Der Klinikarzt 2007; 36(6): 350-351
DOI: 10.1055/s-2007-980827
Im Gespräch

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MRSA-Infektionen - Kompetente und sichere Therapie ist Standard, doch das ist kein Grund zur Entwarnung!

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Publikationsdatum:
28. Juni 2007 (online)

 

Harmut Lode, Berlin

Nach wie vor stellen multiresistente Keime die Antibiotikatherapie vor Probleme. Im internationalen Vergleich steht Deutschland hier jedoch noch günstig da. Grund zur Entwarnung besteht aber nicht. Prof. Hartmut Lode, Research Center for Medical Studies (RCMS), Facharztpraxis Berlin-Wilmersdorf, empfiehlt, rechtzeitig zu reagieren und Antibiotika selektiv, gezielt und knapp einzusetzen. Zu viel ist genauso falsch wie zu wenig, und auch der Grundsatz "Sparen mit anstatt an Antibiotika" gilt noch immer. In einem aktuellen Interview fragten wir Prof. Lode zu seiner Meinung in Bezug auf die Entwicklung der Infektionen mit methicillinresistenten Staphylokokken (MRSA) und nach sinnvollen therapeutischen Maßnahmen.

? Methicillinresistente Staphylococcus-aureus-Stämme (MRSA) sind in der Fach- und Publikumspresse schon ein "Dauerbrenner". Dies verunsichert die Patienten - vor allem, wenn dabei von fahrlässigen Kliniken oder gefährlichen Medikamenten die Rede ist. Wie sehen Sie die Situation?

Prof. Hartmut Lode: Die Kliniken haben sich mittlerweile darauf eingestellt, dass methicillinresistente Staphylokokken ein Problem sind, mit dem man umgehen muss. Es hat einen Lernprozess gegeben: In allen großen und guten Kliniken wird bei älteren Patienten, die aus anderen Krankenhäusern oder aus Pflegeinrichtungen kommen bzw. dorthin in den vergangenen drei Monaten Kontakt hatten, ein Nasenabstrich vorgenommen. Wird eine Kolonisation festgestellt, müssen entsprechende Vorsichtsmaßnahmen - wie eine Isolierung - getroffen werden.

Gefährlich sind Medikamente bzw. Antibiotika nur dann, wenn es durch einen einseitigen Gebrauch von zum Beispiel Fluorchinolonen zu einer vermehrten Selektion resistenter Keime kommt. Eine wirkliche Gefahr sehe ich diesbezüglich derzeit aber nicht, weil das Problem hinreichend beachtet wird.

? Sicher können wir davon ausgehen, dass Infektionen im Allgemeinen richtig erkannt und behandelt werden. Dennoch gibt es schwierige Fälle, die besondere Erfahrung und spezielle Therapien erfordern. Können Sie hierzu Beispiele nennen?

Lode: Schwierige Fälle sind Wundinfektionen beim Diabetiker, insbesondere bei Ulzera. Diese sind häufig mit MRSA besiedelt, was dann oft zu einer Infektion führt. Die Therapie solcher Patienten ist nicht einfach, weil die bestehende Störung im arteriellen Kreislauf keine optimale Blutversorgung mehr erlaubt. Wenn zusätzlich eine Knochenbeteiligung im Sinne einer Osteomyelitis vorliegt, wird die Situation sehr kompliziert.

Ähnlich komplex ist die Situation in der postoperativen Phase nach kardiochirurgischen Eingriffen, wenn sich eine Mediastinitis mit Knochenbeteiligung des Sternums entwickelt. Konservative therapeutische Maßnahmen reichen in diesem Fall oft nicht aus, vielmehr sind Knochendrainagen oder -resektionen notwendig. Dies ist aber sehr selten.

? Es sind vor allem Patienten mit schweren Grunderkrankungen, die zusätzlich noch MRSA-Pneumonien oder komplizierte Haut-Weichgewebeinfektionen entwickeln. Therapeutisch steht der Arzt dann insbesondere bei nosokomialen MRSA-Pneumonien mit dem Rücken zur Wand. Welche Antibiotika sind in diesem Fall noch wirksam und sinnvoll?

Lode: Generell betreffen Infektionen mit multiresistenten Keimen Patienten, die Risikofaktoren aufweisen. Dies sind zum einen schwere Grunderkrankungen, die selbst zum Tode führen können. Die Infektion ist dann noch das "I-Tüpfelchen" für einen ungünstigen Verlauf. Aber auch Patienten, die aufgrund einer häufigen, sich wiederholenden Antibiotikatherapie Risiken tragen, sind besonders betroffen.

