Aktuelle Rheumatologie 2008; 33(1): 15-16
DOI: 10.1055/s-2008-1027167
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Sport und Rheuma

Sports and RheumatologyH. Michels1
  • 1Deutsches Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie, Garmisch-Partenkirchen
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Publication Date:
25 February 2008 (online)

Am 22./ 23.6.2007 veranstalteten das Deutsche Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie (DZKJR), Garmisch-Partenkirchen, und die Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie unter der Schirmherrschaft von Rosi Mittermaier und Christian Neureuther, Kinder-Rheumastiftung, in Garmisch-Partenkirchen ein Symposium „Sport & Rheuma bei Kindern”. Den Beiträgen dieses Heftes liegen Vorträge des Symposiums zugrunde. Auch die Übersicht „Rheumatoide Arthritis - Sport mit Einschränkungen empfehlenswert” unter der Rubrik „Für Sie notiert” in diesem Heft geht auf ein Referat des genannten Symposiums zurück, gehalten von Prof. M. H. Liang, Boston.

In seiner Übersicht „Aufbau und Funktion des Gelenkknorpels” liefert Reinhard Putz, Anatomische Anstalt der Ludwig-Maximilians-Universität München, die anatomischen Grundlagen zum Thema „Sport & Rheuma”. Im gesunden Gelenk wird eine technisch bislang kaum erreichte Herabsetzung der Reibung der Gelenkflächen im Bewegungsablauf erreicht, es gilt als praktisch reibungsfrei. Die mechanische Leistung des Gelenkknorpels besteht vor allem darin, den lokalen Druck auf eine möglichst breite Unterlage weiterzuleiten. So wird eine Schonung des Knochengewebes gewährleistet, das ohne die schützende Knorpelbedeckung relativ rasch zerstört werden würde. Der Knorpel kann diese Funktion nur so lange ausüben, wie seine innere Integrität intakt ist. Zahlreiche, das einzelne Knorpel-Strukturelement schädigende Faktoren können eine Kaskade der Knorpelzerstörung auslösen, etwa mechanische Überlastung oder auch entzündliche Einflüsse. Eine individuelle Verbesserung der Knorpeleigenschaften, etwa durch Medikamente, Ernährung oder im Sinne eines Trainings ist nicht möglich. Der „normale” Knorpelverschleiß im Verlaufe des Lebens wird durch die Einwirkungsdauer und die absoluten Größen der wirkenden Kräfte, insbesondere aber auch durch genetische und altersbedingte Faktoren bestimmt. Die für die Ernährung des Knorpels notwendige Flüssigkeitsbewegung wird durch die Verformung des Knorpels im Bewegungsablauf herbeigeführt. Wird der Knorpelstoffwechsel aufgrund zu langer Ruhigstellung zu stark reduziert, so wachsen Blutgefäße ein. In der Folge schiebt sich die Knochen-Knorpel-Grenze etwas näher an die Oberfläche des Gelenkknorpels heran, ein offenbar irreversibler Prozess. Bewegung ist für die Aufrechterhaltung der Knorpelintegrität also unabdingbar, gerade auch für das rheumatische Gelenk. Da der Knorpel keine Fähigkeit zur Reparation besitzt, sollte er auf Dauer nicht überlastet werden, vor allem sind hohe dynamische Spannungsspitzen in den Gelenken zu vermeiden. Keine der Strukturen des Gelenkknorpels weist Materialeigenschaften auf, die in wesentlichem Ausmaß eine Dämpfung oder Federung bewirken könnten. Die übrigen Dämpfungseinrichtungen des Bewegungsapparates, insbesondere die Muskulatur und Sehnen, sollten im Schul- und Erwachsenensport deshalb entsprechend trainiert werden. Dem Kinder-/Rheumatologen kommt die schwierige Aufgabe zu, seine Patienten in dieser komplexen Situation hinsichtlich „Sport” so zu beraten, dass die positiven Effekte der Bewegung zum Tragen kommen, gelenkschädigende Auswirkungen jedoch vermieden werden.

