Z Geburtshilfe Neonatol 2006; 210(1): 31-32
DOI: 10.1055/s-2006-931513
Brief an den Herausgeber
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Brief an den Herausgeber

Diskussion zur Stillempfehlung bei mütterlicher Hepatitis C von der Nationalen Stillkommission am BfR vom 19.3.2001 und ergänzend vom 8.1.2004H. Stiete
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
23. März 2006 (online)

Lt. BfR vom 8.1.2004 - „Nach den inzwischen vorliegenden Ergebnissen umfangreicher Studien des Europäischen Pädiatrischen HCV-Netzwerkes (EPNH) und des deutschen HepNet Teilprojektes „Vertikale Übertragung der Hepatitis C” scheint es keinen Grund zu geben, einer chronisch HCV-infizierten Mutter vom Stillen abzuraten.”

Im Folgenden möchte ich die Referenzen der BfR-Empfehlung bzw. die o. g. Studien anhand der zugehörigen Literaturstellen - 1. aus dem British Journal of Obstetrics and Gynaecology 108 (2001) „Effects of mode of delivery and infant feeding on the risk of mothers-to-child transmission of hepatitis C virus” und - 2. vom Ärzteforum „Stillempfehlung bei HCV-infizierten Müttern“ (unter www.kompetenznetz-hepatitis.de) diskutieren.

Nr. 1: Der Studientyp wird als gepoolte retrospektive Analyse von prospektiv gesammelten Daten bezeichnet. Vorweg möchte ich betonen, dass dieses Thema organisatorisch und methodisch schwer zu bearbeiten ist, was jedoch nicht zu Abstrichen bezüglich einer sauberen wissenschaftlichen Diskussion führen darf. Nicht nur unter „evidence based” - Kriterien kann diese Referenz für weit reichende pauschale Empfehlungen des BfR nicht bestehen, wie durch nachfolgende Problemdiskussion ersichtlich.

Probleme der Literaturstelle Nr. 1:

Dass die Daten sauber prospektiv gesammelt wurden, kann bezweifelt werden. Wie kann man sonst erklären, dass beispielsweise von 74 Frauen der Geburtsmodus nicht bekannt war. „Prospektiv” gesammelte Daten bedeutet im Studiensinne, dass diese nach Standard und Protokoll erfasst werden, nach der wohl überlegten Formulierung von Hypothesen, Studienzielen und Methoden. Eine gute prospektiv geplante und gemanagte Studie muss zu ihren „Missing values” Auskunft geben, gerade wenn es sich doch um „einfache Daten” handelt, anderenfalls wird sie mangelhaft. Verwendung verschiedener Testsysteme zur HCV-Bestimmung, welche nur eine „qualitative Beurteilung” erlauben (Ja/Nein). Zur fraglichen Variablenauswahl nur zwei Beispiele: Die Gruppenbildung kleiner der 36. SSW und größer der 35. SSW ist willkürlich, Frühgeborene sind als kleiner der 37. SSW definiert und unabhängig davon befinden sich in der Gruppe < 36. SSW sehr wenige Kinder, so dass entsprechend der statistischen Maßzahlen kaum signifikante Unterschiede zu erwarten sind. Das heißt, der vorliegende Risikounterschied von > 40 % (6,7 vs. 9,5 % infizierte Kinder) ist nicht signifikant, da die Fallzahlen klein sind. Die Unterteilung des Geburtsgewichtes < bzw. ≥ 2500 g ist wissenschaftlich wie begründet? Was beeinflusste die Entscheidung der Mütter, zu stillen oder nicht zu stillen? Es ist durchaus anzunehmen, dass z. B. Frauen mit höherer bekannter Viruslast, mit längerer „Hepatitis C” Dauer oder symptomatischem Verlauf, mit Co-Morbiditäten, wie genannt z. B. HIV oder Frühgeburtlichkeit, seltener Stillen. Das wäre ein entscheidender systematischer BIAS. Der Einfluss der behandelnden Haus- und Frauenärzte (Ethik des Nichtwissens → besser nicht Stillen?), die Art der Aufklärung etc. sind mit großer Sicherheit so, dass es nicht schwer fällt zu glauben, dass sich in der Stillgruppe mehr Frauen mit weniger theoretischen Risikofaktoren befinden. In der Arbeit gibt es keine diesbezüglichen Informationen! Zur Stilldauer, wie entstanden die Gruppen „nie, < 4, < und > 6 Wochen”? Wenn ich die Theorie richtig verstehe, könnten Kinder mit neutralisierenden AK der chron. infizierten Mutter geschützt sein. Wenn das stimmt, stellt sich die Frage, wie lange z. B. besteht eventuell ein passiver Schutz, 3 oder 6 Monate oder bis 1 Jahr, titriert sich dieser über die Zeit bei größerer Virämie früher aus? Was passiert danach? Wenn das anzunehmen sei, ist die Gruppeneinteilung „unglücklich” gewählt, da keine großen Unterschiede nach 4 oder 6 Wochen zu erwarten sind. Generell besagt die Literaturstelle, gestillte Kinder bei mütterl. Hepatitis C + HIV sind deutlich häufiger infiziert als nicht gestillte. Dies besagt nicht, ob durch Muttermilch oder den Mechanismus des Stillens - z. B. Rhagaden der Brustwarzen! „Stillen” ist nicht nur „Muttermilch”, sondern könnte auch ein „technisches Problem” sein. 382 Kaiserschnitte wurden durchgeführt (Rate ca. 27 %). Davon 115 Notsectios, d. h. 30 % aller Sectiones, das ist gewaltig, nicht akzeptabel und nicht glaubwürdig! Welche Gründe führten zur Entscheidung über den Geburtsmodus, primär oder sekundär? Wurden Frauen mit höherer Viruslast oder/und Co-Morbidität öfter sectioniert? Dafür spricht, dass bei elektiver Sectio die Rate der infizierten Kinder 10,4 %, bei Notsectio aber nur 6,1 % und bei unspez. Sectio nur 1,3 % waren. Beide Punkte können nicht beurteilt werden! Unter diesen Aspekten halte ich die durchgeführten MBU (Fetal scalp monitoring) für kritisch! In der Diskussion heißt es „Früheren Studien mangelt es an Fallzahlen und statistischer Power! Unsere Studie hat die ‚größten Zahlen’” etc. Es stellt sich die Frage, ob die Studie dadurch besser wird (zumindestens wird es suggeriert), wenn auch ihre Fallzahlen deutlich zu klein sind und die Methoden im Paper nicht nachvollziehbar sind. Wenn lt. Annahme 25 % der Frauen sectioniert werden, die Reduktion der kindlichen Infektion dadurch mit 50 % angenommen wird und bei vaginaler Geburt die Annahme der kindlichen Infektion mit 10 % besteht, braucht man ca. 730 vs. 2920 Fälle (95 % Wahrscheinlichkeit, dass beide Samples, wenn sie unterschiedl. sind, den wahren Unterschied der Population widerspiegeln und Power 80 %)! Es stimmt danach nicht, dass die „Sample size” der Studie auch nur annähernd groß genug ist (Basis EpiInfo5). Ebenso wird richtig festgestellt, dass die Fallzahlen mit Bezug zum Stillen deutlich zu klein sind.

