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DOI: 10.1055/s-2007-979361
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Bestrahlungen und ihre Folgen: ein Plädoyer für den interdisziplinären Dialog
Radiotherapy and its after-effects: a plea for an interdisciplinary dialoguePublication History
Publication Date:
19 April 2007 (online)
Aktuelle onkologische Therapieplanungen müssen neben dem operativen Trauma und den möglichen Früh- und Spätfolgen der Chemotherapie auch das Risiko der Gewebeschädigung durch die notwendige Strahlenbehandlung berücksichtigen. Die seltenen, aber möglichen Nebenwirkungen reichen dabei von der Fibrose der Weichteile über Hautatrophie, Frakturen, Gelenksalterationen, Lymphabflusstörungen und neurologische Defizite bis hin zum chronischen Schmerzsyndrom, Ulzerationen und sekundären Malignomen im Bestrahlungsfeld. Darüber hinaus gelten septische Gefäßrupturen, eine radiogene Osteitis und Hohlorganfisteln zu den therapeutischen Herausforderungen. Die Einführung spezieller Techniken und die hyperfraktionierte Applikation konnten die Inzidenzen vermindern, jedoch nicht ausschalten.
Im täglichen Dialog und bei der Diskussion im Tumorboard helfen Schuldzuweisungen nicht weiter, da zum einen der Verzicht auf die neoadjuvante oder postoperative Radiatio höhere lokale Rezidivquoten programmiert, zum anderen die operativen Techniken und die Chemotherapie selbst durchaus einen potenzierenden Effekt aufweisen. Insbesondere an den Extremitäten, im Kopf-Halsbereich und an der Brustwand sollte heute die frühzeitige Planung eines suffizienten Weichteilmantels im Bestrahlungsfeld zur selbstverständlichen onkologischen Strategie zählen. Ausgedünnte Hautlefzen über Gefäßen, Knochen und Sehnen oder Wundhöhlen mit Sekretstau gelten als sichere Garanten für eine Wundheilungsstörung nach Radiatio. Monate- oder jahrelange konservative Therapieversuche mit Salbenkunst, teuren Wundauflagen, Antibiotika oder auch hyperbarer Oxygenation helfen den Kollegen vor Ort dann nicht weiter. Sie vermögen den Schaden allenfalls kurzfristig zu bessern, dauerhafte Heilung ist nicht zu erwarten.
Gleiches gilt für die Tumornachsorge. Hier sollte das Augenmerk nicht nur auf lokale oder systemische Malignomrezidive gelenkt werden. Auch Funktionsausfälle, eine schmerzhafte konstriktive Fibrose, progressive Lähmungen oder mehrschichtige Gewebedestruktionen sollten einer frühzeitigen operativen Therapie zugeführt werden. Vergegenwärtigen wir uns, dass multimodale Verfahren heute Heilungsraten zwischen 40 und 70% erwarten lassen, so ergibt sich eine kontinuierliche Zunahme von Langzeit-Überlebenden mit lokalen Problemen. Diese verstärken insbesondere auch das Risiko bei Rezidiveingriffen. Unser Anliegen ist es, den Kolleginnen und Kollegen in der ärztlichen Praxis, dem Belegsystem und den onkologischen Kliniken Informationen zu präsentieren, die den meist als unheilbar eingestuften Betroffenen eine potentielle Therapieoption anbieten. Mit einem Telefonanruf oder einer E-Mail mit Photodatei lassen sich heute über das Internet schnelle Kommunikationswege eröffnen, die den Patienten lange Anfahrtswege ersparen. Auch für die Palliativbehandlung ergeben sich Alternativen, um für die letzten Lebensmonate quälende Schmerzen oder die sichtbaren Stigmata des Tumorleidens zu beseitigen. Blutende Ulzera oder Hautmetastasen müssen in den meisten Fällen nicht als fatales Ereignis ertragen werden: Durch wenig belastende Eingriffe mit kurzer Verweildauer können die Lebensbedingungen und die Pflege im Terminalstadium deutlich verbessert werden. Unter den plastisch-rekonstruktiven Verfahren bieten sich gestielte Lappenverschiebungen, Muskellappen und mikrochirurgische Transplantationen unter Einschluss von Knochen- oder Dünndarmsegmenten an: Alle modernen Techniken basieren auf dem Prinzip, das geschädigte Areal gegen eine unbestrahlte Autoplastik auszuwechseln. Die radikale Entfernung der nekrotischen Areale ist unabdingbare Voraussetzung. Der neu eingesetzte Gewebeabschnitt versorgt sich über sein originäres intaktes Gefäßnetz, garantiert hohe Heilungsraten und dauerhafte Erfolge für Langzeit-Überlebende. Für die Möglichkeit, mit den Beiträgen in diesem Schwerpunktheft den interdisziplinären Dialog zu vertiefen und über moderne Medien kollegiale Konsultationen zu bahnen, ist das Spezialfach „Plastische Chirurgie” dankbar.
Prof. Dr. Hans-Ulrich Steinau
Universitätsklinikum für Plastische Chirurgie und Schwerbrandverletzte, Handchirurgiezentrum, Operatives Zentrum für Gliedmaßentumoren, BG-Universitätskliniken Bergmannsheil GmbH, Ruhr-Universität Bochum
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44789 Bochum