Ein Beispiel ist der Beatmungspatient, der eine Pneumonie nach der anderen entwickelt. Er bekommt in der Regel zunächst einfache Antibiotika, dann wird die Behandlung auf immer stärker und breiter wirksame Substanzen umgestellt. Damit werden natürlich auch häufig MRSA-Stämme selektioniert. Solche Patienten sind am Ende nicht selten mit hochresistenten gramnegativen Keimen wie Pseudomonas, Stenotrophomonas und Acinetobacter besiedelt und zum Teil infiziert.

Weil ihre Grunderkrankung schon so weit fortgeschritten ist und die Infektion eine zusätzlich schwer zu behandelnde Komplikation darstellt, versterben die Patienten. Ein konkretes Beispiel wäre ein beatmungspflichtiger Intensivpatient mit schwerer chronischer Bronchitis und Pneumonie mit Pseudomonas- oder MRSA-Besiedlung. Eine Therapie resistenter grampositiver Keime ist in diesem Fall sehr schwierig.

Zum Glück hat die Pharmaindustrie hier in den letzten Jahren reagiert und einige neue Substanzen wie Linezolid, Tigecyclin und Daptomycin entwickelt. Alle drei Antibiotika sind gegen methicillinresistente Staphylokokken recht gut wirksam. Bei den tiefen Atemwegsinfektionen kommen aber nur Linezolid und Tigecyclin[*] in Betracht. Daptomycin wiederum ist nur für schwere Haut- und Weichgewebeinfektionen zugelassen, weil es in der Lunge aufgrund der Inaktivierung des Surfactant-Factors nicht wirkt. Hochaktiv im grampositiven Bereich ist - zumindest in Deutschland - auch immer noch das Vancomycin, allerdings weist es eine schwache Penetration in das Lungengewebe auf. Somit haben wir doch bei den grampositiven Keimen viel mehr therapeutische Möglichkeiten als es bei den gramnegativen multiresistenten Keimen wie Pseudomonas der Fall ist.

Die größte Schwierigkeit sehe ich momentan eigentlich eher darin, zu unterscheiden, ob ein Patient nur kolonisiert oder schon infiziert ist. Dies gilt besonders bei Beatmungspatienten. Denn bei diesen Patienten werden im Trachealsekret oft methicillinresistente Staphylokokken nachgewiesen. Dann stellt sich die Frage, ob es sich schon um eine Infektion handelt, die therapiert werden muss, oder ob nur eine Kolonisation vorliegt und zunächst abgewartet werden kann.

? Aufgrund der Resistenzentwicklung grampositiver Infektionserreger war die Entwicklung neuer Antibiotika notwendig, wie zum Beispiel die Oxazolidinone mit Linezolid. Welchen Stellenwert hat diese Substanz aus Ihrer Sicht?

Lode: Linezolid sollte dann eingesetzt werden, wenn der Nachweis von MRSA vorliegt. Nun stellt sich oftmals die Frage, ob sich in dieser Situation nicht auch Vancomycin eignet, zumal es preislich günstiger erscheint. Hierbei sollte aber nicht außer Acht gelassen werden, dass eine Linezolidtherapie nach derzeitigen Erkenntnissen rascher zu einer Eradikation der Erreger führt und die Patienten die Intensivstation ein bis zwei Tage früher verlassen können. Da sich die Tagestherapiekosten für eine Intensivtherapie auf rund 1500 Euro belaufen, lohnen sich die Mehrausgaben für Linezolid auf jeden Fall.

Zudem haben viele Intensivpatienten aufgrund ihrer Erkrankung oder ihres Alters eine eingeschränkte Nierenfunktion. In diesen Fällen ist man im Allgemeinen mit dem Einsatz von Vancomycin sehr zurückhaltend, weil dessen Nephrotoxizität zu einer weiteren Verschlechterung der Nierenfunktion führen kann. Gleiches gilt für septische Patienten, die unter Umständen rasch ein Nierenversagen entwickeln können. Vor diesem Hintergrund ist auch bei diesen Patienten primär Linezolid zu empfehlen.

Zusammenfassend gibt es also eine ganze Reihe von Patienten, für die der Einsatz von Linezolid von vornherein sinnvoll und empfehlenswert ist. Dies sind ältere Patienten (über 70 Jahre) mit Glomeruluminfiltrat, von denen wir wissen, dass die Nierenfunktion eingeschränkt ist, Sepsispatienten und Patienten, die bereits unter einer Niereninsuffizienz leiden.

? Immer wieder wird die Sicherheit von Antibiotika diskutiert. Bei sach- und fachgerechtem Einsatz dürfte doch der Nutzen größer als das Risiko sein. Wann wird die Therapie zur Gratwanderung und muss sie dies überhaupt werden?

