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DOI: 10.1055/s-2006-924370
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Thrombophiliediagnostik
Unter besonderer Berücksichtigung der Frauenheilkunde und GeburtshilfePublication History
Publication Date:
18 August 2006 (online)
Grundlagen
Definition der Thrombophilie
Von einer Thrombophilie spricht man dann, wenn eine Neigung zur Bildung einer Thrombose besteht (Hyperkoagulabilität
Die Hyperkoagulabilität der Thrombophilie kann angeboren oder erworben sein. |
Übersicht über die Hämostase
Im Folgenden soll der Fokus nicht auf die detaillierte Darstellung der einzelnen, in die komplexen Abläufe der Hämostase involvierten, pro- und antikoagulatorisch wirkenden Faktoren gerichtet sein. Die Schritte der Hämostase sind daher in Abb. [1] dargestellt und sollen dem Leser das Verständnis des folgenden Textes erleichtern.
Abb. 1 Ablauf der Gerinnungskaskade. Das „a“ hinter einem Gerinnungsfaktor bedeutet, dass dieser „aktiviert“ ist. „ai“ beschreibt die Inaktivierung eines aktivierten Faktors. „+“ und „-“ beschreiben die aktivierende bzw. hemmende Wirkung von Prothrombin auf verschiedene vorgeschaltete Schritte der Gerinnungskaskade.Die initiale Reaktion der Hämostase ist der Kontakt von Thrombozyten (Blutplättchen) mit dem Endothel. Über Liganden adhärieren die Thrombozyten mit den subendothelialen Strukturen. Wesentlich ist die dann nach neuesten Erkenntnissen vorwiegend auf der Oberfläche der Thrombozyten ablaufende Initiierung der plasmatischen Gerinnungsreaktion. Durch den Formwandel der Blutplättchen wird die Reaktionsoberfläche vergrößert, dennoch aber lokal pointiert. Es folgt die Aggregation der Thrombozyten miteinander, die Einbindung von Leukozyten und Erythrozyten, sowie die sich anschließende Umwandlung von Fibrinogen zu Fibrin. Der Defekt im Endothel wird hierdurch verschlossen. Beim Gesunden wird dieser Prozess auf den erforderlichen räumlichen Rahmen begrenzt, die Gerinnung anschließend durch die Auflösung des Blutpfropfes fortgesetzt und so die Hämostase auf die Erfordernisse in vivo begrenzt. Bei einer Thrombophilie liegt eine Störung dieses tagtäglich ablaufenden physiologischen Prozesses vor.
Epidemiologie
Grundsätzlich kann man mit einer Thrombose oder Embolie bei gesunden jungen Männern oder bei nicht schwangeren Frauen in einer Frequenz von 1 : 4000 bis 1 : 12 000 pro Jahr rechnen. In der Gesamtbevölkerung, mit oder ohne Risikofaktoren, liegt die Inzidenz
Die Gesamtinzidenz der Thrombophilie liegt bei 1 : 100 - 200. |
Relevante, abklärungsbedürftige Punkte im Rahmen einer Thrombophilie sind:
-
aktivierte Protein-C‐Resistenz (APC‐Resistenz; dabei liegt in 80 % der Fälle eine Faktor-V‐Leiden-Mutation zu Grunde)
-
Prothrombin-Polymorphismus (G20210A)
-
Protein-C‐Mangel
-
Protein-S‐Mangel
-
Antithrombinmangel
-
Faktor-VIII‐Erhöhung
-
Antiphospholipid-Syndrom.
Daneben existieren andere Faktoren, die einen bisher nicht gesicherten Stellenwert haben wie Polymorphismen im Plasminogen-Aktivator-Inhibitor-1 (PAI-1) und ein Faktor-XII-Mangel.
Tab. [1] gibt die Wahrscheinlichkeit wieder, mit der die o. g. thrombophilen Veränderungen in der Allgemeinbevölkerung bzw. bei Thrombosepatienten gefunden werden können. Aus der Tabelle wird deutlich, dass aufgrund ihrer Häufigkeit vor allem die APC‐Resistenz
Die APC‐Resistenz hat eine erhebliche Relevanz für die Thrombophilie. |
Die erworbenen Risikofaktoren sind in Tab. [2] zusammengefasst.
