Der Klinikarzt 2007; 36(5): 294-295
DOI: 10.1055/s-2007-984814
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Systemische Mykose - Opportunistische Infektion mit vielen Gesichtern und lebensbedrohlichem Potenzial

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Publication Date:
27 June 2007 (online)

 

Markus Ruhnke

Invasive Pilzinfektionen gefährden immunsupprimierte Patienten in hohem Maße. Darüber besteht kein Zweifel. Die zunehmende Häufigkeit der Erkrankung wird jedoch oftmals unterschätzt. Auf der MYK 2007, der 41. Jahrestagung der Deutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft (DMykG e.V.) werden deshalb die invasiven Mykosen im Fokus stehen. Prof. Markus Ruhnke, Hämatoonkologe an der Berliner Charité, Tagungspräsident und Vorsitzender der DMykG e.V., beantwortete unsere Fragen zur Zunahme der invasiven Mykosen, zu den Möglichkeiten der Prävention und Prophylaxe, zur Bedeutung einer rechtzeitigen antimykotischen Therapie und zur Arbeit der DMykG e.V., die als interdisziplinäre wissenschaftliche Gesellschaft die Mykologie in Forschung, Klinik und Praxis auf nationaler und internationaler Ebene unterstützt und repräsentiert.

? In der Hämatoonkologie sind invasive Mykosen als Begleitinfektion ein großes, aber kalkuliertes Risiko. Was sind für Sie die Warnsignale, die den Verdacht auf eine Pilzinfektion begründen und welche Maßnahmen sind unmittelbar notwendig?

Prof. Markus Ruhnke: Generell sind unklare Lungenentzündungen als Hinweise auf eine Mykose zu deuten. Dabei handelt es sich um Lungeninfiltrate, die im Röntgenbild und besser noch in der Computertomografie als Verschattungen sichtbar werden, aber nicht immer eindeutig zuzuordnen sind. Bei Patienten mit niedrigen Leukozytenzahlen und gleichzeitig unklaren Lungeninfiltraten ist die Wahrscheinlichkeit einer Schimmelpilzinfektion sehr groß.

Neben Röntgen- und CT-Diagnostik sind Antigenbestimmungen und eine Brochiallavage zur Erregerisolierung sinnvoll. Denn je genauer die Diagnostik erfolgt und der Erreger festgestellt werden kann, umso gezielter kann eine Therapie initiiert werden. In der Lunge sind häufig außer Aspergillen andere Schimmelpilze zu finden, die bei ungenauer Diagnostik nicht adäquat behandelt werden.

? Welche therapeutischen Maßnahmen würden Sie einleiten, wenn zwar feststeht, dass es sich um eine Mykose handelt, der Erreger aber noch nicht bekannt ist?

Ruhnke: Derzeit gibt es eine große Diskussion über die Diagnose einer Lungenmykose. 100 %ig sicher ist sie nur durch eine Biopsie festzustellen - eine Maßnahme, die jedoch als zu invasiv in der Kritik steht. Somit wird häufig auf Verdacht behandelt, weil unter anderem mit Voriconazol und Caspofungin zuverlässige und wirksame Medikamente zur Verfügung stehen.

? Gibt es Patienten, die ein besonders hohes Pilzinfektionsrisiko tragen? Wie steht es zum Beispiel um Patienten auf Intensivstationen?

Ruhnke: Bei den Schimmelpilzinfektionen sind zwar überwiegend die hämatoonkologischen Patienten betroffen, wie epidemiologische und Daten aus der Autopsie belegen. Zweifellos sehen wir mittlerweile viele Mykosepatienten, auf die wir früher überhaupt nicht geachtet haben. Belgische Daten zum Beispiel weisen darauf hin, dass auf Intensivstationen Patienten mit chronischen Lungenentzündungen gehäuft Pilzinfektionen entwickeln. Eine weitere Gruppe sind Patienten mit Autoimmunerkrankungen wie zum Beispiel Lupus erythematodes. Diese werden mit Kortison und neueren Antikörpern behandelt, was offenbar zu einer Disposition für Mykosen führt.

