Notfallmedizin up2date 2007; 2(1): 73-92
DOI: 10.1055/s-2007-964870
Spezielle Notfallmedizin

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Das Wirbelsäulentrauma

Dirk Winkler, Thomas Roger Blattert, Jürgen Meixensberger
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
26. Oktober 2007 (online)

Kernaussagen

Das spinale Trauma kann in unterschiedlichem Maße zu einer mechanischen Schädigung von knöchernen und/oder disko-
ligamentären Strukturen der Wirbelsäule und/oder des Rückenmarks bzw. der Nervenwurzeln führen.

Die komplette Querschnittslähmung führt im Vergleich zur inkompletten Querschnittslähmung zum totalen Funktionsverlust in den subläsionellen Körperbereichen, gekennzeichnet durch schlaffe Lähmung der Skelettmuskulatur, Fehlen von Fremd- und Eigenreflexen, Fehlen der Gefäßkontrolle und Wärmeregulation sowie schlaffe Lähmung von Harnblase und Mastdarm bzw. durch Eintreten eines spinalen Schocks.

Die Dramatik des spinalen Schocks wird durch Blutdruckabfall, akutes Nierenversagen, Schocklunge (ARDS) und innersekretorische Störungen mit Elektrolytverschiebungen und Hyperglykämie begründet.

Der Einteilung der Wirbelsäulen- bzw. Rückenmarksverletzungen liegt die Schwere der neurologischen Ausfallsymptomatik, der Beteiligung der Extremitäten, das Verteilungsmuster neurologischer Ausfälle als auch die Komplexität der knöchernen Begleitverletzungen zugrunde.

Bei vermutetem Wirbelsäulentrauma hat bis zu dessen sicherem Ausschluss jede Form der Diagnostik unter strikter Schonung der Wirbelsäule unter Gebrauch der jeweiligen, im Rettungsdienst verfügbaren Hilfsmittel zu erfolgen, um eine weitere, manipulationsbedingte Rückenmarksverletzung zu vermeiden.

Eine einmal detektierte Wirbelsäulenverletzung schließt nicht das Vorliegen weiterer Verletzungen der Wirbelsäule aus.

Beim polytraumatisierten Patienten und beim Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma muss prinzipiell bis zu dessen Ausschluss von einer spinalen Mitbeteiligung ausgegangen werden.

Bei Patienten mit neurologischen Auffälligkeiten der Motorik, Sensibilität, des Vegetativums, soweit eruierbar, und bei Patienten mit Schmerzen im Wirbelsäulenbereich sollte eine spinale Mitbeteiligung immer unterstellt werden.

Besondere Beachtung kommt bei der Versorgung Wirbelsäulenverletzter dem Beatmungs- und Kreislaufmanagement zu.

Ziel der prähospitalen medikamentösen Intervention ist in erster Linie die Vermeidung bzw. Behandlung sekundärer Myelon- bzw. Nervenschädigungen.

Nur bedingt evidenzbasiert ist die Anwendung von Methylprednisolon (initial: 30 mg/kg KM über 15 min, kontinuierlich: 5,4 mg/kg KM/h via Infusion/Perfusor über 23 Stunden).

Sowohl konservative als auch operative Maßnahmen zielen darauf ab, fortschreitende Funktionsausfälle des Rückenmarks und Fehlstellungen der Wirbelsäule zu vermeiden oder möglichst dauerhaft rückgängig zu machen.

Jedes neurologische Defizit stellt eine absolute Notfall-Indikation zur operativen Versorgung dar, sofern nicht andere vital bedrohliche Begleitverletzungen eine sofortige neurochirurgische/traumatologische Versorgung verbieten oder aber eine Remission diagnostizierter neurologischer Ausfälle nachweisbar ist.

Inhalt der nachfolgenden intensivmedizinischen Betreuung ist neben der physikalischen krankengymnastischen und physiotherapeutischen Therapie in erster Linie die Prophylaxe der respiratorischen Insuffizienz, die Behandlung von paralytischem Ileus und Blasenlähmung, die Asystolieprophylaxe durch konsequente Monitorüberwachung, die Thromboseprophylaxe als auch Dekubitusprophylaxe.

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Dr. Dirk Winkler

Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie

Liebigstraße 20

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