Probleme der Literaturstelle Nr. 2:

Es wurden 164 Milchproben von 142 Frauen untersucht. Daraus Schlüsse zu ziehen, dürfte viel zu früh sein. → Vielleicht sind nur bei 5 % „aller” Frauen Viren in der MM während einer 6-monatigen Stilldauer nachzuweisen (bei niedrigster Viruslast vielleicht bei 0,5 % und bei hoher vielleicht 30 %)? Der Großteil der Frauen hatte mit < 104 Viruskopien/ml im Median keine hohe Viruslast. → Es wurden fast nur 1 × Bestimmungen durchgeführt, der Median liegt bei 4 Tage postpartal. Für welchen Zeitraum des Stillens soll da Entwarnung gegeben werden? → Auch ein Virusnachweis in der Muttermilch bei zuvor 10 negativen Nachweisen in anderen Zeitphasen kann relevant sein, z. B. wenn die Frau immunologisch durch zeitweise Begleiterkrankung (Grippe, Herpes, psychischen Stress…) eingeschränkt ist. Die Einmal- oder Zweimal-Bestimmung in der Muttermilch kann nicht so einfach als repräsentativ für 6 oder 12 Monate Stillen betrachtet werden!

Beide Referenzen, die der Stillempfehlung bei HCV-Erkrankung der Mutter zugrunde liegen, sind nicht in der Lage, pauschale Antworten zu geben und die Empfehlung zu stützen, sie werfen viele neue Fragen auf und können nur ein Baustein für weitere Bemühungen sein! Die Empfehlungen der Nationalen Stillkommission suggerieren „Wissen und vielleicht Verharmlosung”, was gesellschaftspolitisch nicht gewollt sein kann. Es können keine pauschalen Aussagen zum Stillen bei Hepatitis C gegeben werden, auch wenn die Übertragungsraten wahrscheinlich nur im unteren einstelligen Prozentbereich liegen.

Dr. Hans Stiete

OSK Wangen

Am Engelberg 29

88239 Wangen

Telefon: 07522/961441

Fax: 07522/961507

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