Aktuelle Ernährungsmedizin 2006; 31 - V18
DOI: 10.1055/s-2006-954471

Geschlechterunterschiede im psychologischen Funktionsniveau bei adipösen Erwachsenen

A Hilbert 1, JM Dierk 1, M Conradt 1, J Hebebrand 2, W Rief 1
  • 1Fachbereich Psychologie, Philipps-Universität Marburg
  • 2Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Klinikum der Universität Duisburg-Essen

Einleitung und Ziel : Das Geschlecht scheint den Zusammenhang zwischen psychologischen Merkmalen und dem Body-Mass-Index (BMI, kg/m2) zu moderieren. Die in diesem Beitrag gegebene Übersicht über die aktuelle Forschungsliteratur zeigt, dass ein höherer BMI bei Frauen mit einer stärkeren Beeinträchtigung im psychologischen Funktionsniveau assoziiert ist als bei Männern. Im Vergleich zu Männern ist bei Frauen mit einem von Normalgewicht bis zur Adipositas hin steigenden BMI eine stärkere allgemeine Psychopathologie und psychiatrische Komorbidität, ein negativeres Körperbild, ein geringeres Selbstwertgefühl und eine geringere Lebensqualität verbunden. Es ist jedoch unklar, ob und welche Geschlechterunterschiede sich in Abhängigkeit von unterschiedlichen Graden der Adipositas ergeben. Patienten und Methode: In einer Studie zu psychologischen Geschlechterunterschieden bei unterschiedlichen Graden der Adipositas wurden 421 adipöse Männer und Frauen (139, 33,0% und 282, 67,0%), die an einer Intervention zur genetischen Beratung teilnahmen, mit klinischen Interviews und Selbstbeurteilungsfragebögen untersucht. Ergebnis: Erwartungsgemäß zeigte sich bei den adipösen Frauen im Vergleich zu den adipösen Männern eine größere allgemeine Psychopathologie, eine vermehrte psychiatrische Komorbidität, ein geringeres Selbstwertgefühl, ein negativeres Körperbild, ein stärkeres gezügeltes Essverhalten und die Tendenz einer geringeren Lebenszufriedenheit. Während diese Merkmale bei den Frauen nicht in Abhängigkeit vom BMI variierten, zeigte sich bei den Männern mit extremerer Adipositas eine signifikant größere Depressivität, ein geringeres Selbstwertgefühl sowie eine geringere Lebenszufriedenheit. Geschlechterunterschiede in diesen Variablen waren bei Adipositas Grad I vorhanden, nicht jedoch bei Adipositas Grad III. Schlussfolgerung : Diese Ergebnisse weisen auf ähnliche Beeinträchtigungen des psychologischen Funktionsniveaus bei Männern und Frauen mit stärkeren Graden der Adipositas hin.