Wie eine solche schwierige Beratung auf wissenschaftlicher Grundlage gestaltet werden könnte, beschreiben Seuser et al. in ihrem Beitrag „Rheuma und Sport - Sicherheit durch Fakten”. Axel Seuser, Chefarzt der Orthopädischen Abteilung der Kaiser-Karl-Klinik, Bonn, hat bereits ausgedehnte Untersuchungen bei Hämophilie-Patienten mit Blutergelenken durchgeführt und aus den Ergebnissen konkrete, faktenbasierte Empfehlungen für eine sportliche Betätigung abgeleitet. Auf der Grundlage dieser Erfahrungen hat er mit seinem Team 18 Kinder mit juveniler idiopathischer Arthritis (JIA) aus Frankfurt/Oder zusammen mit Antje Nimtz-Talaska, Kinderrheumatologin, Frankfurt/Oder, untersucht. Für eine fundierte individuelle Zuordnung von Sportart und Rheumapatient halten Seuser et al. die Klärung dreier Fragestellungen für unabdingbar: die Abschätzung des Risikos für eine Sportverletzung, das Erfassen der individuellen Funktionslast sowie die Bestimmung der individuellen körperlichen Fitness. Zur Bewertung des Risikos für eine Sportverletzung wurde durch die quantitative Auswertung einer Vielzahl von Sportverletzungsstatistiken eine Reihenfolge der wichtigsten Sportarten erstellt, die deren Verletzungsrisiko beschreibt. Mittels Bewegungsanalysen wird die individuelle Funktionslast untersucht, die gegebenenfalls vor Beginn der ausgewählten Sportart gezielt krankengymnastisch und durch physikalische Therapie verbessert werden kann. Die individuelle körperliche Fitness wird mittels eines eigens entwickelten und bereits bei Hämophilie-Patienten erfolgreich eingesetzten „5-Stationen-Fitness-Tests” bestimmt. Aus den verschiedenen untersuchten Parametern ergeben sich sowohl eine Abschätzung des individuellen Risikos für den Patienten sowie Handlungsanweisungen für eine Minimierung dieses Risikos. Für die 18 untersuchten Kinder mit JIA ergab sich, ähnlich wie bei Hämophilen, eine unterdurchschnittliche Fitness. Außerdem zeigte sich in den bewegungsanalytischen Studien eine hohe Funktionslast. Bei den individuellen Empfehlungen zur Ausübung bestimmter Sportarten müssen natürlich auch spezielle Behinderungen einzelner Kinder mitbewertet werden, z. B. besonders betroffene Gelenke. Darüber hinaus soll eine möglichst geringe Entzündungsaktivität in den betroffenen Gelenken vorliegen, was gegebenenfalls eine Therapieoptimierung erfordert. Anhand der konkreten Beispiele „Fechten”, „Inline-Skaten” und „Schwimmen” erläutern die Autoren ihr Konzept. Insgesamt handelt es sich um einen interessanten Versuch, Empfehlungen für bestimmte Sportarten bei Rheumapatienten auf eine objektive, faktenbasierte Grundlage zu stellen. Für eine verlässliche Anwendung bei Patienten mit JIA oder mit rheumatoider Arthritis sollten bestätigende prospektive Untersuchungen durchgeführt werden, die ihrerseits vermutlich zu weiteren Verbesserungen, Anpassungen und Differenzierungen führen könnten.

In der täglichen Beratungspraxis ist für Gunther Neeck, Rheumazentrum, Krankenhaus Bad Doberan, der entzündliche Gelenkschmerz der wichtigste Parameter bei der Frage nach „Sport bei Arthritis”. Prinzipiell geht es darum, ob die destruierenden, gelenkzerstörenden Prozesse durch die sportbedingte Belastung verstärkt werden. Anders ausgedrückt stellt sich die Frage nach dem Einfluß biomechanischer Faktoren auf den Destruktionsprozess. G. Neeck, versucht in seinem Beitrag „Was macht der Sport mit entzündeten Gelenken?” eine Annäherung an diese Problematik, indem er überprüft, ob bei beidseitigem Befall der Hände mit Fingern a) eine einseitige Lähmung oder b) die Händigkeit einen Einfluss auf den Destruktionsprozess haben. Im Hintergrund steht die Annahme, dass die nichtgelähmte Hand bzw. die Gebrauchshand einer stärkeren biomechanischen Belastung ausgesetzt sind. Durch die systematische Auswertung der Literatur überprüft er diese Fragestellung für erwachsene Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen und darüber hinaus für Patienten mit Fingergelenksarthrose. Dabei zeigt sich eine eindeutige Abhängigkeit der entzündlich-rheumatischen Destruktion bzw. des Arthrose-Schweregrades von der biomechanischen Belastung. Etwa entwickeln Rechtshänder in der Tendenz ausgeprägtere Veränderungen an den Fingergelenken der rechten Hand, oder Hemiparetiker zeigen im Bereich der gelähmten Hand weniger schwere Destruktionen. Für die entzündeten Gelenke ergibt sich die Forderung nach konsequenter Beachtung der Prinzipien des Gelenkschutzes auch bei Ausübung von Sport. Als Parameter für eine tolerable biomechanische Belastung empfiehlt G. Neeck den Entzündungsschmerz. Die Ausübung von Sport sollte nicht zu Schmerzen im Bereich der entzündeten Gelenke führen. Die medikamentöse Behandlung mit Analgetika birgt in diesem Zusammenhang die Gefahr, dass dem betroffenen Gelenk die schmerzreflektorische Schonung entzogen wird. Die dadurch verstärkte mechanische Belastung kann zu einer Verstärkung des destruierenden Prozesses führen. Der Entzündungsschmerz ist deshalb, auch gerade bei dem Wunsch nach sportlicher Betätigung, durch Entzündungshemmung/Immunsuppression unter Ausnutzung aller modernen therapeutischen Möglichkeiten zu behandeln.

