Pneumologie 2007; 61(12): 798-800
DOI: 10.1055/s-2007-980061
Historisches Kaleidoskop
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Mobile Krematorien

Öffentliche Gesundheitsfürsorge zur Verhinderung von InfektionenPublic Health on the Battle-Field: Some Models of Movable Crematroia of the XIXTH CenturyAlessandro  Porro1 , Giulia  Salvador1 , Federico  Servadio1 , Antonia  Francesca  Franchini2
  • 1Department für Chirurgie, für Radiologie und für Gerichtsmedizin, Lehrstuhl für Geschichte der Medizin, Universität Brescia, Italia
  • 2Department für Medizinwissenschaften, Abteilung für Geschichte der Medizin, Universität Mailand, Italia
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
10. Juli 2007 (online)

Die Feuerbestattung brachte während des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus unterschiedlichen Gründen erhebliche Schwierigkeiten mit sich. Die Hauptprobleme der freiwilligen Einäscherung waren sozialer und religiöser Natur. Vor allem stieß die persönliche und freiwillige Entscheidung, den eigenen Körper der Feuerbestattung zu übergeben, in vielen religiösen Kreisen auf Protest, besonders in katholischen und orthodoxen Ländern. Auch war die Feuerbestattung in der Gesetzgebung weder vorgesehen noch geregelt. Demzufolge war es immer wieder mit großen praktischen Schwierigkeiten verbunden, die vielen Hürden wissenschaftlicher, politischer und religiöser Natur aus dem Wege zu räumen und die Behörden zu überzeugen, die Ausübung dieser neuen Form der Bestattung zuzulassen [1].

Auf geringen Widerstand stieß hingegen die Zwangs-Einäscherung, die unter bestimmten Umständen unumgänglich war. In den letzten 2 Jahrhunderten wurde bei Seuchenausbrüchen, bei Naturkatastrophen und anderen Notfällen die Verbrennung der Leichen immer wieder in Erwägung gezogen und auch praktiziert. Als Beispiel mögen die Verhältnisse in Argentinien dienen; die Verbrennung war dort im Falle des Todes durch eine Infektionskrankheit, zum Beispiel eine Pneumonie oder eine Lungentuberkulose, seit 1886 obligatorisch [2]. In Europa gab es Bestrebungen, das argentinische Gesetz zu übernehmen. So forderte man 1905 auf dem Kongress der italienischen Gesellschaft für Feuerbestattung, in Fällen von Infektionskrankheiten die Einäscherung zur Pflicht zu machen [3]. Auch heutzutage wird vor allem in der Katastrophenmedizin von der Feuerbestattung gesprochen. Hierzu geben hygienische Voraussetzungen einleuchtende und überzeugende Gründe [4].

Während des gesamten 19. Jahrhunderts waren Epidemien und Kriege, vor allem die Folgen der Feldschlachten, die großen sanitären Notsituationen der Medizin. Wirksamere Waffensysteme verursachten eine zunehmende Zahl Verletzter, schwerere Verwundungen und viele Gefallene. Speziell in Italien war der Feldzug des Jahres 1859 in der Lombardei besonders verlustreich [5] [6]. Henry Dunant beschrieb das Schlachtfeld von Solferino (25. Juni 1859) in seinem Buch „Un souvenir de Solferino” [7]: „Die Dunkelheit breitete sich über Leichen von Menschen und Tieren, während es unmöglich war, sie zu beerdigen oder sich auf andere Weise um sie zu kümmern.”

Die Verwundeten konnten nach der Schlacht ärztlich versorgt werden. Die Leichen von Mensch und Tier stellten jedoch ein großes, vorwiegend hygienisches Problem dar. Eine rasche Erdbestattung war, wie bemerkt, meist nicht möglich. Auf vielfältige Weise versuchte man, eine Lösung für dieses Problem zu finden. Als erfolgreichster Weg zur Beseitigung der Leichen erwies sich die Einäscherung [8]. Wenn man die wissenschaftliche Literatur durchsieht, wurden im 19. und 20. Jahrhundert überall in der Welt die Leichen von Soldaten feuerbestattet. Zum Beispiel bestimmte die französische Gesetzgebung, dass die Leichen nicht identifizierbarer Soldaten (französische und feindliche) einzuäschern seien, ebenso jeder Tierkadaver, bei dem der Verdacht auf eine Infektionskrankheit aufkam [9].

