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DOI: 10.1055/s-2007-1022530
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
70 Jahre und ein bisschen Wechsel
70 Years and Small ChangesPublikationsverlauf
Publikationsdatum:
14. Februar 2008 (online)
Das Jahr 2008 möge für alle Leserinnen und Leser ein gutes Jahr werden! Unserer Zeitschrift beschert es den 70. Jahrgang. Dies mag zunächst überraschen, ist sie doch schon im Jahr 1935 gegründet und bei Thieme in Leipzig verlegt worden. Die Diskrepanz der Jahrgangszählung zum kalendarischen Alter von 73 Jahren ergibt sich aus der Zeit zwischen der bedingungslosen Kapitulation des „Dritten Reichs” und der Stunde Null der heutigen Bundesrepublik im Jahr 1949. Die von ihr abgelöste Vorgängerzeitschrift, die in Fischers Medizinischer Buchhandlung verlegte „Zeitschrift für Medicinalbeamte” des jüdischen Verlegers Kornfeld, hat als Gründungsjahr sogar 1888. Die bisweilen wechselvolle Geschichte der Zeitschrift war bereits ausführlicher beschrieben worden [1] [2].
Während die ersten 20 Jahre der Zeitschrift („Der Öffentliche Gesundheitsdienst”) von der Trias Schröder/Hagen/Daniels als Schriftleitung gestaltet wurden, war in den folgenden 20 Jahren („Das Öffentliche Gesundheitswesen”) Walter Steuer als Hauptschriftleiter zusammen mit einem Schriftleitergremium tätig. Diese Struktur wurde von Johannes Gostomzyk in den folgenden zwei Dekaden von 1988 bis 2007 („Das Gesundheitswesen”) zunächst übernommen, um dann in Zusammenarbeit von Hauptschriftleiter und Schriftleitergremium Inhalt, Struktur und Profil in der Zeitschrift weiterzuentwickeln.
Mindestens so aufschlussreich wie die sich wandelnden Haupttitel der Zeitschrift sind die Untertitel: Diese waren in der ersten Phase Gesundheitsverwaltung, Sozialhygiene, wandelten sich in der zweiten Phase zu Präventivmedizin und Rehabilitation, Sozialhygiene und ÖGD und erweiterten sich in der dritten Phase nochmals zum heutigen Untertitel Sozialmedizin, Gesundheits-System-Forschung, Public Health, Education, Öffentlicher Gesundheitsdienst, Medizinischer Dienst.
Die Erweiterung des inhaltlichen Spektrums vollzog sich als bewusstes, in den Beiträgen der Zeitschrift gelebtes Programm und reflektiert jeweils auch eine Erweiterung der Zielgruppen. Sie bescherte ihr nicht nur einen erweiterten Leserkreis, sondern auch einen erweiterten Horizont. Dieser umfasst heute für den deutschen Sprachraum die Themen, die im angloamerikanischen Sprachraum begrifflich mit Public Health verbunden sind [3] [4]. Damit gelang der Zeitschrift erfolgreich der Zugang zum internationalen wissenschaftlichen Forum: Artikel in „Das Gesundheitswesen” sind heute in elektronischen Datenbanken wie PubMed gelistet und damit elektronisch weltweit auffindbar. Der Impactfaktor im Social Science Citation Index (SSCI) ist seit drei Jahren ansteigend: Der aktuelle Wert von 0,716 ist in diesem Fach ein sehr gutes Ergebnis. Es scheint damit der Zeitschrift in den letzten beiden Dekaden gelungen zu sein, die Funktion eines Integrals über die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche zu übernehmen, in denen Gesundheit gestaltet und verwaltet wird.
Um Beispiele in Erinnerung zu rufen: Die Durchführung großer epidemiologischer Studien war eine wichtige gesundheitswissenschaftliche Innovation der letzten beiden Dekaden im deutschen Sprachraum. „[Public Health] links many disciplines and rests upon the scientific core of epidemiology”- so das amerikanische Institute of Medicine [3, S. 41]. Viele dieser Studienergebnisse wurden und werden im „Gesundheitswesen” veröffentlicht. Genannt seien Publikationen aus dem Bundesgesundheitssurvey bzw. den Nationalen Untersuchungssurveys, Studien der verschiedenen MONICA Studienzentren und die Studien des Nachfolgezentrums KORA Augsburg.
