Intensivmedizin up2date 2007; 3(2): 85-86
DOI: 10.1055/s-2007-966435
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Outsourcing ärztlicher Leistungen in der Intensivmedizin

Deakademisierung - langfristig gesehen Rückschritt durch StillstandH.  Van Aken, H.-U.  Steinau, W.  Hiddemann
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
05. Juni 2007 (online)

Der große Investitionsstau an den Hochschulen, die abgeschlossenen Tarifverträge, der Mehrbedarf an Ärzten in den Kliniken durch die Verpflichtung, seit Januar 2007 das Europäische Arbeitszeitgesetz für Ärzte umzusetzen sowie die Neueinführung der Finanzierung von Krankenhausleistungen durch das DRG-System führen in den Krankenhäusern zu einem enormen Kostendruck. Noch höher wird dieser Schuldenberg durch steigende Energiepreise und die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Dies macht Umstrukturierungen wie in vielen Wirtschaftsbetrieben erforderlich, um in den folgenden Jahren in der Krankenhauslandschaft in Deutschland noch überleben zu können. Ein Kampf, von dem erwartet wird, dass ihn nicht alle Kliniken überleben werden. Neben einer Privatisierung von Krankenhäusern, Neuausrichtung von Kliniken mit Abstoßen von Teilleistungen, die nicht ökonomisch sinnvoll erbracht werden können, werden deshalb in vielen Häusern einzelne Bereiche ausgelagert und an private Unternehmen übergeben. Dies betrifft vor allem Dienstleistungsbereiche wie Reinigungsdienste, Wäschereien und Klinikkantinen, macht aber auch vor Labor- und radiologischen Leistungen nicht Halt. Zusätzlich werden öffentlich private Partnerschaften (ÖPP) diskutiert, um den enormen Investitionsstau zu bewältigen. Dies betrifft vor allem die Erneuerung der maroden Infrastruktur sowie die Bereitstellung von Investitionsgütern wie teuren technischen Geräten. Gefragt werden muss, wie weit ein Outsourcen von Teilleistungen sowie ÖPP-Projekte Einfluss auf die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung und auf den Wissenschaftsstandort Deutschland haben werden. Bereits jetzt gibt es erste Bestrebungen, ÖPP-Projekte nicht nur auf die Bereitstellung von Investionsgütern zu beschränken, sondern die Bereitstellung ärztlicher Leistungen mit einzubeziehen. Wird in Zukunft das Angebot ärztlicher Leistungen nicht durch die Klinik, sondern durch den privaten Partner, die Industrie, oder die Investoren bestimmt? Besonders kritisch ist dies in hochsensiblen Bereichen wie in der Intensivmedizin. Eine große Gefahr besteht darin, dass einem Industrieunternehmen die gesamte Steuerung und Ausrichtung der Intensivstation überlassen wird, in dem für weniger lukrative Patienten keine Kapazitäten bereitgestellt werden. Dies könnte auch bedeuten, dass einzelne Fachabteilungen benachteiligt werden, die zwar im Sinne des DRG-Systems gewinnbringend arbeiten und somit für das Krankenhaus ökonomisch sinnvoll sind, die aber dem die Infrastruktur bereitstellenden Industrieunternehmen keine zusätzlichen Gewinne durch Verwendung industrienaher Produkte einbringen. Wird in solche erweiterten ÖPP-Projekte die Bereitstellung ärztlicher Leistung mit einbezogen und der Arzt Angestellter des Industrieunternehmens und nicht des Krankenhauses, ist die ärztliche Therapiefreiheit erheblich in Frage gestellt. In einem solchen Modell ist vorstellbar, dass in Zukunft manche Therapieverfahren weniger häufig durchgeführt werden, wenn der private Partner nach Geräteauslastung mit dem Krankenhaus abrechnet. Patientenbezogene ärztliche Tätigkeiten im Bereich der Krankenversorgung müssen aus ÖPP-Projekten ausgeklammert bleiben. Originär ärztliche Tätigkeiten können nicht durch für den Patienten nicht transparente Dritte erbracht und dessen Profitgedanken unterworfen werden. Während sich im nichtärztlichen Bereich durch Outsourcen Senkungen in den Personalkosten erreichen lassen, ist dies im ärztlichen Bereich in Zeiten des Ärztemangels kaum vorstellbar. Das heißt, die Drittanbieter werden den Kliniken Personalkosten mindestens in unveränderter Höhe in Rechnung stellen, während diese gleichzeitig den Einfluss auf die Auswahl und Qualifikation der Mitarbeiter verlieren.

Besondere Probleme ergeben sich an den Hochschulkliniken, wenn Teilgebiete der Patientenversorgung und damit des ärztlichen Personals an Dritte übergeben werden. Wer wird die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre garantieren, oder wird sie sich den Interessen der Unternehmen unterordnen müssen und ausschließlich als industrienahe Forschung und Lehre betrieben werden? Dies würde die rechtlich garantierte Wissenschaftsfreiheit einer Hochschule erheblich in Frage stellen. Gleichzeitig wird es zu einer Diskrepanz zwischen Lehrinhalten und der in der Praxis gesehenen Durchführung kommen, wenn für beides völlig unterschiedliche Anbieter zuständig sind. Junge Wissenschaftler werden ihre Weiterbildungsstätten danach aussuchen, wo ihnen nicht nur attrakive Forschungsmöglichkeiten und Aufgaben in der Lehre, sondern gleichzeitig auch eine qualitativ hochwertige klinische Weiterbildung mit einem mit dem Klinikdirektor abgestimmten individuellen Rotationsplan geboten wird.

Wollen wir so hohe Güter wie die Gesundheit unserer Bevölkerung und die Ausrichtung der Forschung und Weiterbildung vollständig in die Hände privater Unternehmen abgeben oder ist es nicht vielmehr höchste Zeit, vorher sinnvolle Grenzen zu definieren?

Prof. Dr. Dr. h. c. H. Van Aken
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V.

Prof. Dr. H.-U. Steinau
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie e.V.

Prof. Dr. W. Hiddemann
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V.

  





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