Zentralbl Chir 2006; 131(2): 93-94
DOI: 10.1055/s-2006-921530
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Theo Becker - ein Wegbereiter der Chirurgie in der ehemaligen DDR

Theo Becker - Surgical Pioneer in the Former German Democratic RepublicE. Markgraf
Further Information

Publication History

Publication Date:
13 April 2006 (online)

Der Chirurg Professor Theo Becker, der am 24.1.2006 90 Jahre alt geworden wäre, gehörte zu den herausragenden Repräsentanten der Medizin der DDR.

Heinz Theodor Becker wurde am 24.1.1916 in Dortmund/Hörde geboren. Nach Erlangung der Reife am vereinigten Dom-Kloster-Gymnasium in Magdeburg begann er 1937 mit dem Medizinstudium in Berlin, welches er in Hamburg und Leipzig fortsetzte und mit dem Staatsexamen 1943 in Berlin beendete. Im gleichen Jahr wurde er approbiert und promoviert. Während des Krieges war er Hilfs- und Truppenarzt. 1945 wurde er in Jugoslawien durch einen Bauchschuss schwer verletzt. Seine chirurgische Aus- und Weiterbildung erfolgte am Gustav-Ricker-Krankenhaus in Magdeburg und in der Chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses Bernburg. Danach war er wissenschaftlicher Assistent am Institut für gerichtliche Medizin und Kriminalistik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. 1952 begann seine Tätigkeit in der Chirurgischen Klinik und Poliklinik der Karl-Marx-Universität in Leipzig. 1956 hat sich Theo Becker, inzwischen Facharzt für Chirurgie und Urologie, habilitiert und wurde zum Dozenten ernannt. 1960 wurde er an die Medizinische Akademie Erfurt berufen; 1961 erfolgte der Ruf auf den Lehrstuhl für Chirugie und die Ernennung zum Direktor der Chirurgischen Klinik und Poliklinik der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Hier beerbte er außergewöhnliche Ordinarien, wie Erich Lexer (1867-1937), der von 1911-1919 in Jena wirkte, Nicolai Guleke (1878-1985), der das Ordinariat mit Unterbrechungen als Militärarzt von 1919-1951 inne hatte sowie Heinrich Kuntzen (1893-1977), der von 1951-1961 die Chirurgie der Jenenser Universität leitete. Sein Amt übergab Theo Becker 1981 an seinen Schüler Hans Schröder (1929-1997), der der Klinik bis 1994 vorstand.

Der 45-jährige Theo Becker, jüngster Ordinarius für Chirurgie der DDR, hat seine Berufung nach Jena im Jahr 1961 mit einem totalen Anspruch auf eine maximale Entfaltung der Chirurgie angetreten. Das betraf die fachliche Profilierung, die erstrangige Positionierung der Lehre, die systematische Forschung und die umfassende, mit dem Einsatz der Gesamtpersönlichkeit zu gestaltende Betreuung der Patienten.

Mit Theo Becker begann eine Bauphase in der Klinik, die fast seine gesamte Amtsperiode anhielt. Vordergründig ließ er die Saalstationen, die bis zu 30 Patienten beherbergten, in Krankenzimmer mit zwei bis vier Betten umbauen und eine chirurgische Wachstation, ein klinisches Labor und eine Blutbank errichten. Der gesamte organisatorische Klinikablauf wurde systematisiert.

Theo Becker hat 1961 als erster Ordinarius der DDR eine präklinische Versorgung mit einer Rettungswagenpräsenz und ärztlichem Notdienst organisiert und etabliert.

Für Theo Becker war die Ausbildung der Studenten, aber auch des Pflegepersonals eine hervorragende Aufgabe.

Die gute Zusammenarbeit mit Chirurgen der territorialen Kliniken und Polikliniken zeugte von dem Integrationsbedürfnis und der hohen Kollegialität des Lehrstuhlinhabers. Nie wurden Rat und Hilfe suchende Kollegen von ihm abgewiesen.

Er hat der Thüringischen Gesellschaft für Chirurgie wesentlich Gestalt vermittelt und war über Jahre deren Vorsitzender.

1979 war Theo Becker Präsident der Gesellschaft für Chirurgie der DDR und hat den Jahreskongress in Berlin mit der den politischen Umständen entsprechend möglichen Beteiligung internationaler Experten unter stabsmäßiger Integration seiner Klinikmannschaft mit großem Erfolg gestaltet.

Sehr früh hat er die Bedeutung der Spezialisierung in der Chirurgie erkannt. Er gewährte die zunehmende fachliche Selbständigkeit, allerdings unter strenger Beachtung der Integration in die Gesamtchirurgie. So wurden die Unfallchirurgie, die Thorax- und Gefäßchirurgie, die Kinderchirurgie und die Neurochirurgie auf eigene Beine entlassen; die Urologie wurde nach Positionierungskämpfen selbständig.

