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DOI: 10.1055/s-2006-944651
Kardiopulmonale Reanimation im Kindesalter
Publication History
Publication Date:
05 September 2006 (online)
Vorbemerkung
Die kardiopulmonale Reanimation (CPR) bei Säuglingen und Kindern ist - zum Glück - eine sehr seltene therapeutische Intervention. Dies wirft aber auch spezielle Probleme auf: Es entwickeln sich irrationale Ängste vor der Reanimationssituation - nicht nur bei Laien, sondern auch bei professionellem Personal. Zusammen mit fehlender Routine und mangelnder Kenntnis von Material und Maßnahmen kann dies in der Akutsituation zu unkoordiniertem oder gar falschem Handeln führen.
Deshalb sollten alle Personen, die mit der medizinischen Behandlung von Kindern und Säuglingen befasst sind, sich regelmäßig mit den theoretischen Grundlagen und vor allem mit der praktischen Anwendung von Reanimationsmaßnahmen beschäftigen. So ist z. B. ein im 1-jährigen Abstand durchgeführtes Reanimationstraining im Team gut geeignet, die Fähigkeiten und das Wissen um die Kinderreanimation aufzubauen, bzw. aufzufrischen und Ängste abzubauen (z. B. Pediatric Advanced Life Support, PALS-Kurse).
Eine weitere moderne und „lebensnahe” Methode der Schulung ist die Simulation. Mithilfe ausgefeilter Technik ist es möglich, neben der eigentlichen CPR-Situation auch ein täuschend ähnliches Umfeld mit all seinen Implikationen für das Notfallteam aufzubauen.
Denn: Wer von uns würde sich in ein Flugzeug setzen, wenn er wüsste, dass der Pilot nicht auf den Ernstfall vorbereitet ist und in zahlreichen Simulationseinheiten diese Situation professionell managen musste?
Abb. 1 Typisches Szenario eines Workshops „Präklinische Kindernotfälle”. Simulations- und Trainingszentrum der Anästhesiologischen Klinik, Universitätsklinikum Erlangen, Direktor: Prof. Dr. med. Dr. h. c. J. Schüttler.
Häufigkeit
Eine aktuelle Untersuchung beziffert die jährliche Inzidenz präklinischer Kreislaufstillstände mit 59,7 Fällen auf 1 Million Kinder unter 19 Jahren [1]. Diese Zahl lässt aber nur bedingt Rückschlüsse auf die Häufigkeit zu, mit der professionelles medizinisches Personal mit einer Kinderreanimation rechnen muss.
In Deutschland kommt es jährlich zu ca. 2500 präklinischen Todesfällen bei Kindern unter 5 Jahren [2]. Bei jährlich 300 - 875 Notfalleinsätzen [3] [4], die ein hauptamtlicher Mitarbeiter im Rettungsdienst durchschnittlich bewältigen muss, errechnet sich eine Wahrscheinlichkeit von 0,04 % pro Einsatz für eine Kinderreanimation, d. h. ein hauptamtlicher Notarzt erlebt ca. alle 3 - 9 Jahre eine Kinderreanimation.
Im innerklinischen Bereich sind in einer Kinderklinik - abhängig von Nation, Klinikgröße und Versorgungsgrad - jährlich durchschnittlich 0,02 - 2 % der aufgenommenen Kinder reanimationspflichtig [5] [6], auf einer pädiatrischen Intensivstation ca. 1 % der aufgenommenen Kinder [7]. Bezogen auf europäische Verhältnisse bedeutet dies, dass die pädiatrische Abteilung eines Krankenhauses im Durchschnitt 1- bis 2-mal pro Jahr eine Reanimationssituation erlebt.
Ursachen des kindlichen Kreislaufstillstands
Kreislaufstillständen im Kindesalter liegen nur selten primär kardiale Ursachen zugrunde. Erst eine längere zelluläre Anoxie führt zum myokardialen Versagen des - in der Regel gesunden - kindlichen Herzens. Die häufigste Ursache für Kreislaufstillstände sind respiratorische Störungen mit sekundärer hypoxischer Bradykardie und in der Folge Asystolie, bzw. pulslose elektrische Aktivität (PEA). An 2. Stelle stehen schwere Volumenverluste, z. B. durch Trauma oder Infektion. Asystolie und PEA sind prä- und innerklinisch in über 75 % der Fälle ursächlich, pulslose ventrikuläre Tachykardie (VT) und Kammerflimmern (VF) spielen bei Kindern eine eher untergeordnete Rolle [8] [9].
Die Häufigkeit des plötzlichen Kindstods (Sudden Infant Death Syndrome, SIDS) im Säuglingsalter hat eine erfreuliche Entwicklung genommen. So hat sich die Zahl in den letzten Jahren von 1283 Fällen (1990) auf 323 Fälle (2004) drastisch reduziert [2].
Ertrinken und Vergiftungen sind statistisch seltenere Ursachen des kindlichen Kreislaufstillstands.