Die Zeitschrift hat nicht nur die Erschließung moderner quantitativer epidemiologischer Forschung für die Praxis geleistet. Sie hat darüber hinaus selbstverständlich und gleichberechtigt ein Forum zur Diskussion neuer theoretischer und gesundheitspolitischer Ansätze geboten, ebenso wie der historischen Einordnung wichtiger Fragestellungen. Beispiele hierfür sind Gesundheitskonferenzen und Gesundheitsberichterstattung, neue konzeptionelle Ansätze der Begutachtung, historische Beiträge aus den verschiedenen Fachgebieten, der Ansatz von Lebensumwelten in Gesundheitsförderung und Prävention (Settingansatz) und der historisch bedeutsame Beitrag zur Aufarbeitung der Rollen des Gesundheitsamtes im Nationalsozialismus (Das Gesundheitswesen 69 (S. 1/2007)). „Erinnern!” und „Die Taten offen legen - den Opfern Namen geben” sind die einleitenden Textteile programmatisch überschrieben, welche dann zu den bedrückenden Fallstudien hinführen („Die staatliche Gesundheitsbürokratie spielt Schicksal”).
Der 70. Jahrgang der Zeitschrift im Jahr 2008 bringt nach zwei Dekaden wieder einen Wechsel in der Hauptschriftleitung. Ab diesem Heft wird sie an Manfred Wildner vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in München bzw. Oberschleißheim übergehen, der bereits Mitglied der Schriftleitung ist. Der bisherige Hauptschriftleiter, Johannes G. Gostomzyk, wird im Schriftleitergremium verbleiben und in dieser Funktion die Zeitschrift weiter begleiten. Dies entspricht einer guten Tradition.
Oft ist das, was zwischen den Zeilen zu lesen ist, bedeutsamer als das Geschriebene. Dass der Mensch Mitte und Maß sei, um diesen alten Satz in einem ethischen Kontext zu verwenden, ist das selbst auferlegte Maß der Zeitschrift [siehe auch 5]. Dieses Maß gilt für eine Bewegung von „Innen”über die grundlegenden Systeme von Genen, Zellen und Organen zum ganzen Menschen hin, und es gilt auch für eine Bewegung von „Außen”, von der Bevölkerungsgesundheit kommend, dem Gesundheitssystem und seinen Subsystemen hin zum Individuum. Der Mensch als Mitte und Maß gilt nicht nur als Grenze des Gesollten, Verdankten, Erlaubten. Er gilt auch als Mitte eines komplexen modernen Gesundheitswesens. Solchen komplexen Systemen begegnen wir in der Europäischen Union mit vielfältigen Ausprägungsformen für die Erbringung individueller, kooperativer und häufig solidarisch organisierter bzw. finanzierter Leistungen.
Ein Wechsel also zum Jahresbeginn? Ja, wenn Wechsel wohl verstanden wird: Nämlich als notwendiger Wandel mit dem bleibenden Ziel, die Fachgebiete zu begleiten, zu reflektieren und in ihnen Impulse zu setzen. Welcher Wandel ist aktuell zu spüren? Fast unbemerkt haben sich in den letzten 20 Jahren begriffliche Verschiebungen ereignet: Das „Gesundheits”wesen in Deutschland bewegt sich zunehmend auf seinen eigentlichen Wortsinn hin: Gesundheit verstanden als ein zu erhaltendes grundlegendes Gut, nicht nur als ein der Erkrankung abzuringender wünschenswerter Zustand. Gesundheit in diesem Sinn ist heute z. B. Gegenstand eines kontrovers diskutierten Präventionsgesetzes oder Werbebild einer wirtschaftlich expandierenden, bisweilen durchaus kritisch zu sehenden Wellness-Kultur. Die Adjektive „sozial” und „öffentlich” haben sich ebenfalls im sprachlichen Selbstverständnis gewandelt, weg von der Assoziation „staatlich” oder „paternalistisch-fürsorglich”, hin zu einem Assoziationsfeld im Sinne von „öffentlich verantwortet”, „bürgerschaftliche Verantwortung wahrnehmend”, „gemeinsam und partizipativ gestaltet”. Auch der „Dienst”- begriff - z. B. in den Zusammensetzungen „Öffentlicher Gesundheitsdienst” oder „Medizinischer Dienst”- hat eine veränderte, unserer Zeit entsprechendere begriffliche Bedeutung erlangt. Heute ist mit diesem Wort weniger der Dienst für einen Staat oder aus einem abstrakten Staatsbegriff heraus gemeint. Vielmehr impliziert er eine Serviceleistung: Für eine in Freiheit miteinander verbundene bürgerliche Gemeinschaft in ihren vielfältigen Rollen als Versicherungsnehmer, Patient, Leistungserbringer, Finanzier oder Organisator von Leistungserbringung.
So wie sich die inhaltliche Substanz fortentwickelt, muss sich auch das „Gewand” der Zeitschrift bisweilen wandeln. Die selbst gesteckten Ziele der Zeitschrift betreffen inhaltlich die wissenschaftliche Positionierung, die fachliche Akzeptanz und die Resonanz im Feld. Das „Gewand” dafür ist das mediale Format - auch eine verlegerische Herausforderung.
