Dtsch Med Wochenschr 2007; 132(48): 2557
DOI: 10.1055/s-2007-993096
Editorial
Infektiologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mehr Infektionskrankheiten durch globale Erwärmung: echte Gefahr oder Rauschen im Blätterwald?

More infectious diseases due to global warming: a real danger or much ado about nothing?D. Hassler1
  • 1Praxis für Allgemeinmedizin, Kraichtal
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Publication Date:
21 November 2007 (online)

Ein Thema des Jahres 2007 war sicher die globale Erwärmung und ihre mannigfaltigen Auswirkungen, auch im Hinblick auf eine mögliche Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Die meisten Artikel sahen diesen Effekt schon als bewiesen an, obwohl belastbare Fakten bisher eher Mangelware waren.

Sicher, der Nachweis von Vibrio vulnificus in der sonst eher kühlen Ostsee mag als Beispiel dafür gelten, dass die Erwärmung tatsächlich neue Biotope für bestimmte Erreger erschließt. Auch der erste Ausbruch von Chikungunya-Fieber in der Emilia romagna in den letzten Wochen scheint da ins Bild zu passen, so dass manche schon die Tropenkrankheiten zum Sturm auf Europa blasen sehen.

Tatsächlich ist das ganze sehr viel differenzierter zu betrachten, wie auch der Artikel von Hemmer et al. (s. Seite 2583) belegt. Die Malaria etwa war bis vor wenigen Jahrzehnten in Europa heimisch und war zum Beispiel in England sogar während der sogenannten „kleinen Eiszeit” (1675 - 1715) heimisch [2]. Nicht die Jahresdurchschnittstemperatur war hier der limitierende Faktor, sondern nur die Temperaturen in den Sommermonaten. Stechmücken werden eben nicht durch kalte Winter ausgerottet. Die Verbreitung der Malaria hängt von ganz anderen Faktoren ab, nämlich dem Vorhandensein parasitämischer Erkrankter, von denen die Stechmücken den Erreger aufnehmen können. Auch die Meldung, Aedes-Mücken seien erstmals an einem bayerischen Baggersee gefunden worden, war eine Ente: Aedes ist schon seit Urzeiten in Mitteleuropa heimisch!

Auch Chikungunya in Europa stellt keine neue Dimension dar: Das verwandte Ockelbo-Virus tritt schon seit vielen Jahren immer wieder in Mittelschweden auf [1].

Schließlich wurde behauptet, durch die globale Erwärmung würden sich Zecken vermehren. Auch das stimmt so pauschal sicher nicht. Unsere wichtigste Zeckenart, Ixodes ricinus, ist an kalte Winter perfekt angepasst. Dagegen ist Ixodes sehr empfindlich gegen Trockenheit. Dies hat im Gegensatz zu vielen Ankündigungen im extrem trockenen April 2007 dazu geführt, dass viele weniger Zeckenstiche als sonst in diesem Monat beobachtet wurden.

Statt Szenarien mit pauschalen und vereinfachenden Aussagen brauchen wir also eine sehr differenzierte Betrachtungsweise. Nichts ist so einfach, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.

Literatur

  • 1 Hassler D. Ockelbo-Virus.  Dtsch Med Wochenschr. 2007;  132 656 - 658
  • 2 Reiter P. From Shakespeare to Defoe: Malaria in England in the little ice age.  Emerging Infect Dis. 2000;  6 1-11

PD Dr. Dieter Hassler

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