Tab. 2 Erworbene Risikofaktoren für eine Thrombose Lebensalter Schwangerschaft, Wochenbett orale Kontrazeption, Östrogentherapie Antiphospholipid-Syndrom vorausgegangene Thrombose Immobilisation Operation maligne ErkrankungenEin Risikofaktor scheint das Fliegen
Das Lungenembolierisiko ist beim Fliegen um das 2 - 4fache erhöht. |
Orale Kontrazeptiva scheinen beim Fliegen das Risiko weiter zu erhöhen. |
-
8 Stunden Flug (von/nach Amsterdam)
-
8 Stunden Kino
-
ein normaler Tag
Die Zusammensetzung der Studienkohorte ist in Tab. [3] wiedergegeben. Die Autoren fanden eine signifikante Erhöhung der Thrombin-Antithrombin-Komplexe ausschließlich nach Abschluss des Fluges. Diese Erhöhung fand sich am ausgeprägtesten bei den Frauen, die bei heterozygoter Anlage für eine Faktor-V‐Leiden-Mutation ein orales Kontrazeptivum einnahmen. Ähnliche Ergebnisse ergab die Untersuchung von Prothrombinfragmenten und D‐Dimeren. Schließlich identifizierten die Autoren noch so genannte high responder als diejenigen, deren Thrombophilieparameter einen Anstieg höher als die dreifache Standardabweichung des Mittelwerts in der Alltagssituation zeigten (Abb. [2]). Während der 3 Studiensituationen wurde exakt darauf geachtet, dass die körperliche Aktivität, die Flüssigkeitsaufnahme
Die hypobare Hypoxie könnte beim Fliegen ein Umgebungsfaktor sein, der das Thromboserisiko steigert. |
Präanalytik bei der Thrombophiliediagnostik
Bei der Gerinnungsanalytik sind, teilweise mehr als bei anderen Labormethoden, ganz wesentliche Bedingungen der Präanalytik zu beachten. Diese sind in Stichworten in Tab. [4] aufgelistet. Zu bedenken ist auch, dass sich in bestimmten Lebenssituationen, die im Rahmen der Gynäkologie und Geburtshilfe relevant sind, Gerinnungsparameter verändern und insofern deutlich schwieriger zu beurteilen sind. Dies gilt
In bestimmten Lebenssituationen wie Schwangerschaft oder Stillzeit verändern sich die Gerinnungsparameter. |
Resistenz gegen aktiviertes Protein C (APC‐Resistenz) und Faktor-V‐Leiden
Der Faktor V, auch als Proaccelerin bezeichnet, ist ein Plasmaprotein, das die Vorstufe des Faktors Va darstellt. Als Co-Faktor von Faktor Xa wird so die Bildung von Thrombin forciert. In einer positiven Feedback-Schleife wird Faktor V wiederum durch Thrombin und Faktor Xa aktiviert. Durch eine Mutation auf dem assoziierten Genabschnitt kann der Faktor V in seiner Molekülstruktur verändert sein. Bei der Punktmutation im Faktor-V‐Gen
Die Punktmutation im Faktor-V‐Gen ist die häufigste hereditäre Thrombophilieform. Durch sie kann APC nur unzureichend gespalten und damit inaktiviert werden. |
Liegt ein autosomal co-dominant vererbter Faktor-V‐Leiden-Gendefekt vor, bleibt die Aktivierung der Blutgerinnung unverändert. Nachdem Thrombomodulin an Thrombin gebunden hat, fördert dieser Komplex die Aktivierung von Protein C zu dessen aktivierter Form. Die aktivierte Form bindet sowohl an Thrombozyten wie auch an das Endothel. Unterstützt durch den Co-Faktor Protein S werden so die Faktoren Va und VIIIa gehemmt (Abb. [1]).
Die Mutation ist ausschließlich für den Prozess der Inaktivierung des Faktors Va von Bedeutung. Da die Position 506 des Faktor-V‐Proteins in der Erkennungssequenz für das aktivierte Protein C liegt, kann die Faktor-V‐Leiden-Mutante nur noch unzureichend von APC gespalten und damit inaktiviert werden. Dadurch wird die Blutgerinnung nicht wie im Normalfall inhibiert. Der Genotyp trägt daher die Bezeichnung APC‐Resistenz.
