intensiv 2008; 16(4): 224-225
DOI: 10.1055/s-2008-1027587
Literaturkommentar

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Besseres Outcome nach Reanimation ohne Atemspende? – Minimally Interrupted Cardiac Resuscitation (MICR)

Mario Hohenegger1
  • 1Medizinische Intensivstation, Klinikum Ludwigshafen
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
31. Juli 2008 (online)

Die Atemspende ist seit jeher fester Bestandteil der kardiopulmonalen Reanimation durch Laien und professionelle Helfer. Sie dient der Sauerstoffversorgung während des Kreislaufstillstandes. Durch die Thoraxkompression soll ein Minimalkreislauf für den Transport dieses Sauerstoffs sorgen. Durchgeführt wird sie durch die Mund-zu-Nase-Beatmung oder mittels Beatmungsbeutel mit Sauerstoffanschluss.

Eine im amerikanischen Ärzteblatt JAMA veröffentlichte Studie [5] stellt die Atemspende als festen Bestandteil der Basismaßnahmen der Reanimation nun infrage.

Bereits im Jahre 2005 zeigte eine Untersuchung von Ewy et al., dass eine regelmäßige Unterbrechung der Thoraxkompression zugunsten der Atemspende bei Schweinen zu einer schlechteren myokardialen und zerebralen Perfusion führt. Die Ergebnisse bei kontinuierlicher Fortführung der Thoraxkompression waren deutlich besser [1].

Das von der Arbeitsgruppe um Ewy verfeinerte Konzept wird von dieser mittlerweile als Minimally Interrupted Cardiac Resuscitation (MICR) bezeichnet.

Die Autoren beschreiben das Konzept der MICR wie folgt: Auf eine initiale Serie von 200 Thoraxkompressionen folgt eine Rhythmusanalyse und gegebenenfalls eine Defibrillation. Im Anschluss folgen weitere 200 Kompressionen. Erst dann erhält der betroffene Patient Adrenalin und wird endotracheal intubiert und schließlich (ohne Unterbrechung der Kompressionen) beatmet.

Im Rahmen einer prospektiven Studie sollte die Überlegenheit der MICR gegenüber dem gängigen Regime (Guidelines 2005 [2]) nachgewiesen werden. Zu diesem Zweck wurden Notaufnahmen und Feuerwehren im Bereich von zwei Großstädten im US-Bundesstaat Arizona in MICR ausgebildet. Das Patientenkollektiv betrug 668 Patienten. 36 dieser Patienten konnten die Klinik später lebend verlassen. Die Überlebensrate von 5,4 % war dreimal so hoch wie in der Kontrollgruppe von 218 herkömmlich nach den Guidelines 2005 reanimierten Patienten (1,8 %). Die Autoren werten die Ergebnisse ihrer prospektiven Studie als Bestätigung ihres Konzepts. Eine randomisierte kontrollierte Studie sei aber für einen definitiven Beweis noch erforderlich.

Eine 2007 veröffentlichte japanische Studie, die sich auf die Reanimation durch Laien bezog, konnte diese Ergebnisse bestätigen. Die Überlebensrate konnte unter MICR verdoppelt werden [3].

Die Tatsache einer verbesserten myokardialen und zerebralen Perfusion unter längerer Thoraxkompression wurde bereits in den Guidelines 2005 mit der Veränderung des Kompressions-Beatmungs-Verhältnisses von 15:2 auf 30:2 berücksichtigt. Die Autoren freilich fordern eine noch viel deutlichere Änderung dieser Guidelines zugunsten der Thoraxkompression [2].

In einer Stellungnahme zur MICR fordern Peberdy und Ornato im amerikanischen Ärzteblatt eine Stützung des Konzeptes durch randomisierte kontrollierte Studien. Sie sprechen im Hinblick auf die jüngsten Änderungen der Guidelines (2005) von einer Evolution, nicht von einer Revolution [4]. Peberdy und Ornato folgern, dass die Guidelines 2005 natürlich weiter den Goldstandard darstellen und bindend sind, solange noch keine weiteren sicheren Daten vorliegen, die für eine Änderung des Vorgehens in Richtung MICR sprechen. Erst unter diesen Voraussetzungen wäre eine Berücksichtigung des Konzeptes bei der Aktualisierung der weltweiten Guidelines denkbar.

Bei der näheren Betrachtung der MICR-Konzeptes stellen sich weitere, bisher noch nicht beantwortete Fragen. Es wäre zu klären, ob es signifikante Unterschiede der Überlebensrate zwischen konventioneller CPR und MICR in Abhängigkeit von der Qualifikation der Helfer (Laien versus professionelle Helfer) gibt. Auch der Einfluss der pulmonalen Sauerstoffreserven der Patienten sollte untersucht werden. Die zu klärende Frage wäre hierbei, ob ein hypoxämisch verursachter Kreislaufstillstand im Vergleich zum primär kardial verursachten Stillstand zu unterschiedlichen Überlebensraten führt. Eine weitere Fragestellung wäre auch, inwieweit die pathophysiologische Ursache und der Primärrhythmus (Asystolie, Kammerflimmern, PEA) Einfluss auf das Outcome der Patienten hat. Interessant wäre es auch, die Frage zu klären, ob die primäre Gabe von Adrenalin und einmalig Atropin (Atropin bei hypodynamen Stillständen) während der ersten 200 Kompressionen bei MICR sinnvoll wäre.

Literatur

  • 1 Ewy G A. Cerebral Resuscitation: The New Cardiopulmonary Resuscitation.  Circulation. 2005;  111 2134-2142
  • 2 Nolan J, Dirks B. Leitlinien zur Reanimation 2005 des European Resuscitation Council.  Notfall&Rettungsmedizin. 2006;  9 6-9
  • 3 1-SOS-KANTO study group et al. . Cardiopulmonary resuscitation by bystanders with chest compression only (SOS-KANTO): an observational study.  Lancet. 2007;  369 920-926
  • 4 Peberdy M A, Ornato J P. Progress in Resuscitation: An Evolution, Not a Revolution.  JAMA. 2008;  299 1188-1190
  • 5 Ewy G. et al . Minimally Interrupted Cardiac Resuscitation by Emergency Medical Services for Out-of-Hospital Cardiac Arrest.  JAMA. 2008;  299 1158-1165

Mario Hohenegger

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