PPH 2006; 12(2): 61
DOI: 10.1055/s-2006-926658
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Editorial

S. Schoppmann
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
19. April 2006 (online)

Haben Sie das letzte Heft genauso aufmerksam gelesen wie ich? Wie immer gab es viele interessante Artikel, und doch haben mich dieses Mal drei andere Beiträge nachdenklich gemacht:

das Editorial die Stellungnahme der DGSP-N und eine Meldung in den Nachrichten.

In allen drei Beiträgen wird auf die eine oder andere Art der zunehmende Rationalisierungsdruck im Gesundheitswesen thematisiert.

Rationalisierungsdruck, Ökonomisierung und Privatisierung sind Kennzeichen einer zunehmenden Industrialisierung des Gesundheitswesens [3]. Diese Entwicklung hat mit den knapper werdenden finanziellen Ressourcen zu tun und ist vermutlich nicht mehr aufzuhalten. Trotzdem scheint es mir wichtig zu sein, auf die damit verbundenen Gefahren für die Patienten aufmerksam zu machen und dafür zu sorgen, dass sich die politisch Verantwortlichen dieser Gefahren bewusst sind.

Da alle Menschen auch potenzielle Patienten sind, brauchen wir einen gesellschaftlichen Konsens darüber, wie der Balanceakt zwischen der Verantwortung für das Wohl kranker Menschen auf der einen und wirtschaftlicher Notwendigkeiten auf der anderen Seite gestaltet werden soll. Aus diesem Spannungsbogen ergeben sich schon seit langem viele Konflikte, die bisher aber von den einzelnen Mitarbeiter/Innen des Gesundheitswesens gelöst und, wo nicht zu lösen, ausgehalten werden müssen.

Aus der ambulanten Pflege wissen wir, dass Pflegende sich zwischen ihren Berufsidealen, wie sie z. B. in der Rahmenberufsordnung [2] festgeschrieben sind, und den Wirtschaftlichkeitsvorgaben ihrer Institutionen zerrieben und belastet fühlen. Sie erleben einen unauflösbaren Konflikt zwischen den Aufträgen der Kostenträger und damit den refinanzierbaren Leistungen einerseits und den Anforderungen durch die Situation der Pflegebedürftigen andererseits [4]. Um diesem Konflikt zu begegnen, wählen sie Strategien wie das Jonglieren mit den Zeitvorgaben der Pflegeversicherung und das Erbringen zusätzlicher Leistungen in ihrer dienstfreien Zeit. Letzteres wird von ihnen selbst häufig geheim gehalten, da sie sich selbst nur dann als professionell erleben, wenn sie sich auf die Erbringung refinanzierbarer Leistungen beschränken. Verstärkt wird dieser Zwiespalt noch dadurch, dass sie sich von ihren jeweiligen Arbeitgebern dazu angehalten sehen, wie Profis zu handeln [1].

Wie anhand dieser Beispiele deutlich wird, wird dieser Konflikt auf der individuellen Ebene der einzelnen Pflegekraft abgehandelt. Er stellt aber kein individuelles, sondern ein sich aus der Ökonomisierung ergebendes strukturelles Problem dar. Gesamtgesellschaftlich gesehen wird die Lösung dieses Problems an die individuelle Pflegekraft (und andere Mitarbeiter/Innen im Gesundheitswesen) delegiert und scheint damit vermeintlich vom (Diskussions-)Tisch zu sein. Das ist es aber nicht! Denn nur wenn es gelingt, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die nicht frustrieren (und dazu gehört mehr als ‚nur’ eine angemessene Bezahlung), werden Pflegende ihre Motivation auf Dauer erhalten und ihren eigentlichen Aufgaben nachkommen können.

Literatur

  • 1 Boes C. Der Beitrag von Pflegefachkräften ambulanter Pflegedienste in häuslichen Pflegesituationen. Masterarbeit.  Universität Witten/Herdecke, Institut für Pflegewissenschaft, Fakultät für Medizin. 2002; 
  • 2 Deutscher Pflegerat . Rahmenberufsordnung für professionell Pflegende, 2004.  , www.deutscher-pflegerat.de (Zugriff am 29.1.2006)
  • 3 Kühn H. Ethische Probleme der Ökonomisierung von Krankenhausarbeit. Büsing A, Glaser J Dienstleistungsqualität und Qualität des Arbeitslebens im Krankenhaus; Schriftenreihe Organisation und Medizin Göttingen, Bern, Toronto, Seattle; Hogrefe 2003: 77-98
  • 4 Ludwig A. Die Besonderheiten in häuslichen Pflegearrangements isoliert lebender, pflegebedürftiger, alter Menschen aus der Sicht von ambulant tätigen Pflegekräften. Masterarbeit.  Universität Witten/Herdecke, Institut für Pflegewissenschaft, Fakultät für Medizin. 2002; 
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