Laryngorhinootologie 1980; 59(3): 198-206
DOI: 10.1055/s-2007-1008843
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Das „Vacuum Petrosum” bei der pneumatisierten Felsenbeinpyramide und seine Beziehungen zur kryptogenetischen Pathologie der Hirnnerven V, VII, und VIII

“Vacuum Petrosum” in the Pneumatized Petrous Portion of Temporal Bone and Associated Disturbances of Cranial Nerve FunctionsA. Fioretti, P. di Paolo, A. Napolitano, S. Paradisi
  • HNO-Klinik der Universität Ancona (Komm. Direktor: Prof. Dr. A. Fioretti)
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Publication Date:
29 February 2008 (online)

Zusammenfassung

Die Autoren stellen fest, dass die Pneumatisation der Felsenbeinpyramide, seit 100 Jahren beschrieben, ein viel häufigeres Phänomen ist, als bisher angenommen wurde. Einer von ihnen (Fioretti) schlägt für das pneumatisierte Felsenbein den neuen radio-morphologischen Begriff der „Rocca Pneumatica” vor, d.h. das pneumatisierte Felsenbein. Nach Meinung der Autoren schafft die Pneumatisation der Pyramide durch eine erhebliche Veränderung der Luft-Knochen-Beziehung (gegenüber dem nicht pneumatisierten Felsenbein) beachtenswerte Varianten der Biophysik des Hörens; die bisherigen biophysikalischen Hör-Konstanten müssen im Hinblick auf die zwei Möglichkeiten der Felsenbeinarchitektur revidiert werden. Demnach verfügt der Träger eines pneumatisierten Felsenbeins über die günstigere Pyramiden-Architektur im Hinblick auf das Hören. Ferner folgern die Autoren, dass unter Berücksichtigung der höheren Wahrscheinlichkeit einer von den Luftzellen ausgehenden Petrositis nach Mittelohrentzündung, der etwas größeren Empfindlichkeit gegen Lärmschäden sowie der höheren Wahrscheinlichkeit von Mikrofrakturen bei stumpfen Schädeltraumen das pneumatisierte Felsenbein als die „Felsenbeinpyramide mit erhöhtem Risiko” angesehen werden müsse. Parallel zu gleichartigen pathophysiologischen Druckschwankungen in der Paukenhöhle und im Mastoid muß auch für die pneumatisierte Felsenbeinpyramide mit dem Phänomen des Unterdruckes gerechnet werden. Für dieses bisher nicht berücksichtigte und noch nie beschriebene Krankheitsbild empfiehlt einer der Autoren (Fioretti) den neuen Begriff des Vacuum Petrosum. Die Autoren möchten dieses Vacuum Petrosum für die folgenden Krankheitsbilder verantwortlich machen: 1. Ohrgeräusche und Schwindelsymptome, die im Zusammenhang mit Tubenstenosen und deren Folgen an Trommelfell und Mittelohr beobachtet werden. 2. Die Fortentwicklung einer Tympanosklerose zur Tympano-Laby-rinthosklerose. 3. Gewisse Fälle von Hydrops in Cochlea und Labyrinth sowie einige Ausprägungen des Hörsturzes. Nach den Vorstellungen der Autoren werden diese Symptome durch die Einwirkungen eines Unterdruckmechanismus auf die Schneckenspirale, den Saccus endolymphaticus, den inneren Gehörgang, die Arteria auditiva interna und deren Mikrozirkulation sowie auf solche Stellen, in denen Dehiszenzen der enchondralen Ossifikation bestehen, hervorgerufen. Schließlich vermuten die Autoren, dass auch die Bellsche Fazialislähmung und die ätiologisch bisher nicht erklärbare Trigeminusneuralgie durchaus durch ein Vacuum Petrosum verursacht werden können. Das Vacuum Petrosum läßt sich diagnostisch erfassen durch die Anamnese (Verdachtsmoment), durch den klinischen und audiologischen Untersuchungsbefund (Wahrscheinlichkeit) und letztlich durch die Röntgenuntersuchung, gipfelnd im Computertomogramm (Bestätigung der Diagnose). Die bisherigen Untersuchungen ergaben vorerst ein ungewöhnlich häufiges Vorhandensein einer pneumatisierten Felsenbeinpyramide bei einer großen Anzahl kryptogenetischer Schallempfindungsschwerhörigkeiten.

Summary

Authors observed in cases of kryptogenetic diseases of cranial nerves V, VII and VIII a significant higher frequency of well pneumatized petrous portion of the temporal bone than in normal population. They suppose that, parallel to the symptoms of Eustachian tube occlusion in the middle ear region, the “Vacuum Petrosum” causes these disturbances of cranial nerve functions and try to interpret the mechanism in the particular cases.