Prognose
Von entscheidender Bedeutung für die Erfolgsaussichten einer Reanimation ist die Zeit bis zum Beginn der Erstmaßnahmen. Weitere Einflussfaktoren sind regionale und lokale Infrastruktur sowie der Ausbildungsgrad der beteiligten Helfer. Die Krankenhausentlassungsrate beträgt bei präklinischem Kreislaufstillstand 1,1 - 12,1 % [10], bei innerklinischem Kreislaufstillstand 15 - 27 % [5] [9] und bei Arrest auf einer pädiatrischen Intensivstation 25 % [7]. Kinder, die einen präklinischen Kreislaufstillstand erleiden, haben schlechtere Chancen, ohne neurologisches Defizit zu überleben als hospitalisierte Kinder (0,3 - 4 % vs. 17,6 %) [9] [10].
Merke: Trotz in der Regel fehlender Komorbidität ist die Prognose von Reanimationen im Kindesalter im Vergleich zu Erwachsenen schlechter, sowohl in Bezug auf die Überlebensrate als auch auf das neurologische Outcome.Entscheidend für den Erfolg einer Reanimation sind das frühestmögliche Erkennen und sofortige Behandeln einer respiratorischen oder kardiozirkulatorischen Störung zur Verhinderung eines Kreislaufstillstands, sowie das zügige Freimachen der Atemwege und die Sicherung einer ausreichenden Oxygenierung.Woher wissen wir, wie wir reanimieren müssen?
In der Reanimationsforschung ist es schwierig, wissenschaftliche Evidenz zu erreichen: Eine Reanimation ist ein Prozess mit unzähligen Variablen, die schwer zu standardisieren sind. Um eine Aussage treffen zu können, ob eine Intervention einer anderen überlegen ist, müssten Tausende von Patienten untersucht werden. Nur wenn im Rahmen einer kontrollierten, randomisierten, klinischen Studie eine Outcome-Verbesserung nachgewiesen wird (hoher Evidenzlevel; [11]), können bestehende Reanimationsempfehlungen zugunsten einer neuen Intervention geändert werden. Als Endpunkt eines Methodenvergleichs erscheint die Krankenhausentlassungsrate sinnvoll, diese kann jedoch bei zahlreichen Untersuchungen aufgrund organisatorischer und/oder datenschutzrechtlicher Probleme gar nicht erfasst werden [12]. Außerdem können etablierte Reanimationsmethoden, deren wissenschaftlicher Wirksamkeitsnachweis bisher aussteht, nur eingeschränkt untersucht werden, da sich ein Vergleich mit einer Kontrollgruppe, welche die etablierte Therapie nicht erhält, aus ethischen Gründen häufig verbietet.
Diese Schwierigkeiten wirken sich auf die Empfehlungen zur Kinderreanimation wegen deren Seltenheit noch deutlicher aus. Nicht selten muss aus Untersuchungen und Erkenntnissen zur Erwachsenenreanimation extrapoliert werden (niedrigerer Evidenzlevel; [11]).
Aktuelle Leitlinien
1996 gaben die Reanimationsorganisationen verschiedener Kontinente ihrer wissenschaftlichen Kooperation den Namen „International Liaison Committee on Resuscitation”, kurz: ILCOR. Inzwischen finden ILCOR-Konferenzen alle 5 Jahre statt. Beim letzten Treffen im Frühjahr 2005 wurde von einigen hundert Experten die aktuelle wissenschaftliche Literatur gesichtet und ausgewertet. Hauptziel war, Behandlungsempfehlungen auszusprechen, die wissenschaftlich bewiesen sind.
Hintergrund Auf Basis der ILCOR-Empfehlungen 13 erarbeiteten die einzelnen Reanimationsorganisationen Leitlinien 14 15, die gemeinsam mit den ILCOR-Empfehlungen am 28. 11. 2005 veröffentlicht wurden. Aktuell gelten für Europa die Leitlinien des European Resuscitation Council (ERC). Eine ausführliche nationale Adaptation für Deutschland seitens des Deutschen Beirats für Erste Hilfe und Wiederbelebung der Bundesärztekammer liegt derzeit noch nicht vor, eine Stellungnahme einer Ad-hoc-Arbeitsgruppe der Bundesärztekammer zu den „Eckpunkten” basiert auf den aktuellen ERC-Leitlinien 16.Alterseinteilung
Für die Reanimation gilt eine eigenständige Einteilung nach Alterklassen. Da im Notfall Alters- und Gewichtsangaben häufig nicht verfügbar sind und eine Schätzung - zumindest für Laienhelfer - schwierig ist, wurde die Einteilung in den aktuell gültigen Leitlinien stark vereinfacht:
-
Neugeborene (Erstversorgung, CPR nach Geburt),
-
Säuglinge (unter 1 Jahr),
-
Kinder (1 Jahr bis Pubertät),
-
Jugendliche (ab Pubertät).
Literatur
- 1 Ong M EH, Stiell I, Osmond M H, Nesbitt L. et al . Etiology of pediatric out-of-hospital cardiac arrest by coroner’s diagnosis. Resuscitation. 2006; 68 335-342
-
2 Statistisches Bundesamt .Gesundheitsberichtserstattung des Bundes. http://www.gbe-bund.de
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Dr. med. Karin Becke
Universitätsklinikum Erlangen · Anästhesiologische Klinik · Direktor: Prof. Dr. med. Dr. h. c. J. Schüttler
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