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DOI: 10.1055/s-2007-959229
Ist Deutsch als Sprache der Psychiatrie noch up to date?
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
16. Mai 2007 (online)
Fortschr Neurol Psychiat 2007; 75: 55 - 58
Sehr geehrter Herr Prof. Peters,
mit großer Begeisterung und Zustimmung habe ich vorhin Ihren Artikel gelesen. Jede Sprache hat ihren Verdienst, aber nicht in jeder Sprache kann alles gleichartig und noch weniger gleichwertig ausgedrückt werden. In irgendeiner Philosophie-Geschichte habe ich einmal gelesen, dass es vielleicht kein Zufall sei, warum die großen abendländischen Philosophen Griechisch und zweitausend Jahre später Deutsch schrieben. Und vielleicht kann die Ausdrucksvielfalt psychischen „Andersseins” in einer Sprache wie Deutsch mit ihrer Freiheit in der Wortstellung, ihrer Fähigkeit zu unendlich vielen Neubildungen durch Zusammenfügen von Substantiven, ihrem grammatikalischen Formenreichtum mit den dadurch gegebenen Bedeutungsnuancierungen usw. usw. doch etwas differenzierter wiedergegeben werden als in einer so logisch stringenten Sprache wie dem Französischen oder im so pragmatisch-empiristisch-rationalistischen Englisch und erst recht Amerikanisch. Ich lese viel englische Fachliteratur, und ich verstehe einen Sachverhalt, von dem ich nicht viel Kenntnis habe, wird er in einer englischen Arbeit dargestellt, oft schneller und besser als wenn ich eine vergleichbare deutsche Arbeit lese - aber wenn es um die verschlungenen Pfade der „irrenden Seele” geht, dann scheint mir das Deutsche, sofern es der Autor beherrscht, was nicht von jedem gesagt werden kann, der Deutsch als Muttersprache gelernt hat, angemessener, treffender, „tiefer” zu sein.
Sie weisen an einer Stelle darauf hin, dass „disorder” eigentlich nicht „Störung” entspricht. Mein erster Gedanke war: Endlich sagt es jemand! Ich finde es inzwischen fast schon belustigend - früher habe ich mich noch geärgert -, wenn auf Kongressen so stolz davon geredet wird, dass der Krankheitsbegriff in der Psychiatrie doch problematisch sei, entsprechende oberflächliche Passagen finden sich auch in der ICD-10, aber 2 Minuten später dann stolz von neugefundenen „Komorbiditäten” zwischen dieser und jener und noch einer 3. „Störung” geredet wird.
Der Verlust an sprachlicher Differenziertheit führt gerade in unserem Fach früher oder später zu einem Verlust an inhaltlicher Differenziertheit - letztlich zum Schaden derjenigen, um die es uns als klinische Psychiater gehen sollte: zum Schaden der Patienten. Denn man sieht nur, was man kennt.
Und weil es so schade wäre, wenn so viel altes Wissen verschwände, für junge Kollegen in heute altertümlich erscheinender Sprache ausgedrückt und deshalb von ihnen gar nicht mehr zur Kenntnis genommen, wäre es so wichtig, dass hoffentlich bald die lang angekündigte Neuauflage Ihres Wörterbuchs der Psychiatrie und medizinischen Psychologie erscheint.
Ich wünsche Ihnen auch hierfür von Herzen Gesundheit und Kraft.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. med. Dipl.-Psych. Hubert Heilemann
Ärztlicher Leiter des SKH Arnsdorf Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Hufelandstr. 15
01477 Arnsdorf
eMail: Hubert.Heilemann@skhar.sms.sachsen.de