Das erste Ziel, also der Erhalt und die Stärkung der Position als einer führenden deutschsprachigen wissenschaftlichen Fachzeitschrift im Gebiet, beinhaltet dreierlei: Zum einen ihre Funktion als Publikationsorgan für Innovation und Forschung mit hohem wissenschaftlichen Anspruch und Impact, zum zweiten als Publikationsorgan für Fort- und Weiterbildung, sowie drittens als Diskussionsforum für aktuelle Entwicklungen und Diskussionen. Letztere Aufgabe will Freiräume schaffen und nützen, um im Sinne eines konstruktiven Dissenses einen nachhaltig tragfähigen, gemeinschaftsstiftenden Konsens zu begründen.
Das zweite selbstgesteckte Ziel der Zeitschrift ist eine weiterhin hohe Akzeptanz bei möglichst allen Nutzern. Hierfür wird die Zeitschrift in näherer Zukunft eine Leserbefragung durchführen und die Auswertung der Schriftleitung zur Diskussion vorlegen.
Als drittes Ziel will die Zeitschrift diesen Aufgaben in einem zeitgerechten medialen Format nachkommen. Dies beinhaltet auch die Gestaltung der Rubriken. Der Rubrik des Editorials soll zukünftig verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet werden. Dazu wollen wir ggf. auch Gasteditoren einbeziehen. Der wissenschaftliche Teil soll neben Originalarbeiten auch Originalien in Kurzform Platz bieten. Er wird zukünftig die neue Möglichkeit des „Electronic Long Print Short” (ELPS) geben, also einem elektronischen Original im Internet und einer im Heft gedruckten Zusammenfassung. Dieses neue Format des ELPS wird es mehr Autoren ermöglichen, bei knappem Platz auffindbar und zitierbar in der Zeitschrift zu publizieren. Die ELPS-Option bietet eine weitere Chance: Während Konsens zwischen Verlag, Schriftleitung und wohl auch Lesern besteht, dass „Das Gesundheitswesen” eine deutschsprachige Fachzeitschrift ist und bleiben soll, wird die ELPS-Version auch englischsprachige Originalarbeiten akzeptieren. Damit besteht die Hoffnung, dass die Arbeiten aus dem deutschen Sprachraum verstärkt international rezipiert werden. Originalarbeiten sollen darüber hinaus die Möglichkeit erhalten, eine „Schnelllesestrecke” mit Merksätzen und einem Fazit für die Praxis einzurichten.
Weiterhin ist ein Element der Fort- und Weiterbildung mit Vergabe von CME-Punkten (Continuing Medical Education) vorgesehen, was dem diesbezüglichen bestehenden Untertitel der Zeitschrift („Education”) auch im praktischen Vollzug gerecht werden soll. Als eigene Rubrik wird das aktuelle Forum das Dach bilden für aktuelle Diskussionen und Kurzinterviews, der bekannte Umschauteil für Leserbriefe, kurze Berichte aus der Praxis, Personalien, Buchbesprechungen, Nachrichten der Verbände, Tagungsberichte, Gesetze und Rechtsverordnungen und sonstige Mitteilungen.
Ob dies alles gelingen wird? Sicher nicht alles auf einmal und sicher nur gemeinsam. Gemeinsam in der Schriftleitung und mit dem Beirat, gemeinsam mit dem Verlag, gemeinsam mit den Autorinnen und Autoren und gemeinsam mit Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, den Experten, Entscheidungsträgern und Multiplikatoren im Feld!
Johannes G. Gostomzyk
Manfred Wildner
Literatur
- 1 Gostomzyk JG. Die Zeitschrift „Das Gesundheitswesen” und der Wandel öffentlicher Gesundheit. Gesundheitswesen. 2000; 62 1-3
- 2 Gostomzyk JG. Prof. Dr. Walter Steuer: vier Jahrzehnte Steuermann für Öffentliche Gesundheit. Gesundheitswesen. 2007; 69 424-426
-
3 Institute of Medicine .
The future of Public Health . Washington. National Academies Press 1988: S. 41 -
4 Institute of Medicine .
The future of the public's health in the 21st century . Washington, National Academies Press 2002 -
5
, Festrede von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Tödliche Medizin - Rassenwahn im Nationalsozialismus” im Deutschen Hygiene-Museum am 11.10.2006 in Dresden.
http://www.bmi.bund.de/nn_1027788/Internet/Content/Nachrichten/Reden/2006/10/BM_Ausstellung_ToedlicheMedizin_Rassenwahn_im_Nationalsozialismus.html
, (Zugriff am 19.12.2007)
Korrespondenzadresse
PD Dr. Manfred Wildner
Bayerisches Landesamt für
Gesundheit und Lebensmittelsicherheit
Veterinästr. 2
85764 Oberschleißheim
eMail: manfred.wildner@lgl.bayern.de