Z Geburtshilfe Neonatol 2006; 210 - P129
DOI: 10.1055/s-2006-943303

Retinopathie des Frühgeborenen: Ist eine medikamentöse Prophylaxe mit Xantinolnicotinat möglich?

L Feldhahn 1, G Nachtrodt 1, WD Ekert 1, G Froese 1, M Teufel 1
  • 1Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Böblingen, D

Fragestellung: Die Entwicklung einer höhergradigen Retinopathie (ROP) zählt zu den schwerwiegendsten Komplikationen der Frühgeburtlichkeit. Seit 1968 wird auf unserer neonatologischen Intensivstation parenterales Xantinolnicotinat zur Verbesserung der Durchblutung von Niere, Gehirn und Augenfundus eingesetzt. Da u.a. Durchblutungsschwankungen der Retina als Ursache der ROP diskutiert werden, erhebt sich die Frage, ob intravenös gegebenes Xantinolnicotinat die ROP-Häufigkeit reduzieren kann.

Methodik: Anhand der Daten der Neonatalerhebung des Bundeslandes Baden-Württemberg wurde die Häufigkeit der ROP von 1998 bis 2004 ermittelt. In der Hochrisikogruppe der Frühgeborenen unter der 28. Schwangerschaftswoche (SSW) wurden die erhobenen Daten zur Inzidenz der ROP Stadium III-V mit den Zahlen im eigenen Patientenkollektiv verglichen.

Ergebnisse: In Baden-Württemberg wurden in den Jahren 1998–2004 insgesamt 1980 Frühgeborene <28. SSW auf eine Retinopathie untersucht. Die Inzidenz einer ROP Stadium III-V lag in diesem Kollektiv zwischen 11,4% und 17,2%. Dagegen beobachteten wir in den Jahren 1998–2002 im eigenen Patientenkollektiv bei insgesamt 58 Frühgeborenen <28. SSW keine ROP Stadium III-V. Im Jahr 2003 betrug die Inzidenz in unserem Kollektiv 11,1% und in 2004 8,3% (n=21). In diesen beiden Jahren stand uns Xantinolnicotinat nicht zur Verfügung, ansonsten hatte sich weder das neonatologische Management noch der untersuchende Augenarzt geändert.

Schlussfolgerung: Die niedrige Inzidenz an ROP in unserem Kollektiv unter Xantinolnicotinat und der Anstieg der Retinopathiehäufigkeit ohne Xantinolnicotinat sprechen für einen protektiven Effekt dieses Medikaments bei der ROP. Der deutliche Anstieg der ROP in den Jahren 2003 und 2004, in denen intravenös applizierbares Xantinolnicotinat in Deutschland nicht erhältlich war, kann nicht auf Änderungen in unserem neonatalen Management oder bei der augenärztlichen Diagnostik zurückgeführt werden. Unterstützt wird unsere Beobachtung dadurch, dass im ersten Halbjahr 2005 unter erneutem Einsatz von Xantinolnicotinat bei unseren Frühgeborenen <28. SSW keine ROP Stadium III-V festgestellt worden ist. Weitere Studien sind notwendig, um die Bedeutung von Xantinolnicotinat in der Prophylaxe der ROP zu klären.