Psychiatr Prax 2007; 34(2): 101-102
DOI: 10.1055/s-2007-972759
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Szene
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Publication Date:
28 March 2007 (online)

zu den Artikeln von Klimitz H. Psychoedukation bei schizophrenen Störungen und Bäuml J. Psychoedukation aus psychiatrisch/psychotherapeutischer Sicht. Psychiat Prax 2006; 33: 372-382

Meines Erachtens bedürfen diese Artikel einer Kommentierung aus der Sicht eines niedergelassenen Nervenarztes, der über viele Jahre eine größere Gruppe von chronisch schizophrenen Patienten behandelt, betreut und begleitet. Ich bin zunächst Herrn Klimitz sehr dankbar, dass in seinem Artikel er wenigstens partiell gegen die positivistische Verkürzung des psychiatrischen Handelns, wie sie der "Mainstream" der herrschenden Psychiatrie derzeit verkündet, Stellung nimmt. Er weist auch - entgegen der üblichen Darstellungen und Publikationen - darauf hin, dass das psychiatrische Handeln auch in den letzten 20 Jahren nicht zu einer "Erfolgsgeschichte" geworden ist. In der veröffentlichten Meinung kann man oft den Eindruck haben, dass bei richtigem "leitliniengerechten" Vorgehen mit den richtigen Substanzen und weiteren Begleitmethoden der Lebensweg schizophren erkrankter Menschen grundlegend geändert werden könnte. Leider gilt das nur für eine kleine Gruppe der Erkrankten, wie Herr Klimitz mit Recht betont, und die meisten unserer Patienten bleiben leider chronisch krank, leben am Rande der Gesellschaft und können nicht so rehabilitiert werden, wie es unsere Gesellschaft mit ihrer Anforderung des ständigen Gelingens und Erreichens großer Ziele von allen Beteiligten erwartet.

Dies ist die wichtigste Erfahrung des niedergelassenen Nervenarztes, der die Patienten ja nicht nur in den kurzen Intervallen der Klinikzeit kennt. Bei vielen der ungefähr 250 Menschen mit chronischer Schizophrenie überblicke ich jetzt 20 Jahre ihrer Lebensgeschichte. Auch sehe ich, entgegen der Auffassung der Autoren, nur bei ganz wenigen dieser Menschen eindeutige "Rezidive". Vielmehr beobachte ich in erster Linie einen chronischen Verlauf, nur ganz selten symptomfreie Zeiten und immer wieder krisenhafte Zuspitzungen, wo sich meine Patienten so auffällig von der Wirklichkeit entfernen, dass intensivere Behandlung in der Klinik notwendig wird. Die meisten dieser Patienten nehmen seit vielen Jahren Neuroleptika ein, sowohl traditionelle (in meiner Praxis insbesondere Perazin, Flupentixol und Clozapin), aber auch die neueren Präparate.

Kaum einer dieser Patienten neigt dazu, wie Herr Bäuml in seinem Kommentar meint, seine Krankheit zu psychologisieren. Ich habe dies in meiner großstädtischen Tätigkeit in Bremen häufiger bei Patienten, die aus dem studentischen Milieu kommen so erlebt; hier in einer süddeutschen Kleinstadt kann ich die Patienten, die psychologisierend sich einer psychiatrischen Behandlung entziehen an einer Hand abzählen.

Die Patienten halten, trotz aller Nebenwirkungen, sowohl bei Verordnung der so genannten Typika, wie der Atypika die Medikation meistens über viele Jahre ein. Dies liegt sicherlich auch an den unterstützenden Gesprächen in der Klinik, wo Ihnen die Wirksamkeit der Psychopharmaka erklärt wird; wichtiger ist aber, dass sie sie am eigenen Leibe gespürt haben und diese Erfahrung über Jahre immer wieder mit dem behandelnden Nervenarzt, aber auch mit ihren anderen sozialtherapeutischen Begleitern in Wohngemeinschaft, Tagesstätte, Werkstätte etc. besprechen. Dabei ist die Beziehung zu den betreffenden therapeutischen Personen viel wichtiger als Informationen über hypothetische Wirkungsweise von Psychopharmaka. Einige dieser Patienten haben im Laufe ihrer Lebensgeschichte an solchen psychoedukatorischen Gruppen in den Kliniken teilgenommen. Sie haben davon erzählt und wichtig war ihnen sicherlich der intensive Austausch mit Patienten über Wirkung und Nebenwirkung. Nur bei einigen sind aber die dort vermittelten Inhalte weiterhin wichtig und wirksam für ihr Verhalten.

Ich bin davon überzeugt, dass (wie auch bei vielen körperlichen Krankheiten) die vertrauensvolle Beziehung zum Therapeuten die entscheidende Grundlage zur sogenannten "Compliance" ist. Die ist wohl besonders dann gut wirksam von der ärztlichen Seite, wenn der Arzt sich nicht nur als Pharmakotherapeut, sondern auch als Sozialtherapeut und Psychotherapeut im Rahmen der gemeinsamen Beziehung erlebt und enge Kontakte zu den anderen Mitwirkenden im sozialtherapeutischen Netz hält.

Das wichtigste dabei ist meiner Erfahrung nach die innere Haltung des Therapeuten. Er muss die Balance halten zwischen der fürsorglichen Begleitung eines chronisch beschädigten Menschen auf der einen Seite und dem respektvollen und gleichberechtigten Umgang mit einem selbständigen Gegenüber. Nur so wird man die Beziehung über lange Jahre aufrechterhalten können.

Die befürchtete Unterwanderung durch die Pharmaindustrie sehe ich bei unserern Patienten nicht. Sie wissen ja aus eigener Erfahrung, dass die Versprechungen der Hochglanzbroschüren der Pharmaindustrie so nicht stimmen. Wenn sie überzeugt sind, dass der Arzt nach bestem eigenen Wissen und Gewissen entscheidet und nicht nach Interessen anderer, werden sie im Regelfall seine medikamentösen Vorschläge akzeptieren. Unterwanderungsgefahr sehe ich vielmehr bei vielen Kollegen, sowohl in Klinik wie in Praxis, wo ich aufgrund äußerer Abhängigkeit von der Pharmaindustrie innere Unabhängigkeit oft vermisse. Aber das ist ein ganz anderes Feld.

Dr. med. Friedrich Böhme, Tuttlingen

Email: boehme.tut@t-online.de