Dtsch Med Wochenschr 2006; 131: S139-S142
DOI: 10.1055/s-2006-955055
Übersicht | Review article

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Akuter Schlaganfall - Reperfusion als primäres Therapieprinzip

Acute stroke - reperfusion as a primary therapeutic principleW.-D Heiss1 , C. Messer2
  • 1MPI für neurologische Forschung, Köln
  • 2Dielheim
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Publication History

eingereicht: 16.11.2005

akzeptiert: 26.10.2006

Publication Date:
06 November 2006 (online)

Die Hämodynamik des Blutes spielt für das akute Schlaganfallgeschehen eine zentrale Rolle. Dies gilt insbesondere für hämodynamisch bedingte Endstrom- und Grenzzoneninfarkte, bei denen der Kollateralversorgung des minderperfundierten Gebietes im Gehirn eine entscheidende Rolle zukommt. Wesentliche Aspekte hierbei sind einerseits die Mikrohämodynamik, die weitestgehend durch die Viskosität des Vollbluts bestimmt wird, andererseits die Makrohämodynamik, für die der arterielle Blutdruck und das Herzzeitvolumen bestimmend sind (Abb. [1]).

Abb. 1 Schädigung von nicht- und minderperfundiertem Gewebe bei ischämischem Schlaganfall (nach [1]).

Im Moment ist die einzige Reperfusionsstrategie bei Schlaganfall mit klinisch belegter Wirksamkeit die Thrombolyse. Diese Therapie wird allerdings aufgrund des engen Zeitfensters und der Kontraindikationen noch immer zu zögerlich angewandt. Für viele Schlaganfallpatienten existiert daher keine evidenzbasierte Therapieoption für die rasche Reperfusion des Gehirns. Vergegenwärtigen muss man sich hierbei, dass der weitaus überwiegende Teil (ca. 80 %) der vom Schlaganfall betroffenen Hirnareale kritisch minderperfundiert und ausschließlich durch eine rasche Wiederherstellung der Blutversorgung zu retten ist. Nur ca. 12 % des von einer Ischämie betroffenen Gebietes weist eine suffiziente Perfusion auf und könnte theoretisch durch Neuroprotektiva gerettet werden (Tab. [1]).

Tab. 1 Volumen des endgültigen Infarktareals und angrenzender Kompartimente gemessen an der initialen Restperfusion (n = 9) (nach 1). Volumen des Kompartimentes (cm3 Hirngewebe) Volumen des Kompartimentes (infarziertes Gewebe %) Median Bereich P Median Bereich Infarziertes Volumen 27,7 1,5 - 138,4 Kritische Minderperfusion 21,1 0,5 - 126,7 < 0,05* 69,5 50,8 - 91,6 Penumbra 5,0 0,3 - 19,1 < 0,05** 18,0 8,0 - 33,9 Suffiziente Perfusion 1,6 0,7 - 19,1 12,2 2,2 - 24,7 *verglichen mit kritisch minderperfundiertem und suffizient durchblutetem Gewebe **verglichen mit suffizient perfundiertem Gewebe (Wilcoxon-Test)

Dementsprechend sind Strategien zur Gewebeprotektion durch die Beeinflussung biochemischer Kaskaden, die zur ischämischen Zellschädigung führen, bis heute den Nachweis der klinischen Wirksamkeit schuldig geblieben. Dies gilt sowohl für die Neuroprotektion per se als auch für antiinflammatorische und apoptosehemmende Therapeutika. Inzwischen wurden über 50 Substanzen untersucht, die in Tierversuchen neuroprotektives Potential gezeigt hatten, aber in klinischen Endpunktstudien keinen eindeutigen Beleg ihrere Wirksamkeit erbringen konnten [2].

Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Konzepte zur medikamentösen Neuroprotektion gescheitert sind. Eine kritische Betrachtung der bisher durchgeführten Studien zeigt einige Punkte auf, die für die bisherigen Misserfolge verantwortlich sein könnten [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9].

Die Wirksamkeit der Neuroprotektiva wurde präklinisch in Tierversuchen mit Nagetieren (Rodentia) untersucht, die möglicherweise kein geeignetes Tiermodell darstellen. So besteht das Gehirn der Rodentia zu 90 % aus grauer Gehirnmasse, die im menschlichen Gehirn nur etwa 50 % des Gewebes ausmacht. Zudem werden in Tierversuchen junge, gesunde Tiere eingesetzt, die im Vergleich zu oft multimorbiden Schlaganfallpatienten in fortgeschrittenem Lebensalter wahrscheinlich über eine höhere Regenerationsfähigkeit der Penumbrazone verfügen.

In klinischen Studien sind National Institute of Health Stroke Scale (NIHSS), modifizierter Rankin-Scale und Barthel-Index neben der Mortalität zentrale Outcome-Parameter. In Tierstudien wird häufig das Infarktvolumen als Endpunkt gewählt, obwohl dieses nicht eindeutig mit dem funktionellen Outcome korreliert ist. Doch selbst wenn in den Tierstudien funktionelle motorische und neurophysiologische Daten erhoben werden, ist eine Korrelation mit den Ergebnissen funktioneller Scores beim Menschen nicht belegt.

Schließlich werden in klinischen Studien längere therapeutische Zeitfenster gewählt und geringere relative Dosierungen eingesetzt als in Experimentalstudien. Hierdurch kann zwar eine bessere Übertragbarkeit der Ergebnisse in den klinischen Alltag gewährleistet und die Rate unerwünschter Ereignisse gesenkt werden, gleichzeitig besteht aber die Gefahr, dass zu spät und mit zu wenig Wirksubstanz therapiert wird.

In Zukunft wird es notwendig sein, in vergleichenden Studien Tiermodelle auf die Übertragbarkeit der damit gewonnenen Daten in Humanstudien zu überprüfen. So konnte gezeigt werden, dass mittels geeigneter diagnostischer Bildgebung (PET) und biochemischer Marker Aussagen zu einem potenziell malignen Verlauf bei fokaler Ischämie für Katzen und Schlaganfallpatienten gemacht werden können [10].

Die Verbesserung der Übertragbarkeit experimenteller Daten auf die klinische Situation ist nur ein erster Schritt. Insbesondere sollten in klinischen Studien auf Basis der vermuteten Wirkmechanismen sehr gründlich die untersuchten funktionellen Parameter und die einzuschließenden Patienten ausgewählt werden.

Literatur

  • 1 Heiss W D, Thiel A, Grond M. et al . Which targets are relevant for therapy of acute ischemic stroke?.  Stroke. 1999;  30 1486-1489
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  • 3 Stroke Therapy Academic Industry Roundtable II (STAIR-II) . Recommendations for clinical trail evaluation of acute stroke therapies.  Stroke. 2001;  32 1598-1606
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  • 10 Heiss W D, Graf R. Translational research - does it really help in the development of stroke therapy?. Medpharm Scientific Publishers In: Pharmacology of cerebral ischemia 2004; Krieglstein J, Klumpp S (Eds.) 2004
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  • 13 Asplund K. Haemodilution for acute ischaemic stroke (Cochrane Review). Issue 4 Chichester, UK: John Wiley & Sons, Ltd In: The Cochrane Library 2004
  • 14 Rudolf J. on behalf of the HES in Acute Stroke Study Group . Hydroxyethyl Starch for Hypervolemic Hemodilution in Patients with Acute Ischemic Stroke: A Randomized, Placebo-Controlled Phase II Safety Study.  Cerebrovasc Dis. 2002;  14 33-41

Prof. Dr. W.-D. Heiss

MPI für neurologische Forschung

Gleueler Straße 50

50931 Köln