Der Klinikarzt 2007; 36(9): 485
DOI: 10.1055/s-2007-991556
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Niedriges Cholesterin und Krebs,müssen wir umdenken?

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
08. Oktober 2007 (online)

In den vergangenen Jahren hat eine Fülle konsistenter Daten den Nutzen der LDL-Cholesterinsenkung dokumentiert. Die Empfehlung lautet heute: „the lower the better”. Eine neue Metaanalyse (J Am Coll Cardiol 2007; 50: 409-418) zweifelt jetzt jedoch die Unbedenklichkeit der LDL-Cholesterinsenkung an. Denn überraschendweise ergab sich hier ein Zusammenhang zwischen den erreichten Lipidwerten und der Prävalenz maligner Veränderungen. Neu ist diese Diskussion nicht. Epidemiologische Studien beispielsweise belegen einen Zusammenhang zwischen niedrigem Cholesterin und vermehrter Mortalität, die allgemein anerkannte Erklärung hierfür ist der klinische Nachweis niedriger Cholesterinwerte bei malignen Erkrankungen. Im Zusammenhang mit der lipidsenkenden Therapie war ein solcher Zusammenhang bisher allerdings nicht nachzuweisen.

Die erwähnte, höhere Malignominzidenz korrelierte jedoch laut der aktuellen Metaanalyse nur mit den erreichten LDL-Cholesterinspiegeln. Weder das Ausmaß der absoluten noch das der relativen LDL-Cholesterinsenkung war dagegen mit der Krebshäufigkeit assoziiert. Ebenso bestand der Trend nicht für die verwendeten Statindosen. Zudem hat die Metaanalyse einige methodische Schwächen, sodass diese Ergebnisse weiter relativiert werden müssen, auch nach Ansicht der Autoren. Beispielsweise konnten für die Analyse der Krebshäufigkeit nur 13 der insgesamt 23 Statinstudien ausgewertet werden, wobei sich - mit Ausnahme der PROSPER-Studie - in keiner Analyse eine höhere Krebsinzidenz im Vergleich zu den jeweiligen Placebogruppen fand.

Völlig konträr zu den Ergebnissen der Metaanalyse ist zudem die TNT-Studie - übrigens nur eine der großen Studien neben PROVE-IT, A to Z und IDEAL, die nicht in die aktuelle Analyse einflossen - in der bei den Patienten mit den geringsten Cholesterinwerten, denen der fünften Quintile, die wenigsten Krebsfälle zu sehen waren. Und in einer Metaanalyse mit genau diesen vier genannten Studien (JAm Coll Cardiol 2006; 48: 438-445) fand sich neben einer 16 %igen Reduktion der kardiovaskulären Ereignisse und der Todesfälle kein Einfluss der aggressiven Lipidsenkung auf die nichtkardiovaskuläre Mortalität. Sogar bei einem Ausgangscholesterinwert unter 60 mg/dl war eine Statintherapie nicht mit einer Zunahme an malignen Erkrankungen assoziiert, wohl aber mit einer geringeren Zahl an Todesfällen, Myokardinfarkten und koronaren Herzerkrankungen (Circulation 2007; 116: 613-618).

Da in der Metaanalyse von Dr. Alawi Alsheikh-Ali, Boston (Massachusetts, USA), kein Organ besonders häufig von der Tumorneubildung betroffen war, müsste theoretisch ein universeller Trigger die Malignome verursachen. Ein derartiges Phänomen ist im Zusammenhang mit niedrigem Cholesterin bisher jedoch nicht bekannt. Außerdem würden sich die dafür notwendigen Veränderungen in der Zellbiologie und der Zellimmunität nicht innerhalb von etwa fünf Jahren, so die durchschnittliche Dauer der Statinstudien, vollziehen. Denn auch nach einer Nachbeobachtung von gut zehn Jahren wie in 4S (Lancet 2004; 364: 771-777) fand sich keine signifikant höhere Krebshäufigkeit. Im Gegenteil: Tendenziell waren krebsbedingte Todesfälle (-19 %) und das Neuauftreten von Malignomen (-12 %) unter dem Statin in 4S seltener.

Am Nutzen der lipidsenkenden Therapie bei kardiovaskulären Erkrankungen besteht demnach nach wie vor kein Zweifel. Dementsprechend ist eine Änderung der bisherigen Vorgehensweise bei kardiovaskulären Risikopatienten auf der Basis der aktuellen Metaanalyse nicht erforderlich.

Prof. Dr. A. Weizel

Mannheim