Der Nuklearmediziner 2006; 29(1): 3-4
DOI: 10.1055/s-2006-921379
Radiosynoviorthese

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Eminenzbasierte Medizin und Radiosynoviorthese

Eminence Based Medicine and RadiosynovectomyJ. Mahlstedt1
  • 1Gemeinschaftspraxis Radiologie/Nuklearmedizin, Essen
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Publication Date:
02 March 2006 (online)

Der Umgang mit Energieträgern wie Feuer, Wasserkraft, Dynamit, Strahlung etc. ist in den Gesellschaften dieser Welt sehr unterschiedlich, sicherlich auch geprägt vom gewachsenen Wissen um die Risiken der jeweiligen Techniken, aber in den Grundzügen von Traditionen, Ängsten und damit von Glaubensbekenntnissen mit z. T. fast religiösem Charakter. Die Bewältigung von Ängsten ist dem aufgeklärten Bürger mit Interesse für die naturwissenschaftlichen, beweisbaren Hintergründe vielfach möglich, jedoch erfolgt die nachhaltige Stabilisierung des Sicherheitsgefühls und damit auch des Selbstbewusstseins durch Vertrauen in ein übergeordnetes System von Obrigkeiten (Eminenzen).

Jede Gesellschaft wird daher in unterschiedlicher Weise von Eminenzen und deren mehr oder minder ausgeprägten Klugheit und Weisheit geprägt. Je besser die Eminenzen die Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen verstehen, umso länger werden sie akzeptiert und umso weniger wird ihr Wirken kritisch hinterfragt.

Das gilt für die ärztliche Tätigkeit in gleicher Weise. Bei der Versorgung des erkrankten Menschen musste der Arzt in zurückliegenden Jahrhunderten mit sehr wenig gesicherten Kenntnissen der ursächlichen Zusammenhänge von Erkrankungen arbeiten und dem Patienten in seinem Leid Trost, Linderung und Hilfe geben. Auch heute wird der Anteil der evidenzgesicherten Medizin allenfalls auf 30 % geschätzt, so dass der Hauptteil ärztlicher Tätigkeit immer noch im Bereich der ungesicherten Kenntnis eminenzbasiert bewältigt werden muss. Diese ärztliche Arbeit ist schwierig und erfordert viel Erfahrung, Hingabe, Intuition und das Eingeständnis der grundlegenden Unvollkommenheit. Gute Ärzte finden nach langen Jahren ihrer Tätigkeit diesen Weg, und sie werden dafür von dankbaren Patienten geschätzt; ihre Worte und Ratschläge werden geglaubt und vermitteln neue Lebensqualität trotz objektiv ungünstigster Befunde im Sinne der reinen Stadieneinteilung.

Unsere Gesellschaft hat jedoch in ihrem Anspruch, alles erfassen, erklären und bewältigen zu können, nichts im Unklaren zu lassen, offensichtlich den gesetzgeberischen Gedanken dergestalt vollendet, dass der Patient im Sozialen Gesetzbuch V nur noch eine medizinische Versorgung vorfindet (§ 70.1) und die Verpflichtung, auf humanitäre Vorgehensweise hinzuwirken (§ 70.2). Der Arzt wird in diesem Gesetzeswerk mit keinem Wort erwähnt, seine besondere Rolle und Aufgabe wird folglich auch nicht mehr im gebotenen Umfang gesucht und gewürdigt.