Lode: Beim Einsatz von Scores beim Beatmungspatienten zum Beispiel lässt sich nicht immer sicher entscheiden, ob eine Beatmungspneumonie vorliegt oder nicht. Es gibt ganz neue Untersuchungen, nach denen man Procalcitonin und einen sogenannten CPIS[1]-Score misst. Wenn beides positiv ist und ein Infiltrat auf dem Röntgenbild vorliegt, ist davon auszugehen, dass es sich um eine Beatmungspneumonie handelt, die antibiotisch behandelt werden muss.

Das große Problem bei den Beatmungspatienten ist aber, dass sie häufig mit multiresistenten Keimen infiziert sind. Pseudomonaden, Stenotrophomonas und Acinetobacter sind heute derartig multiresistent, dass wir gar keine wirksamen Substanzen zur Therapie mehr haben. Auch Tigecyclin kann aufgrund seiner Pseudomonaslücke hier oft nicht eingesetzt werden. Gut wirksam ist die Substanz dagegen bei Acinetobacter. Das ist ein Fortschritt in der Therapie dieser multiresistenten Keime.

Andererseits werden weltweit 80-90 % aller Patienten auf der Intensivstation mit Antibiotika behandelt. Dies ist viel zu viel und muss dringend geändert werden! Häufig bekommen die intensivpflichtigen Patienten Antibiotika aus präventiven Gründen, was die Selektion resistenter Keime vorantreibt. Wir haben inzwischen gelernt - und dies gilt auch für die Beatmungspneumonie -, dass wir mit einer sieben- bis achttägigen Therapie ebenso gute Erfolge erzielen können wie mit einer 14-tägigen Therapie, sofern diese so frühzeitig wie möglich beginnt.

Je länger jedoch die Antibiotikatherapie dauert, desto mehr resistente Keime selektieren wir damit. Wir müssen also viel konsequenter prüfen, bei welchen Patienten Antibiotika wieder abgesetzt werden können, wie es inzwischen auch die Leitlinien empfehlen. Wenn zum Beispiel Patienten Antibiotika bekommen und sich nach zwei bis drei Tagen der Verdacht auf eine Pneumonie nicht bestätigt, muss das Medikament abgesetzt werden.

Das Wichtigste ist aber, dass wir Antibiotika insgesamt einsparen, weil in den nächsten zehn Jahren insbesondere im gramnegativen Bereich keine neuen Substanzen zu erwarten sind. Nur so lassen sich Resistenzentwicklungen vermeiden. In den aktuellen Richtlinien bzw. internationalen Leitlinien wird immer wieder empfohlen, die Antibiotikagabe sofort zu beenden, wenn es sich nicht um eine bakterielle Infektion handelt. Dass die Therapie in jedem Fall über beispielsweise sechs Tage erfolgen muss, ist heute obsolet.

? Im letzten Gespräch äußerten Sie Ihre Sorge in Bezug auf die ambulant erworbenen MRSA-Infektionen. Sie sagten, man müsse darauf gefasst sein. Was bedeutet dies genau?

Lode: Zurzeit haben wir in Deutschland damit noch kein größeres Problem. Patienten, die jetzt mit einer MRSA-Kolonisation oder -Infektion in die Kliniken kommen, haben sich den Erreger nahezu ausschließlich im Gesundheitssystem erworben, sie kommen aus anderen Kliniken, Pflegeheimen oder sind antibiotisch vorbehandelt.

In den USA dagegen - und diese Entwicklung wird uns wohl erfahrungsgemäß in drei bis fünf Jahren treffen - treten mittlerweile im ambulanten Bereich eigenständige MRSA-Infektionen, insbesondere Haut-Weichgewebeinfektionen, bei sonst völlig gesunden Menschen auf. Schwere Lungenentzündungen wurden vereinzelt gesehen. Sogar bei jungen Menschen ohne jede Risikofaktoren sind diese Infektionen zu beobachten, wie ich auf dem Kongress der "American Thoracic Society" erfuhr. Bei jungen, gesunden Basketballspielern beispielsweise wurden bei Nasenabstrichen MRSA kolonisierend gefunden. Auch in US-amerikanischen Gefängnissen sind methicillinresistente Staphylokokken als Kolonisationskeime inzwischen weit verbreitet.

Auf dem nächsten ECCMID - dem "European Congress of Clinical Microbiology and Infectious Diseases", der 2008 in Barcelona stattfinden wird, wird das Thema MRSA einen breiten Raum einnehmen und bietet umfassende Fortbildungsmöglichkeit für jeden, der sich dafür interessiert.

! Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Professor Lode!

02 derzeit zur Therapie ambulant erworbener oder nosokomialer Pneumonien noch nicht zugelassen

01 Clinical Pulmonary Infection Score