In seiner außerordentlich erfolgreichen Tätigkeit in Jena beschäftigte sich Theo Becker unter anderem mit Themen der Allgemeinen Chirurgie, der Traumatologie, der Onkologie und der Chirugie des höheren Lebensalters. Trotz der vorliegenden Beschränkung des Zugangs zu Fachzeitschriften veröffentlichte er über 300 Einzel- und Gemeinschaftspublikationen und hat über 400 Vorträge im In- und Ausland gehalten. 1956 erschien die erste Auflage seines „Kurzgefassten Operationskurses”. Es folgten 5 weitere Auflagen, die letzte 1989. 1966 veröffentlichte er das Buch „Krebs und Unfall”. 1967 erschien Theo Beckers „Grundriss der allgemeinen Unfallchirurgie”, dem 1968 und 1973 zwei Bände mit dem Titel: „Grundriss der speziellen Unfallchirurgie” folgten. Der völlig überarbeitete „Grundriss der speziellen Unfallchirurgie” wurde 1986 von Theo Becker und Eberhard Markgraf im J. A. Barth-Verlag Leipzig herausgegeben und erschien, was damals eine Ausnahme war, auch als Lizenzausgabe des Thieme-Verlags. 1998 kam eine weitere Auflage des Grundrisses heraus. Ein umfassendes Werk mit dem Titel „Klinische Röntgendiagnostik” wurde von 1981 bis 1987 in drei Bänden von Eberhard Baudisch und Theo Becker herausgegeben.

Theo Becker gehörte verschiedenen Wissenschaftlichen Gesellschaften an und war u. a. einige Jahre im Herausgeberbeirat des Zentralblattes für Chirurgie.

Unter dem Ordinariat von Theo Becker haben sich 32 Persönlichkeiten habilitiert.

Viele Schüler Beckers haben herausragende fachliche oder berufspolitische Leistungen erbracht. Es seien neben den an anderer Stelle erwähnten Personen stellvertretend und alphabetisch genannt: Gisela Adam, J. Gessner, G. Hartmann, G. Langer, H. Schramm, B. Schyra, H. Schickedanz, Ingeborg Schimmel, F. Schulz, K. Winnefeld und P. Zinner. Die Auflistung ließe sich beliebig fortsetzen.

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands haben mehrere seiner Schüler exponierte Aufgaben übernommen. E. Markgraf war 1996 Präsident der Deutsachen Gesellschaft für Unfallchirurgie, M. Bartel 1996 Kongresspräsident der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie, N. Presselt 2001 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Thoraxchirurgie. H. Rupprecht ist bis heute im Präsidium der Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen (BDC) tätig.

Theo Becker hat mit seinem Ordinariat in Jena eine „Chirurgen-Schule” etabliert. Sie offenbarte sich in der Weiterführung seiner vorgelebten ärztlichen Kunst und der Fortsetzung und dem Ausbau von Prinzipien, die er geprägt hat, durch seine Schüler.

Er hat sich auch immer zu der Schule bekannt, die ihn geformt hat. Das war erstrangig der Einfluss seines Lehrers Herbert Übermuth (1901-1986), einem Schüler Erwin Payers (1871-1946) und die gelebte Kollegialität und Freundschaft mit anderen Erben dieser Schule. Diese waren, soweit ich mich erinnere, A. Gläser, W. Kothe, F. Meißner, J. Reichmann, O. Scholz, W. Tischer, W. Wehner und H. Wolff. Zahlreiche weitere Persönlichkeiten müssen dabei unerwähnt bleiben.

Theo Becker war eine großartiger, hochgebildeter, gerechter, aber nicht immer einfacher Chef. Schon durch seine körperliche Größe, seine kräftige Statur, sein gelegentlich raumforderndes Verhalten und seine laute und deutliche Stimme veranlasste er manche Mitarbeiter, ihm eher auszuweichen als zu begegnen. Selbst die aber wussten, dass mit seinem Dasein Ordnung, Disziplin und Erfolgsgarantie für unsere Patienten verbunden waren. Diejenigen, die ihn gut kannten, konnten bald seinen warmherzigen und freundschaftssuchenden Charakter erfahren.

Seine Schule war geprägt durch sein absolutes Vorbild an Pünktlichkeit, Disziplin, Einsatzbereitschaft und uneingeschränktem Einsatz für die Patienten.

Theo Becker gehörte nie einer Partei an. Sein aufrichtiger Charakter und seine nonkonformistische Haltung wären mit politischer Kollaboration nicht vereinbar gewesen. Entscheidend war für ihn das Wohl und Gedeihen seiner Klinik, seiner Patienten und seiner Mitarbeiter. Gemessen an dieser Zielstellung war er bereit, förderliche Kontakte zu politischen Institutionen und deren Repräsentanten zu unterhalten.

Seine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen, Freunde, Schüler und Patienten erinnern sich voller Dankbarkeit an Theo Becker, der am 10.7. 1991 verstorben ist und gedenken seiner anlässlich seines 90. Geburtstages.

Ich danke seiner Ehefrau und Witwe Helga Becker für interne Informationen und die Mitteilung, dass ihre 4 Kinder ihnen bisher 13 Enkel und 6 Urenkel geschenkt haben.

Ebenso danke ich seinem Sohn, Prof. Heinz Becker, Ordinarius für Allgemeine und viszerale Chirurgie in Göttingen, für freundschaftliche Hinweise.

Univ.-Prof. Dr. med. E. Markgraf

Em. Direktor der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie · Klinikum der FSU

Erlanger Allee 101

07747 Jena

Email: emarkgraf@aol.com