Der Klinikarzt 2006; 35(9): 343
DOI: 10.1055/s-2006-954829
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Schwieriger Patient oder schwieriger Arzt?

W. Hardinghaus
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Publication Date:
29 September 2006 (online)

Das Thema „Der schwierige Patient” ist derzeit en vogue und auch die Medien greifen es immer häufiger auf: In der Zeitschrift unserer Verlagsgruppe „Dialyse aktuell” hat zum Beispiel neulich noch R. Zachau, Dillingen, zum „Schwierigen Dialysepatienten” Stellung bezogen. Darum geht es mir wohl auch, doch möchte ich mein Anliegen weiter fassen.

Zunächst jedoch will ich mich auf die - mag dieses Wort auch strapaziert sein - psychosoziale Situation unseres chronisch Kranken fokussieren. Oft steht er jahrelang unter Leidensdruck, den er auf verschiedenste Weise bewältigt, entweder positiv aktiv durch Coping oder aber durch Verdrängung bis Verleugnung, durch seine Therapietreue bzw. indem er aus Überzeugung oder Gehorsam den Anordnungen und Vorschlägen des Arztes Folge leistet, oder auch dem Gegenteil, durch eine so genannte Non-Compliance. Welche Ressourcen die Patienten „verpulvern”, wenn sie die Therapieanweisungen ihres Arztes ignorieren, illustriert das Ergebnis einer Pharmastudie zur Verlässlichkeit der Medikamenteneinnahme: In Deutschland fliegen jährlich Medikamente im Wert von fünf Milliarden Euro in den Müll. Andererseits „verordnen” sich rund 20 % unserer Patienten in den Kliniken selbst Schmerz- und Beruhigungsmittel und somit an der Krankenakte vorbei.

Und wie reagieren wir, die Ärzte? Glaubt man dem Psychosomatiker Dr. W. Schmidbauer, München, so sind wir entweder zu übereifrig, zu aufopfernd, geben uns zu professionell oder sind nicht fähig zur Kommunikation. Der schwierige Arzt? Na ja, es gibt sicher noch genügend unter uns, die sich engagieren und der Aspekt des Zeitmangels ist mehr als eine willkommene Entschuldigung. Eine Kollegin hat hierzu in einem Leserbrief im Deutschen Ärzteblatt Anfang dieses Jahres vielen aus dem Herzen gesprochen: „Wenn ich am Tag 90 Patienten durch meine Sprechstunde führe, brauche ich keinen Kommunikationstrainer, ich brauche Zeit.” Indes verdeutlicht das Ergebnis einer amerikanischen Analyse, dass Patienten, die Entscheidungen zusammen mit den Leistungserbringern fällen, zufriedener sind. Sie halten sich genauer an die vereinbarten Empfehlungen und erzielen bessere Behandlungsergebnisse als „traditionell” betreute Kontrollpatienten.

Wenn es uns gelingt, die individuellen Lebensumstände des Patienten zu berücksichtigen und standardisierte Leitlinien nicht zum allein selig machenden Kredo erheben, können wir wie ich glaube auch den notwendigen Teil der Eigenverantwortung unseres Gegenübers in der Arzt-Patienten-Beziehung arrangieren. Unserer Aufgabe und Rolle im Rahmen dieses Anspruchs sind jedoch Grenzen gesetzt: Die hierbei an uns herangetragenen Ansprüche können wir nicht immer erfüllen, nicht zuletzt aus mangelnder Verfügbarkeit externer Ressourcen. Sachzwänge bzw. Sparzwänge setzen eine „heilsame Beziehungskultur” (Verres) aufs Spiel. So muss die Bonus-Malus-Regelung - oder genauer: das Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung (AVWG) - dazu führen, dass wir bei unseren Verordnungen dem Preis der Arzneimittel die gleiche Aufmerksamkeit schenken wie der Frage nach deren Nutzen.

Bei chronisch Kranken entsteht zwangsläufig eine besonders enge Arzt-Patienten-Beziehung, die diese Gefahr vielleicht wieder relativieren kann. Aber auch dieses Verhältnis hat wie alle anderen Beziehungen nur Bestand in einem ehrlichen, empathisch geführten Dialog. Auch wenn akute oder akut lebensbedrohliche Situationen mit der Situation chronisch Kranker sicher nicht zu vergleichen sind, muss es hier ebenfalls um Vertrauen gehen. Der Theologe Rössler hat dies sehr schön ausgelegt: „Vertrauen ist akzeptierte Abhängigkeit”. Daran kommt nun auch der „schwierige Patient” nicht vorbei. Und damit ist auch eigentlich alles gesagt zur „Auflösung” der schwierigen Arzt-Patienten-Beziehung.

Prof. Dr. W. Hardinghaus

Ostercappeln