Bei der praktischen Umsetzung dieser Forderungen und Bestimmungen traten große technische und logistische Schwierigkeiten auf. Vor allem waren Krematorien in den oben geschilderten Situationen „vor Ort” nicht vorhanden und schwer erreichbar; ihre Kapazität war für diese Aufgabe begrenzt. Deswegen wurden nach den Kriegen 1866 und 1870 - 1871 einige Modelle fahrbarer Krematorien zum Gebrauch in wenig besiedelten Gegenden und vor allem bei auftretenden Seuchen oder auf den Schlachtfeldern entwickelt [8]. In der Literatur werden belgische und italienische Konstruktionen beschrieben. Besonders die letztere, von Kapitän Rey aus Asti entwickelt und von der „Gesellschaft für die Feuerbestattung der Gestorbenen” in Mailand empfohlen, war eine Apparatur von geringer Größe, leicht zu transportieren und wenig anfällig. Es handelte sich um das Krematorium nach Gorini [10], das auf einen Wagen montiert wurde; noch bis vor wenigen Jahrzehnten war es in Gebrauch und wird in diesem Artikel vor allem besprochen werden.

Literatur

  • 1 Pini G. La cremazione dei morti. Ricordi e notizie, Milano, Civelli 1880
  • 2 Penna J. La cremacion en America y particularmente en la Argentina, Buenos Aires, Establecimiento tipografico de El Censor. Corrientes 1889: 829
  • 3 Maccone L. Storia documentata della cremazione presso i popoli antichi ed i moderni con speciale riferimento alla igiene. Bergamo, Istituto Italiano di Arti Grafiche 1932
  • 4 Noto R, Huguenard P, Larcan A. Medicina delle Catastrofi. Milano, Masson 1989
  • 5 Franchini, Lavarda Antonia  Francesca, Colombo Andrea, Porro Alessandro. Strumenti chirurgici usati nella campagna d'Italia del 1859: due esempi. Giornale di Medicina Militare, a. 149, n. 5 - 6 settembre - dicembre 1999 [2000]: 397-399
  • 6 Zanobio B. Il sistema della dispersione dei malati di Felix von Krause nella campagna d'Italia del 1859. Istituto Lombardo (Rend. Sc.) B 95 1961: 135-150
  • 7 Dunant H. Un ricordo di Solforino, Mantova, Amministrazione Provinciale, 1959. I feriti del '59. Torino, Minerva Medica 1959
  • 8 Porro Alessandro, Franchini Antonia  Francesca. Public Health on the battle-field: some models of movable crematoria of the XIXth century, Actes du 11e Colloque des Conservateurs des musées d'histoire des sciences médicales. 11 - 15 septembre 2002, Paris, France. „Médecine de guerre, médecine en temps de crise”. Paris 2005: 63-67
  • 9 Conti F, Isastia A, Tarozzi F. La morte laica. Storia della cremazione in Italia (1880 - 1920). Torino, Scriptorium Paravia 1998
  • 10 Gorini P. La purificazione dei morti per mezzo del fuoco. Milano: Battezzati 1876
  • 11 Pini G. La crémation en Italie et à l'étranger de 1774 jusqu'à nos jours. Milan: Hoepli 1885
  • 12 Gorini P. Sull'origine dei vulcani. Lodi, Wilmant 1871
  • 13 Gorini P. Autobiografia. Roma: Dossi Perelli e Levi editori 1881
  • 14 Porro A, Franchini A F. Paolo Gorini e la Facoltà Medica dell'Università di Pavia, Convegno di studi nel centenario dell'inaugurazione del monumento a Paolo Gorini. Lodi, 10 giugno 1999 (in press)
  • 15 De Cristoforis M. Étude pratique sur la crémation moderne. Milan: Treves 1890

1 Benannt nach der Stadt Lodi, in welcher Gorini lebte und in welcher das fahrbare Krematorium konstruiert worden ist.

Dr. med. Robert Kropp

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