Geburtshilfe Frauenheilkd 2007; 67(11): 1221-1222
DOI: 10.1055/s-2007-989295
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kommentar zum Artikel von Katalinic et al.: „Weniger Hormonersatztherapie, weniger Brustkrebs in Deutschland?“

Herbert Kuhl
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
19. November 2007 (online)

Im April 2007 wurde im New England Journal of Medicine (356: 1670 - 1674) eine Arbeit mit dem Titel „The decrease in breast cancer incidence in 2003 in the United States“ veröffentlicht, die auch in der Laienpresse das zu erwartende Echo fand. Eine Auswertung von Daten aus dem Register des National Cancer Institute (SEER) der USA ergab, dass im Jahre 2003 die Brustkrebsinzidenz im Vergleich zu 2002 um 6,7 % abgefallen war und im folgenden Jahr 2004 auf diesem Niveau geblieben war. Die Brustkrebsrate, die im Wesentlichen im Zeitraum zwischen Mitte 2002 und Mitte 2003 stattfand, lag im Jahr 2004 um 8,6 % niedriger als im Jahr 2001. Da der Abfall nur postmenopausale Frauen betraf und vor allem für rezeptorpositive Mammakarzinome galt, sahen die Autoren (Ravdin et al.) einen Zusammenhang mit dem ersten Bericht der WHI und der von ihm ausgelösten Abnahme der Anwendung von Hormonpräparaten.

Nun besteht kein Zweifel darüber, dass die Hormontherapie bei postmenopausalen Frauen das relative Brustkrebsrisiko um etwa 35 % erhöht. Sowohl die WHI-Studie als auch andere große Untersuchungen und Metaanalysen haben gefunden, dass diese Risikozunahme erst nach 5-jähriger Behandlungsdauer signifikant wird und nur die Behandlung mit Estrogen/Gestagen-Präparaten betrifft, während die Estrogen-Monotherapie keinen oder nur einen marginalen Einfluss hat. Es ist dementsprechend logisch, dass es nach Beendigung der Behandlung mit Estrogen/Gestagen-Präparaten zu einer Normalisierung des erhöhten Brustkrebsrisikos kommt. Da dieser Rückgang bereits innerhalb der ersten beiden Jahre nach Absetzen sichtbar wird, erscheint es plausibel, wenn man annimmt, dass der ungünstige Effekt der Hormontherapie auf ihrer proliferationsfördernden Wirkung beruht. Immerhin hatte eine exakte Untersuchung des Kopenhagener gerichtsmedizinischen Instituts schon vor 20 Jahren gezeigt, dass bereits zum Zeitpunkt der Menopause etwa 40 % aller Frauen mindestens ein okkultes Mammakarzinom aufweisen (Nielsen et al. Br J Cancer 1987; 56: 814 - 819). Da bei „nur“ etwa 10 % der Frauen ein Mammakarzinom diagnostiziert wird, ist anzunehmen, dass der überwiegende Teil der Tumoren - auch unter einer Hormontherapie - nur langsam wächst.

Die Frage ist nur, inwieweit die im April 2007 veröffentlichten Zahlen eine quantitative Relevanz haben. Es besteht nämlich ebenso kein Zweifel darüber, dass die Ermittlung säkularer Trends die unsicherste epidemiologische Methode darstellt, da sie nicht nur - wie alle anderen epidemiologischen Methoden - nur Koinzidenzen und keine Kausalzusammenhänge beschreibt, sondern keinerlei andere Einflussfaktoren ausschließen kann. Dementsprechend ist das Aufsehen, das diese Arbeit erregte, vom wissenschaftlichen Standpunkt aus unbegründet, da erstens ein Rückgang der Brustkrebsinzidenz nach Absetzen einer Hormontherapie schon lange bekannt ist, und zweitens die angegeben Zahlen in die Kategorie „Hausnummern“ einzustufen sind. Der im renommierten New England Journal of Medicine abgedruckte Artikel ist deshalb zu Recht von der Fachwelt kritisiert worden. Exemplarisch sei die Stellungnahme der Internationalen Menopause Gesellschaft (IMS) zitiert, in der vor der simplen Verknüpfung zweier paralleler Trends - Rückgang der Verordnung von Hormonpräparaten und Abnahme der jährlichen Inzidenz der Brustkrebsdiagnosen - gewarnt wird. In einer Pressemitteilung wies die IMS darauf hin, dass trotz des weltweiten Rückgangs der Hormontherapie keine vergleichbare Abnahme der Brustkrebshäufigkeit in den Krebsregistern anderer Länder (z. B. United Kingdom) beobachtet wurde. Ein ähnlicher vorübergehender Abfall der Brustkrebsinzidenz wurde bereits zwischen 1987 und 1989 beobachtet, obwohl es damals nicht zu einer Abnahme der Hormonverordnungen gekommen war. In der Analyse der SEER-Daten wurden keinerlei andere mögliche Einflussfaktoren abgeklärt, wie z. B. die Häufigkeit von Mammographien und Brustuntersuchungen. Ein vor Kurzem veröffentlichter Abstract berichtet über eine signifikant niedrigere Zahl von Mammographien und Brustuntersuchungen im Jahr 2005 im Vergleich zu 2000. Es bleibt also völlig offen, inwieweit eine Abnahme des Screenings für den Rückgang der Brustkrebsdiagnosen verantwortlich ist. Auf der Basis des gegenwärtigen Kenntnisstands zur Biologie und Entwicklung des Mammakarzinoms erscheint eine derart starke Abnahme der Brustkrebsinzidenz innerhalb eines Jahres als unwahrscheinlich. Abschließend weist die IMS darauf hin, dass es gerade die Ergebnisse der WHI-Studie sind, die gegen diese Interpretation der SEER-Daten sprechen.

In dem Artikel von Katalinic et al. werden in Anlehnung an die Publikation von Ravdin et al. die entsprechenden Zahlen aus Schleswig-Holstein und dem Saarland verglichen. Grundsätzlich weist die Arbeit die gleichen Schwächen auf wie der amerikanische Artikel, wobei die Datenlage noch weitaus dünner ist. In Tabelle 1 fällt auf, dass bei den postmenopausalen Frauen (50 - 69 Jahre) die Brustkrebsrate zwischen den Jahren 2001 und 2003 im Saarland von 278,1 auf 316,4 pro 100 000 und in Schleswig-Holstein von 379,9 auf 383,2 pro 100 000 zunahm, obwohl der Anteil der mit Hormonen behandelten Frauen von 61,3 % auf 52,1 % abnahm. Diese Diskrepanz zu den Schlussfolgerungen der Autoren wird nicht diskutiert. Es fehlt auch jede Erklärung für den großen Unterschied zwischen der Brustkrebs-Inzidenz im Saarland und der in Schleswig-Holstein.

Da auch Katalinic et al. die Ergebnisse der WHI-Studie als Ursache des Rückgangs von Brustkrebs und Hormonsubstitution sehen, ist ein Artikel über die WHI, der am 30. August 2007 im Wall Street Journal erschien, von besonderem Interesse. Die übereilte und fehlerhafte Weise, mit der die „federal researchers“ die Ergebnisse der 725 Millionen Dollar teuren Studie ohne die Kontrolle durch außenstehende Wissenschaftler und im Rahmen einer sorgfältig inszenierten PR-Kampagne publizieren konnten, hatte offensichtlich vor allem einen politischen Hintergrund, wobei auch in den USA die Kostenfrage im Vordergrund stand.

Prof. Dr. Herbert Kuhl

Hotzelstraße 18

63741 Aschaffenburg

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