Gleiches gilt übrigens auch für Rheumapatienten, die ebenfalls Kortison und Antikörper erhalten - Patienten, die zu einer ganz neuen Gruppe von Mykosepatienten zählen, an die wir vorher gar nicht gedacht haben. Mittlerweile setzen wir in der Charité auch in der Rheumatologie regelmäßig Antimykotika ein. Dies ist erst kürzlich aufgefallen als ich dem auffallend hohen Verbrauch an Antimykotika einmal nachgegangen bin. Daraus lässt sich schließen, dass die Therapie mit monoklonalen Antikörpern offenbar das Pilzrisiko erhöht.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Patienten mit T-Zellimmunabwehrschwäche, Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen und Autoimmunerkrankungen sowie Transplantationspatienten neben hämatoonkologischen Patienten ein hohes Mykoserisiko tragen.

? In Bezug auf die antimykotische Therapie wird häufig mehr über Nebenwirkungen als über die erwünschten Wirkungen diskutiert, obwohl die Medikamente heute weitaus sicherer und verträglicher sind. Wie würden Sie entscheiden, wenn Sie bzw. der Patient schon mit dem Rücken an der Wand stehen?

Ruhnke: Die Diskussion stammt aus der Zeit, in der wir mit Amphotericin B ein sehr nebenwirkungsreiches Medikament einsetzen mussten, da es damals noch keine Alternativen gab. Seit es Voriconazol, Caspofungin und liposomales Amphotericin B gibt, ist diese Diskussion um Nebenwirkugnen aber stark in den Hintergrund getreten. Jetzt ist eher der Kostendruck das Problem, weil all diese Medikamente sehr teuer sind. Es gilt ständig einen positiven Kosten-Nutzeneffekt zu belegen. Leider wird in den Kliniken an Antibiotika und Antimykotika gespart, weil sie die größten Ausgabenposten an Medikamenten sind.

? Was war für Sie der entscheidendste Fortschritt im Kampf gegen Mykosen in der Hämatoonkologie in den letzten Jahren, der für die meisten betroffenen Patienten hilfreich ist?

Ruhnke: Der größte Fortschritt ist meiner Meinung nach, dass wir nicht mehr auf Amphotericin B angewiesen sind. Die neuen Substanzen sind viel besser verträglich und speziell mit Voriconazol haben wir seit 2002 auch ein weitaus wirksameres Antimykotikum zur Verfügung.

? Die DMykG e.V. hat seit ihrer Gründung 1961 das Thema Mykologie aus einem Schattendasein geholt und sich zu einer wichtigen, die Fachexpertise vertretende Gesellschaft entwickelt. Davon haben nicht nur einzelne Bereiche, sondern das ganze Spektrum der Mykologie profitiert. Gibt es Ihrer Meinung nach dennoch Disziplinen in der Mykologie, die mehr Aufmerksamkeit verdient hätten bzw. erfordern?

Ruhnke: Nach wie vor gibt es relativ wenige Experten, die sich mit der Mykologie beschäftigen. An vielen großen Kliniken ist auch heute noch kein klinischer Mykologie beschäftigt. Es wäre meiner Meinung nach aber dringend erforderlich, dass von Seiten der Mikrobiologie gut ausgebildete Mykologen in den Kliniken vertreten wären.

Weiterhin gibt es kein Ausbildungscurriculum, das Pilzinfektionen ebenso vermittelt wie Infektionen anderer Erreger. Es gibt bislang auch nur einen Lehrstuhl, der gerade erst in Jena neu entstanden ist. Es fehlt also auch die akademische Breite: Lehrstühle und Ausbildungsinhalte für Studenten oder für die Weiterbildung. Die Mykologie wird immer noch der Bakteriologie oder Virologie untergeordnet.

? Was wünschen Sie sich für Ihre mykologische Arbeit und für die Zukunft der DMykG e.V.?

Ruhnke: Für die Zunkunft wünsche ich mir die Integration der Mykologie in die Klinik und dass die diagnostische und klinische Expertise ein fester Bestandteil der medizinischen Ausbildung wird.

! Herr Professor Ruhnke, wir bedanken uns für das Gespräch!

Literatur

  • 01 Nolla-Salas J . Sitges-Serra A . Leon-Gill C . et al . Candidemia in non-neutropenic critically ill patients: analysis of prognostic factors and assessment of systemic antifungal therapy. Study Group of Fungal Infection in the ICU.  Intensive Care Med. 1997;  23 (1) 23-30
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