Laryngorhinootologie 2008; 87(5): 349-351
DOI: 10.1055/s-2007-995660
Gutachten + Recht

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Aus der Gutachtenpraxis: Muss ein Gutachter für das Ergebnis seiner Begutachtung haften?

From the Expert’s Office: Could a Medical Expert be Hold Liable for the Results of his Expertise?T.  Brusis1
  • 1Institut für Begutachtung, Köln
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Publication Date:
23 April 2008 (online)

Der 51-jährige Versicherte hatte zunächst 14 Jahre bei einem Beurteilungspegel von 90 dB(A) und dann 20 Jahre bei einem Beurteilungspegel von 89 dB(A) gearbeitet. Persönlicher Gehörschutz war erst in den letzten zehn Jahren getragen worden.

Bei der gutachterlichen Untersuchung in einer auswärtigen HNO-Klinik im Jahre 1998 fand sich im Tonaudiogramm ein annähernd symmetrischer Schrägabfall von den tiefen über die mittleren zu den hohen Frequenzen mit verstrichener Hochtonsenkenbildung. Bereits im Bereich der mittleren Frequenzen lagen deutliche Hörverluste vor. Der SISI-Test fiel mit 100 % positiv aus und sprach für das Vorliegen eines Haarzellschadens der Innenohren. Bei der sprachaudiometrischen Untersuchung stellten die Gutachter rechts einen mittleren Hörverlust für Zahlwörter von 20 dB und links einen solchen von 27 dB fest. Das ungewichtete Gesamtwortverstehen betrug rechts 20 + 70 + 70 = 160 und links 20 + 60 + 70 = 150. Aus diesen Werten wurde bds. ein prozentualer Hörverlust von 40 % im Sinne einer gering- bis mittelgradigen Schwerhörigkeit errechnet. Die Gutachter gingen vom Vorliegen einer beruflichen Lärmschwerhörigkeit aus und schätzten die MdE auf 20 % ([Abb. 1]). Gleichzeitig empfahlen sie eine Nachbegutachtung nach Ablauf von zwei Jahren.

Abb. 1 Bds. Hochtoninnenohrschwerhörigkeit mit verstrichener Senkenbildung. Der prozentuale Hörverlust aus dem Sprachaudiogramm wurde bds. mit 40 % errechnet. Die MdE wurde von den Erstgutachtern auf 20 % geschätzt und die Diagnose einer gering- bis mittelgradigen Lärmschwerhörigkeit nach Nr. 2301 der BKV gestellt. Bei späteren Nachbegutachtungen fanden sich geringere tonaudiometrische und sprachaudiometrische Hörverluste, sodass die MdE von Nachgutachtern auf 10 bzw. 15 % geschätzt wurde.

Bei der gutachterlichen Nachuntersuchung zwei Jahre später hatten sich die tonaudiometrischen und sprachaudiometrischen Werte leicht verschlechtert, gleichzeitig gab der Versicherte nun ein ständiges belästigendes Ohrgeräusch an. Daraufhin schätzten die Gutachter die MdE auf 30 %.

Von der zuständigen Berufsgenossenschaft gab es Zweifel, dass innerhalb von zwei Jahren bei Tragen von Gehörschutz eine wesentliche Verschlimmerung eingetreten sein sollte. Sie beauftragte danach einen weiteren Gutachter, der aufgrund einer weiteren Untersuchung zu der Auffassung kam, dass die MdE tatsächlich nur 10 % betragen würde. Zur Sicherung des Ergebnisses wurde daraufhin eine erneute Nachbegutachtung an anderer Stelle durchgeführt: Auch hierbei wurde die MdE auf 10 % geschätzt. Gleichzeitig wurde vom Nachgutachter der Vorwurf erhoben, dass die falsche Beurteilung des Ton- und Sprachaudiogrammes des Erstgutachters bei korrekter Auswertung der BERA-Untersuchung hätte auffallen müssen.

Daraufhin erhob die Berufsgenossenschaft beim zuständigen Landgericht Klage gegen den Erstgutachter mit dem Vorwurf, dass das Ergebnis des ersten Gutachtens falsch sei und zum unberechtigten Auszahlen einer Rente geführt habe.