Die Betreuung kranker Menschen in unserer Gesellschaft erfolgt zum größten Teil willkürlich eminenzbasiert durch die Entscheidung und Gestaltungen eminenter Strukturen (z. B. KBV, Bundesärztekammer, Bundesministerium für Gesundheit und Soziales, dominante Krankenkassen, Spitzenverbände von Krankenkassen, MDK, Gemeinsamer Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen etc.) und einzelner Persönlichkeiten. Auch der evidenzbasierte Teil der medizinischen Versorgung unterliegt der Willkür der Eminenzen, insbesondere dann, wenn die Evidenz einer Methode nicht in die Pläne der Eminenzen passt. Unerwünschte Innovationen werden dann konsequent in jahrelanger Ausschussarbeit den Ansprüchen der Evidenz unterzogen. Dies ist besonders wirkungsvoll in Kombination mit formaljuristischen Vorgaben, die die wissenschaftliche Bearbeitung der Evidenz nachhaltig verhindern können.

Die Nuklearmedizin steht traditionell nicht in der Gunst der Eminenzen, ist aber in ihrem grundlegenden Ansatz so stark, dass sie sich nicht nihilieren ließ. So ist der Siegeszug der Positronenemissionstomographie (PET) in anderen Kulturnationen dieser Welt, insbesondere als PET/CT, den Eminenzen zunehmend unangenehm, zumal wirtschaftlich weitaus schwächere Nationen wie z. B. Polen diese Medizintechnologie in der Breite einführen und damit in der Versorgung ihrer östlichen Nachbarstaaten erkennbare Vorteile bieten können.

Die Entwicklung der Radiosynoviorthese (RSO) in Deutschland ist in gleicher Weise eminenzgeprägt. Die RSO hat sich in den gesicherten Indikationen inzwischen breit bewährt und wird von den klinischen Fachgebieten Orthopädie und Rheumatologie akzeptiert. Der Umfang der Behandlungen ist heute mit ca. 60 000/a ähnlich wie der der Radioiodtherapie.

Der Siegeszug der RSO führte aber leider zu Beginn in der ambulanten Durchführung zu unerwartet hohen Behandlungsfrequenzen in Zusammenhang mit aufwendigen Diagnoseverfahren, so dass vereinzelt Fachgruppenbudgets überschritten wurden. Die sicherlich berechtigten Budgetkorrekturen haben jedoch bei einigen Eminenzen ein derart ausgeprägtes Negativimage der RSO bewirkt, dass nun mit missionarischem Eifer keine Maßnahme zur Schwächung dieser Methode unterlassen wird. In den vorbereitenden Sitzungen zur Erarbeitung des neuen EBM wurde vom BDN eindrücklich der Gesamtaufwand der RSO mit den Verpflichtungen der Strahlenschutzverordnung vorgetragen, und doch beschlossen die Eminenzen eine Vergütung, die mit den Ansprüchen eines EBM einfach nicht vereinbar sind. Vorübergehend stand sogar eine Überführung der RSO in das Kapitel der nur unter stationären Bedingungen durchzuführenden Methoden zur Diskussion, diese Entwicklung konnte jedoch verhindert werden.

Die sorgfältige Erarbeitung einer Resolution im Rahmen einer BDN-Sondertagung 2005 zur Bewertung der RSO wurde der KBV zugestellt, die zuständigen Institutionen haben jedoch noch nicht einmal den Eingang der Schreiben bestätigt. In einer späteren Diskussionsrunde im Rahmen der Jahrestagung des Berufsverbandes Deutscher Labormediziner e. V. im Oktober 2005 in Berlin, in der auf diese unangemessene Vorgehensweise hingewiesen wurde, wurde auf den Personalnotstand bei der Vielzahl von Vorgängen verwiesen, und die bisherige RSO-Bewertung wurde als Beschluss der KBV auf höchster Ebene explizit bestätigt.

Die gesetzlichen Kostenträger (AOK-Verband) sind grundsätzlich vom Wert und der Bedeutung der RSO überzeugt und haben ihrerseits Informationen zur Angemessenheit der RSO-Bewertung eingeholt, eine wesentliche Aufweichung der Negativhaltung der Phalanx der Eminenzen ist jedoch noch nicht zu erkennen.

Prof. Dr. Jörg Mahlstedt

Gemeinschaftspraxis Radiologie/Nuklearmedizin

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