichem Maße aber auch zu Gesundheitsschädigungen bei gesunden Patienten führt. Länder wie die Schweiz lehnen aus diesen Gründen ein flächendeckendes Screening ab. Als Fazit leitet sich daraus herab, dass die Patientin mit ihrem Arzt sprechen und dann den für sich vernünftigsten Weg wählen muss.

Prof. A. Hettenbach

Abt. für Gynäkologie Klinik am Eichert, Göppingen

eMail: Albrecht.Hettenbach@kae.de