Das Landgericht kam daraufhin in seinem Urteil vom 7. 1. 2005 zu folgender Beurteilung: Der Rentenbescheid werde nicht annulliert, der Versicherte solle seine Rente weiter erhalten. Der Gutachter selbst solle die Rente (304,- €/pro Monat) bis zum Lebensende des Versicherten sowie die bisher entstandenen Kosten von ca. 25 000,- € bezahlen. Das Urteil wurde folgendermaßen begründet: Das Gutachten von 1998 sei objektiv falsch. Es liege eine mangelhafte Werkleistung (Werkvertrag) und damit eine objektive Pflichtverletzung vor. Selbst bei einer Aggravation trage der Gutachter die Beweislast dafür, dass ihn kein Verschulden treffe. Außerdem sei es rechtens von Seiten der BG, einen ausgesprochenen Rentenbescheid nicht zurückzunehmen, da der Begünstigte sich darauf verlassen können müsse.

Der verurteilte Gutachter legte daraufhin beim Oberlandesgericht Berufung ein, da die Befunde im Ton- und Sprachaudiogramm nach seiner Auffassung stimmig waren und das Ergebnis einer BERA-Untersuchung (hier: AN-BERA zum Ausschluss einer retrokochleären Störung) nicht zur zuverlässigen Ermittlung einer Hörschwelle eingesetzt werden könne. Dies sei auch im Königsteiner Merkblatt nicht gefordert.

Das Oberlandesgericht beauftragte daraufhin eine nahe gelegene Universitäts-HNO-Klinik mit einer weiteren Begutachtung. Die gutachterliche Untersuchung war so schwierig, dass diese an einem weiteren Untersuchungstag wiederholt werden musste. Schließlich kamen die Gutachter zu der Auffassung, dass die MdE 15 % betrage. Außerdem führten sie aus, dass die Untersuchungsergebnisse im Ton- und Sprachaudiogramm von 1998 in sich schlüssig seien. Danach sei die Berechnung der MdE von 20 % im Jahre 1998 zutreffend gewesen. Im Nachhinein sei nicht zu klären, wie die nicht reproduzierbaren Untersuchungsergebnisse 1998 zustande gekommen seien. Deswegen habe 1998 keine pflichtwidrige Fehlbeurteilung vorgelegen.

Das Oberlandesgericht stellte daraufhin in seinem Urteil vom 24. 10. 2005 Folgendes fest: Der Gutachter hafte nur für ein fehlerhaftes Ergebnis, wenn ein pflichtwidriges Verhalten nachzuweisen sei. Diesen Nachweis müsse der Kläger erbringen. Also zähle nicht das „falsche Ergebnis”, es müsse vielmehr dargelegt werden, dass der Gutachter den üblichen Standard nicht eingehalten habe. Als Ursache für den fehlerhaften Gutachtenbescheid seien nicht nur die Befundfehlinterpretation, sondern falsche Angaben des Untersuchten anzuschuldigen. Im Übrigen sei es unmöglich, eine Privatperson (den Erstgutachter) zur Rentenzahlung zu verurteilen. Stattdessen solle ein anfechtbares Gutachten überprüft und eine etwaige Rente gegebenenfalls korrigiert werden.

Literatur

  • 1 Wienke A, Janke K. Die Haftung des Arztes als medizinischer Sachverständiger. HNO Mitteilungen Beilage zu 6/2006
  • 2 Streppel M, Brusis T. Simulation und Aggravation in der HNO-ärztlichen Begutachtung.  HNO. 2007;  55 (Suppl. 1) e7-e14
  • 3 von Wedel H. Fehlermöglichkeiten in der Ton- und Sprachaudiometrie.  HNO. 2001;  49 939-959
  • 4 Delank W. Aggravation, Simulation und Kooperationsmängel bei HNO-ärztlicher Begutachtung.  In: Stoll W (Hrsg). Das neurootologische Gutachten. Stuttgart; Thieme Verlag 2002

Prof. Dr. med. Tilman Brusis

Institut für Begutachtung

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50931 Köln

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