Der Klinikarzt 2007; 36(7): 365
DOI: 10.1055/s-2007-985345
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Wahre Gesundheit oder Ware Gesundheit?

Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
26. Juli 2007 (online)

Die Umstellung von Tagessätzen auf Fallpauschalen im DRG-System hatte - gewollte? - direkte und indirekte Auswirkungen auf die Versorgung von Patienten im Krankenhaus. Jetzt bestehen feste Regeln zur stationären Behandlung, wie zum Beispiel die untere und obere Grenzverweildauer, und somit auch klare Anreize zum sogenannten Splitten von Behandlungen. Heute ist es günstiger, einen erforderlichen längeren stationären Aufenthalt in mehrere kurze Aufenthalte aufzuteilen, um mehr als eine Hauptdiagnose abrechnen zu können. Nebendiagnosen werden häufig weniger ernst genommen und auch immer seltener vom Krankenhaus aus mitbehandelt, höchstens als „Serviceleistung”. Dabei bleibt außen vor, dass daraus später sehr viel teurere Hauptdiagnosen entstehen können. Ähnlich ist die Entwicklung bei der Diagnostik, die sich immer mehr auf die Erstellung der Hauptdiagnose konzentriert. Weitere notwendige Untersuchungen, unter anderem auch zur Absicherung der Therapie, unterbleiben schnell, weil sich ein Fall sonst „gar nicht mehr rechnet”.

Der ökonomisch induzierte Stress durch das DRG-System wirkt sich zwangsläufig qualitätsmindernd auf die Leistung der Erbringer aus. Keiner der Verantwortlichen will das gerne eingestehen, und so heißt es dann: Die Qualität würde allerorten durch ständige Zertifizierungen und Qualitätskontrollen gesteigert. Solche Stellungnahmen sind jedoch oft nicht viel mehr als „Lippenbekenntnisse”. Auch die Motivation in Deutschlands Kliniken hat von den Pflegekräften bis zu den Assistenz-, Ober- und Chefärzten mehrheitlich deutlich abgenommen, und das fürsorgliche Krankenhaus hat sich zu einem Dienstleistungsunternehmen entwickelt. Der Patient ist zu einem Produktionsfaktor geworden, der möglichst gewinnbringend eingesetzt werden muss. So werden der Patient und die Gesundheit zur Ware, der Patient zum Kunden und der Arzt zum Dienstleister oder Unternehmer! Ganze Universitätskliniken werden verkauft.

Ethische Probleme plagen die Verantwortlichen anscheinend nicht. Selbst Caritas und Diakonie nutzen zum allseitigen Erstaunen ohne große Skrupel ihre Sonderrechte, um rigoros marktwirtschaftlich vorzugehen und haben jetzt erheblichen Zulauf von Krankenhäusern, die sonst mit christlichen Belangen nicht unbedingt befasst waren (siehe: Der Spiegel 25/2007 „Heuschrecken unterm Kreuz”). Vorbeugen, Heilen und Helfen dürfen aber nicht ausschließlich oder hauptsächlich an Gewinnerwartungen und Renditewünschen orientiert sein! Dem sogenannten Markt dürfen wir die uns anvertrauten Patienten nicht einfach überlassen, denn damit würde die Gesundheit wirklich zur Ware verkommen!

Ohne die Mehrarbeit der Ärzte - in Deutschland leisten sie jährlich für etwa 12 Milliarden Euro unbezahlte Überstunden - bräche das System wohl zusammen. Dies ist eigentlich schon eine klare Bankrotterklärung der Ökonomen. Sie ziehen ihre Zufriedenheit im Beruf fast ausschließlich aus positiven Zahlen und Bilanzen, zumal sie den eigentlichen Kern des Gesundheitswesens, die Behandlung der Patienten, gar nicht im Detail kennen. Man weiß aber auch aus der Geschichte, wohin es führt, wenn Feldherren nur aufgrund ihres Standes ein Heer befehligen ...

Wenn die Hauptbetroffenen, unsere Patienten, erst einmal merken was auf sie zukommt, kann man sich fast schon vorstellen, dass in nicht allzu langer Zeit wieder der Ruf nach tagesgleichen Pflegesätzen oder etwas Ähnlichem laut wird. Tendenzen dazu zeichnen sich zumindest in Amerika schon ab. Vielleicht richtet sich dann auch wieder der Blick stärker auf die wahre Gesundheit?

Prof. Dr. Burckart Stegemann

Hagen