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DOI: 10.1055/s-2006-944327
Tuberkulose und Kunst
Tuberculosis and ArtPublikationsverlauf
Publikationsdatum:
09. Februar 2007 (online)
Prolog
Jean Baptiste Poquelin ([Abb. 1]), Sohn eines Tapezierers und königlichen Kammerdieners am Hof Ludwigs XIV., des Sonnenkönigs, ging als Molière in die Literaturgeschichte ein. In seinen Komödien legt er mit beißendem Spott die Schwächen der Menschen bloß, ihre Dummheit, Eitelkeit und Boshaftigkeit. Am 17. Februar 1673 kommt sein neues Stück „Le Malade imaginaire” zur Aufführung, eine Komödie, in welcher der Titelheld nur mit seinem eingebildeten Leiden beschäftigt ist, und erst, als er sich tot stellt, erkennt, was die Welt um ihn herum wirklich von ihm hält. Molière selbst spielt die Hauptrolle. Plötzlich wird er von einem heftigen Hustenanfall geschüttelt, dem ein schwerer Blutsturz folgt. Das Publikum applaudiert stürmisch, nicht erkennend, dass aus dem Spiel Wirklichkeit geworden war. Augenblicke später stirbt Molière, knapp 51 Jahre alt, den Beifall des Publikums noch im Ohr.
Molière litt an Lungentuberkulose. Im Winter 1665 war er zum ersten Mal erkrankt, ein zweiter, schwerer Schub der Tuberkulose folgte wenige Jahre später. Der Spötter Molière, der sich gern über die Hilflosigkeit der Ärzte und die damals gebräuchlichen Heilmittel lustig gemacht hatte, ließ sich von eben diesen mit strapaziösen Aderlässen behandeln - mit vorübergehendem Erfolg. Er kämpfte zäh und verbissen gegen die Krankheit an, doch immer wieder kam es zu Rückfällen. Schließlich erlag er der Tuberkulose acht Jahre, nachdem sie erstmals ausgebrochen war. Molière ist nur einer von vielen Künstlern, denen die Tuberkulose zum Schicksal wurde. Die Liste der Tuberkuloseopfer unter Künstlern ist umfänglich: In der Dichtkunst reicht sie von Matthias Claudius über John Keats, Anton Tschechow und Novalis bis zu Franz Kafka, in der Musik von Henry Purcell über Carl Maria von Weber und Edvard Grieg bis Igor Strawinsky, in der Malerei von Pieter Brueghel und Jean-Antoine Watteau über Karl Ludwig Kirchner bis zu Amadeo Modigliani.
Sind wir deswegen berechtigt, der Tuberkulose eine Sonderrolle in der Kunst zuzuweisen? Nimmt Krankheit generell und Tuberkulose speziell Einfluss auf den Künstler? Und wenn ja, wie? Gibt es Wechselbeziehung zwischen Krankheit und Kunst? „Kunstwerk Krankheit?” „Krankheit als Metapher?”
Der folgende Beitrag - angeregt durch die Arbeiten von Dieter Reimers, den unvergessenen Kollegen und Freund - geht diesen Fragen nach, indem er zunächst die Rolle der Krankheit als Sujet in der Kunst behandelt, dann exemplarisch das Schicksal tuberkulosekranker Künstler schildert und sich schließlich kritisch mit der Wechselbeziehung von Kunst und Krankheit auseinandersetzt [1] [2].
Abb. 1 Jean Baptiste Poquelin (1622 - 1673), genannt Molière, Komödiendichter und Schauspieler, starb nach einer Aufführung seines „Le Malade imaginaire” an einer Kavernenblutung.
Literatur
- 1 Reimers D. Phthise und Kunst. In: Konietzko N. (Hrsg.): Der Kampf gegen die Tuberkulose. PMI-Verlag 1996: 87-119
- 2 Reimers D. Tuberkulose und Kunst. Med Welt. 1982; 33 238-246
- 3 Chrétien J. Tuberculosis, an illustrated history of a disease. Vol. 1. Hauts-de-France Editions 1998
- 4 Jansen H H. Schillers Krankheit und Tod aus pathologisch-anatomischer und klinischer Sicht. Der Pathologe. 1988; 9 187-191
- 5 Kerner D. Große Musiker, Leben und Leiden (neu bearbeitet von H. Schadewaldt). Stuttgart: Schattauer-Verlag 1998
- 6 Böhme G. Medizinische Portraits berühmter Komponisten. Stuttgart: G. Fischer-Verlag 1987
- 7 Alten R H-E. Tuberkulose in Kunst und Literatur. DIA-GM. 1990; 18 1847-1849
- 8 Sontag S. Krankheit als Metapher. Frankfurt/M.: S. Fischer 1996
- 9 Voigt J. Tuberkulose, Geschichte einer Krankheit. Köln: VGS -Gesellschaft 1994
1 Nicht verschwiegen sei in diesem Zusammenhang die auf vage Indizien gestützte Theorie, Chopin habe nicht an Tuberkulose, sondern an einer Mukoviszidose gelitten.
Prof. Dr. med. Nikolaus Konietzko
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eMail: nikolaus.konietzko@t-online.de