Die Faktor-V‐Leiden-Mutation ist die häufigste hereditäre Form einer Thrombophilie (Tab. [1]). Weitere wichtige Beispiele sind die Prothrombinmutation, der Mangel an antikoagulatorisch wirkenden Proteinen und Enzymen der Gerinnung wie Protein C, Protein S oder Antithrombin. In Abb. [3] sind die verschiedenen Möglichkeiten zusammengefasst, aufgrund derer eine APC‐Resistenz entstehen kann.
Abb. 3 Pathogenese einer Protein-C-Resistenz. Unter normalen Umständen wird Prothrombin unter dem Einfluss des aktivierten Faktor X (Xa) und V (Va), die zusammen die sog. Prothrombinase bilden, in Thrombin umgewandelt. Thrombin aktiviert über Thrombomodulin Protein C zu aktiviertem Protein C (APC). APC wiederum wirkt, verstärkt durch Protein S, als Inaktivator von Faktor V. Nunmehr kann es durch Mangel an Thrombomodulin (1), Protein C (2) oder Protein S (3) zu einer mangelhaften Inaktivierung kommen. Ferner ist möglicherweise der Angriffspunkt von APC am Faktor V durch ein Antiphospholipidsyndrom blockiert (4).Die APC‐Resistenz lässt sich durch einen plasmatischen Gerinnungstest
In einem plasmatischen Gerinnungstest kann die APC‐Resistenz nachgewiesen werden. |
Antiphospholipid-Syndrom
Für ein Antiphospholipid-Syndrom
Laboranalytische Kriterien des Antiphospholipid-Syndroms sind: Nachweis von Lupusantikoagulanzien, Anti-Cardiolipin-Antikörper u/o Anti-beta-2-Glykoprotein-I‐Antikörper. |
In vivo kommt es durch die Antiphospholipid-Antikörper zur Reaktion mit beta-2-Glykoprotein I, Prothrombin, Protein C und S sowie Annexin V und damit zu einer Interferenz im Gerinnungsablauf. Die Protein-C‐Aktivierung, die Antithrombin-Aktivität, die Annexin-V‐Bindung und die Fibrinolyse werden gehemmt - eine thrombophile Situation ist entstanden.
Das Antiphospholipid-Syndrom
Habituelle Aborte können durch ein Antiphospholipid-Syndrom verursacht werden. |
Homocystein
Homocystein ist ein schwefelhaltiges Intermediärprodukt der essenziellen Aminosäure Methionin. S‐Adenosylmethionin ist ein wichtiger Methylgruppendonator bei vielen biologischen Prozessen. Methionin wird über Methioninsynthase zu Methionin remethyliert. Homocystein wiederum wird irreversibel abgebaut über eine Kondensation mit Serin; Nebenprodukt ist das Cystein (Abb. [4]). Homocystein ist heute ein anerkannter Risikofaktor vor allem für Komplikationen im arteriellen Gefäßsystem
Im arteriellen Gefäßsystem ist Homocystein ein wichtiger Risikofaktor. |
Ein relevantes Enzym in diesem Stoffwechsel ist die Methylentetrahydrofolat-Reduktase (MTHFR). Ein Polymorphismus im MTHFR‐Gen führt zu einer thermolabilen Variante (Position 677, C - T).
Ein Polymorphismus im MTHFR‐Gen führt zu Hyperhomocysteinämie und Empfindlichkeit gegenüber Folsäuremangel. |
Im Falle einer MTHFR‐Mutation mit konsekutiver Hyperhomocysteinämie kann diesen Patienten durch eine Folsäure-, Vitamin-B12- und Vitamin-B6-Supplementierung
Eine Supplementierung mit Folsäure, Vitamin-B12 und ‐B6 ist indiziert bei MTHFR‐Mutation. |
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Prof. Dr. med. Michael Ludwig
Endokrinologikum Hamburg Zentrum für Hormon- und Stoffwechselerkrankungen, Reproduktionsmedizin und gynäkologische Endokrinologie
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