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DOI: 10.1055/s-2007-971007
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Die Reiseapotheke
Publication History
Publication Date:
26 November 2007 (online)

Der Fall
Der Notarzt wird unter dem Stichwort „Plötzliche Bewusstlosigkeit” in eine Wohnung gerufen. Dort findet er eine ca. 25-jährige Frau auf dem Boden liegend vor, die von der vorher eingetroffenen RTW-Mannschaft mit Beutel und Maske beatmet wird. Zur Anamnese erfährt er zunächst, dass der Freund der Patientin und sie am Vorabend von einer längeren Guatemalareise zurückgekehrt seien. In den Vormittagsstunden hätte seine Freundin über Schwindel geklagt, hätte mehrfach erbrochen und sich dann wieder ins Bett gelegt. Jetzt, etwa drei Stunden später, hätte er sie kaum ansprechbar in ihrem Bett vorgefunden und daher den Rettungsdienst alarmiert.
Die schlanke Patientin ist bewusstlos ohne Reaktion auf äußere Stimuli. Es bestehen langsame, irreguläre, kaum sichtbare Atembewegungen. Der Blutdruck ist mit 70/30 mm Hg deutlich erniedrigt, die Herzfrequenz am Monitor mit 150/min deutlich erhöht. Im Monitor-EKG fallen einzelne supraventrikuläre Extrasystolen auf. Die Sättigung unter Maskenbeatmung mit 15 l O2/min liegt bei 97 %.
Während des Legens eines periphervenösen Zuganges tritt ein Krampfanfall auf, der nach etwa 2 min wieder sistiert. Im EKG wird jetzt eine ventrikuläre Tachykardie beobachtet; Pulse sind nicht tastbar. Erst nach dreimaliger Defibrillation und Gabe von insgesamt 1,5 mg Adrenalin sowie insgesamt 5-minütiger Herzdruckmassage wird wieder ein Puls tastbar. Da die Patientin in ihrer Bewusstseinslage unverändert bleibt, wird sie endotracheal intubiert und unter Fortführung der Beatmung sowie Gabe von Ringerlösung bei ausgeprägter Hypotonie in die Klinik gebracht.
Dort besteht unverändert ein Blutdruck von 75/30 mm Hg und eine Sinustachykardie von 140/min. Da die bereits applizierten 1500 ml Ringerlösung ohne blutdrucksteigernden Effekt waren, wird mit einer niedrig dosierten Noradrenalininfusion begonnen. Trotz Dosisteigerung kommt es jedoch nicht zu einer Normalisierung des Blutdrucks. Da das zwischenzeitlich mit PICCO gemessene Herzzeitvolumen bei nur 2,5 l/min liegt, wird auf Adrenalin gewechselt. Damit kann eine Normalisierung des Blutddruckes von 110/70 mm Hg erreicht werden und auch die Urinproduktion setzt wieder ein. In der Blutgasanalyse findet sich eine schwere metabolische Azidose mit pH 7,27 und St.Bic von 14,7 mmol/l sowie eine Hypokaliämie von 3,0 mmol/l, die sich auch erst nach einer Zufuhr von über 80 mmol KCl in den folgenden Stunden normalisieren lässt.
Etwa zwei Stunden nach dem initialen Ereignis kommt der Freund der Patientin ins Krankenhaus und bringt eine zerrissene Schachtel sowie leere Blisterpackungen von Resochin® à 50 Tabletten mit, die er im Küchenmülleimer gefunden hatte. Er äußert die Vermutung, dass seine Freundin einen Suizidversuch unternommen haben könnte, da sie dergleichen in der Vergangenheit bereits 3-mal versucht habe. Die Tabletten hätten sie zur Notfalltherapie einer etwaigen Malariaerkrankung im Urlaub dabeigehabt, jedoch nicht benutzt.
Die daraufhin veranlasste toxikologische Analytik bestätigt etwa vier Stunden später tatsächlich eine Chloroquinvergiftung mit einer Konzentration von 20 mg/l (therapeutisch bis max. 0,6 mg/l).
Auf Empfehlung einer Giftinformationszentrale wird die Analgosedierung mit Midazolam/Fentanyl um Diazepam mit einer Dosis von 2 mg/kg je 24 h ergänzt.
Etwa 36 Stunden später kann sukzessive das Adrenalin reduziert und schließlich beendet werden. Nach Beendigung der Analgosedierung wird die Patientin etwa zwei Tage nach dem Ereignis wieder wach und kann extubiert werden. Nach weiteren 12 Stunden ist sie soweit aufgeklart, dass sie mit dem Psychiater sprechen kann, der eine akute Belastungsreaktion ohne fortbestehende Suizidalität diagnostiziert und eine ambulante psychiatrische Betreuung anregt.
Literatur
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- 6 Riou B, Barriot P, Rimailho A, Baud F J. Treatment of severe chloroquine poisoning. N Engl J Med. 1988; 318 (1) 1-6
Priv.-Doz. Dr. Frank Martens
Charité, Campus Virchow Klinikum, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin
Email: frank.martens@charite.de