Bei erheblicher praktischer Bedeutung und ähnlicher Schwierigkeit in der Beantwortung stellt Martin Arbogast, Chefarzt der Klinik für Rheumaorthopädie und Handchirurgie, Waldburg-Zeil Kliniken GmbH & Co. Rheumazentrum Oberammergau, die Frage nach „Sport bei Rheuma und Gelenkersatz”. Grundlage seiner Ausführungen sind eigene Erfahrungen aus den Jahren 1997 bis 2006 bei Patienten mit Schulter- (n = 62) und Knie-Endoprothesen (66 nachuntersuchte Patienten von insgesamt 504 Patienten) sowie in der Literatur berichtete Erkenntnisse. Nur 32,2 % der Patienten mit Schulterendoprothesen trieben Sport, bei den Patienten mit Knieendoprothesen waren dies immerhin 80,2 % der unter 50-Jährigen. Die Arten des Sports betreffen überwiegend die untere Extremität (Wandern). Nur bei 12,9 % wird postoperativ auch die obere Extremität belastet. Im Hinblick auf Lockerungen oder Implantatversagen durch Sport ist die Datenlage schlecht. In klinischen Studien konnte festgestellt werden, dass bei Ausdauersportarten mit zumindest teilweiser Gelenkbelastung keine gehäuften Implantatlockerungen auftraten. Sportarten mit größeren Belastungsspitzen (Sprünge, Ballspiele) führen dagegen eher zu einem frühzeitigen Implantatversagen. Günstig für Sport nach Gelenkersatz sind fließende, rhythmische Bewegungsabläufe mit geringer Kraftentfaltung auf die Gelenke, z. B. Schwimmen, Aquajogging, Wandern, Radfahren, sowie Sportarten, die schon vor der Endoprothetik betrieben worden sind. Es sollten keine Ruhe- oder Belastungsschmerzen vorliegen und ein angemessenes Bewegungsausmaß des Gelenkes bestehen. Die OP sollte sechs Monate zurückliegen, da in dieser Zeit eine Stabilisierung der gelenkumgreifenden Muskulatur aufgebaut werden kann. Abgeraten wird von abrupten Bewegungsabläufen mit Rotationsbewegungen oder einer extensiven Adduktion mit Scheren und Kreuzen der Beine. Belastungsspitzen wie bei Sprüngen oder Ballspielen sind zu vermeiden, ebenso leistungssportliche Aktivitäten bzw. Belastungen mit Wettkampfanforderungen.

Einer ganz anderen Klientel von Rheumapatienten widmen sich Mathias Richter et al., DZKJR, Garmisch-Partenkirchen. In ihrem Beitrag „Sport und seine Bedeutung bei juvenilen Schmerzverstärkungssyndromen” berichten sie über ihre Erfahrungen mit Sport bei Kindern und Jugendlichen mit primären oder sekundären Schmerzverstärkungssyndromen (SVS) („juvenile Fibromyalgie”), deren Einschränkungen oft im Schulsport ihren Anfang nehmen. Für den Behandlungsplan dieser Patienten erscheint wichtig, dass die biopsychosozialen Aspekte des Sports, die sich in der Stärkung des Körpers, in der Festigung der Psyche und in den Kontakten im sozialen Miteinander zeigen, bei SVS positiv genutzt werden können. Insgesamt nahmen 240 Patienten an einer Fragebogen-basierten Untersuchung teil (207 Pat. mit generalisiertem SVS, davon 117 Pat. mit primärem, 90 Pat. mit sekundärem SVS; 33 Pat. mit lokalisiertem Schmerzverstärkungssyndrom, „CRPS I”). Vor Beginn des zwei- bis dreiwöchigen multimodalen Therapieprogramms, das wesentlich auch eine sportbasierte Trainingstherapie enthält, nahmen 40 Jugendliche (16 %) regelmäßig am Schulsport teil, 6 - 12 Monate nach Therapie gaben 31 % der Patienten an, wieder regelmäßig am Schulsport teilzunehmen, ein ermutigendes, aber verbesserungswürdiges Ergebnis. Hauptaspekt der sportlichen Betätigung sollte Spaß und Freude an der Sportart sein. Dadurch kann durch positive Auswirkung auf die psychische Gesundheit und die gesundheitsbezogene Lebensqualität eine Stärkung der individuellen und sozialen Ressourcen erreicht werden.

Wegen der praktischen Bedeutung für die tägliche Praxis sind in späteren Ausgaben der Aktuellen Rheumatologie weitere Beiträge zum Thema „Sport & Rheuma” geplant.

Dr. med. Hartmut Michels

Deutsches Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie

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