Z Geburtshilfe Neonatol 2006; 210 - P98
DOI: 10.1055/s-2006-943273

Kind-Vater-Bindung bei Frühgeburtlichkeit

R Kißgen 1, A Kribs 1, J Drechsler 1, N Heinen 1, B Roth 1
  • 1Universität zu Köln, Köln, D

Die Gruppe der frühgeborenen Kinder ist die Risikogruppe, die in der klinischen Bindungsforschung mit der bisher größten Intensität untersucht wurde. Wie die Längsschnittstudien aus der Bindungsforschung belegen, kommt die sichere Bindung eines Kindes an eine seiner Hauptbezugspersonen einem protektiven Faktor für dessen weitere psychosoziale Entwicklung bis weit in die Adoleszenz gleich.

Die Befundlage für die Kind-Mutter-Bindung bei Frühgeburtlichkeit ist strittig. Einerseits finden sich Studien, die hinsichtlich der Bindungsqualität keine Unterschiede zwischen Frühgeborenen und Reifgeborenen ausmachen. Andere Studien dokumentieren hingegen signifikante Unterschiede im Vergleich der Bindungsqualität frühgeborener und reifgeborener Kinder dahingehend, dass letztgenannte erheblich häufiger sicher an ihre Mütter gebunden sind.

Die Bindung frühgeborener Kinder an ihre Väter stand bisher nicht im primären Forschungsinteresse. Diesem Defizit trägt eine seit 2004 in Kooperation der Heilpädagogischen Fakultät (Seminar für Heilpädagogische Psychologie und Psychiatrie) und der Medizinischen Fakultät (Allgemeine Kinderheilkunde – Neonatologie) der Universität zu Köln laufende Längsschnittstudie Rechnung.

Fragestellung: Unterscheiden sich frühgeborene Kinder im korrigierten 12. Monat von reifgeborenen Kindern im 12. Monat hinsichtlich der Bindung an ihre Väter?

Methodik: Stichprobe: n=24 frühgeborene Kinder mit einem Geburtsgewicht <1500g im korrigierten Lebensalter von 12 Monaten; n=27 reif geborene Kinder im Alter von 12 Monaten.

Inventare: Fremde Situation (Ainsworth & Wittig, 1969).

Ergebnisse: Das vorläufige Ergebnis zeigt 36,4% sichere Bindung bei den frühgeborenen Kindern im Vergleich zu 65% sichere Bindung bei den reif geborenen Kindern. Dieser Unterschied ist statistisch auf dem 5%-Niveau (Chi2=5.195; p=.023) signifikant.

Schlussfolgerung: Während der Anteil sicherer Kind-Vater-Bindung in der Kontrollgruppe mit bekannten Ergebnissen aus nicht-klinischen Stichproben gut vergleichbar ist, sind nur etwas mehr als ein Drittel der frühgeborenen Kinder an ihre Väter sicher gebunden. Da dieser Bindungstypus einem Schutzfaktor für die weitere psychosoziale Entwicklung eines Kindes entspricht, sollten Überlegungen angestellt werden, wie man diese bei frühgeborenen Kindern begünstigen kann. Die Interventionszielgruppe stellen die Väter dar. Diese sollten hinsichtlich der Wahrnehmung der kindlichen Signale, deren angemessener Interpretation sowie bezüglich der adäquaten und prompten Reaktion auf die Signale ihrer frühgeborenen Kinder eingehend beraten werden.