Fortschr Neurol Psychiatr 1980; 48(6): 324-350
DOI: 10.1055/s-2007-1002389
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Psychophysiologie des Träumens und der Neurosentherapie: Das Zustands-Wechsel-Modell, eine Synopsis

Psychophysiology of dreaming and neurosis therapy: the functional state-shift model, a synopsisM.  Koukkou1 , D.  Lehmann2
  • 1Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, Forschungsdirektion und
  • 2Neurologische Universitätsklinik Zürich und Schlaf-und Traumlaborn, Klinik am Zürichberg, Zürich, Schweiz
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
07. Januar 2008 (online)

Abstract

The paper presents a functional model of the brain; this model uses psychophysiological mechanisms to explain dream formation, without postulating specific dream processes; the same mechanisms serve to explain neurotic thinking (the basis of neurotic behaviour), and its psychotherapeutic correction. The description of the model includes a synopsis of selected publications from the fields of electroneurophysiology, psychopharmacology, behaviour research, experimental psychology, and clinical reports.

Different functional states of the brain are associated with different cognitive strategies, different memory storage areas, and different EEG patterns. State-dependent learning and recall is referenced to the functional states of the brain. Cognitive strategies, e.g. those of childhood, are also stored in memory, and can be recalled.

During sleep, the adult fluctuates between different functional states of the brain which are related to awake functional states during childhood. Fluctuations of the functional state occur as spontaneous changes, or as orienting reactions to processed information. The continuous processing of new information or of recalled memory material during the adult's sleep can utilize cognitive strategies of earlier ontogenetic periods (functional regression). This treatment of the heterogeneous memory storages with different processing strategies results in the formal characteristics of dreams (incoherence), and corresponds to Freud's dreamwork. If the result of this cognitive activity is verbally coded and successfully stored in a memory area which can be accessed during wakefulness (optimally during REM phases), then it will be available as dream recall.

Well-learned (automatized) behaviour leads to improvement of performance, but also to reduction of the ability for re-assessment i.e. for corrections: the behaviour can be produced without change of the functional state of the brain ("unconsciously"). Generalisation (or erroneous recognition) of the behaviour-triggering stimulus leads to inadequate behaviour (neurosis), which is subjectively experienced as irritation/disturbance. In order to correct the disturbance, a discrimination is necessary between the original stimulus and the generalized (or erroneously recognized) stimulus, during the existing functional state. This discrimination becomes possible if the original stimulus is remembered, which may be achieved in dream analysis. The discrimination opens the possibility for a re-assessment of the situation, and thus, for the choice of a new, adequate behaviour.

Zusammenfassung

Die Arbeit stellt ein Hirnfunktions-Modell vor, das die Traumbildung durch psychophysiologische Mechanismen erklärt, ohne spezielle Traumprozesse zu postulieren; die gleichen Mechanismen dienen zur Erklärung des neurotischen Denkens (der Basis des neurotischen Verhaltens) und seiner psychotherapeutischen Korrektur. Das Modell ist die Leitlinie für eine Synopsis ausgewählter Veröffentlichungen aus Elektroneurophysiologie, Psychopharmakologie, Verhaltensuntersuchungen, experimenteller Psychologie und Klinik.

Den funktionellen Zuständen des Gehirns mit ihren verschiedenen Denkstrategien sind verschiedene elektroenzephalographische Muster und verschiedene Gedächtnisspeicher zugeordnet. Zustandsabhängiges Lernen und Erinnern bezieht sich auf die funktionellen Zustände des Gehirns. Im Gedächtnis sind auch Denkstrategien, etwa die der Kindheit, gespeichert und abrufbar.

Der Erwachsene fluktuiert im Schlaf zwischen verschiedenen funktionellen Zuständen, die Ähnlichkeiten mit wachen funktionellen Zuständen der Kindheit haben. Somit kann beim Erwachsenen die im Schlaf dauernd weitergehende Bearbeitung aufgenommener oder aus den verschiedenen Gedächtnisspeichern abgerufener Information Denkstrategien früherer Entwicklungsstufen benutzen (funktionelle Regression). Die Fluktuationen des funktionellen Zustandes geschehen als spontane Änderung, oder als ,,paß-auf"- Reaktionen auf alarmierendes Denkmaterial. Diese Bearbeitung der heterogenen Speicherinhalte mit den verschiedenen Strategien resultiert in den formalen Charakteristika des Traums (z.B. Inkohärenz), und entspricht Freuds Traumarbeit. Wenn das Resultat dieser Bearbeitung verbal kodiert und in einem während der Wachheit abrufbaren Gedächtnisspeicher storniert wird (optimal in der REM-Phase), ist es als narrativer Traum erinnerbar.

Gut gelerntes (automatisiertes) Verhalten führt zu Leistungssteigerung, aber auch zu Einschränkung der Neubeurteilungsfähigkeit, d.h. der Fähigkeit zur Korrektur: Das Verhalten kann ohne Änderung des funktionellen Zustandes ,,unbewußt" ablaufen. Bei Generalisation (oder Verkennung) des verhaltensauslösenden Stimulus kann das ausgelöste automatische Verhalten nicht situationsgerecht sein (Neurose) und wird als Störung erlebt. Die Heilung dieser Störung verlangt Diskrimination zwischen ursprünglichem Stimulus und generalisiertem (oder verkanntem) Stimulus im aktuellen funktionellen Zustand. Die Diskrimination wird möglich durch eine Erinnerung des ursprünglichen Stimulus, die unter anderem über Traumbearbeitung erreicht werden kann. Durch die Diskrimination entsteht die Möglichkeit zur Neubeurteilung der Situation, zur Deautomatisierung, und damit zur Wahl eines neuen, situationsangepaßteren Verhaltens.