Geburtshilfe Frauenheilkd 1984; 44(4): 243-248
DOI: 10.1055/s-2008-1036884
Gynäkologie

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Gynäkologisch-endokrinologische Untersuchungen bei thalidomidgeschädigten Mädchen

Gynaecological and Endocrinological Investigations in Women Damaged by ThalidomideD. Mühlenstedt, M. Schwarz
  • Frauenklinik und Institut für Humangenetik der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster sowie Oldenburger Frauenklinik und Hebammenlehranstalt
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
19. März 2008 (online)

Zusammenfassung

32 thalidomidgeschädigte Mädchen wurden im Alter zwischen 13 und 18 Jahren erstmals gynäkologisch unter sucht. Bei 11 von ihnen bestand zum Untersuchungszeitpunkt eine primäre Amenorrhoe, die Untersuchung ergab hierbei in 9 Fällen Genitalfehlbildungen. Vorrangig ist das innere Genitale betroffen: Uterusaplasie bei 7 Patientinnen, rudimentärer Uterus bei jeweils einer Patientin.

Bei 8 Mädchen waren diese Veränderungen zusätzlich mit Fehlbildungen der Vagina kombiniert, Vaginalaplasie in 3 Fällen, in 4 Fällen ein Scheidenblindsack unterschiedlicher Länge sowie ein Sinus urogenitalis bei einer Patientin. Zwei Patientinnen waren primär amenorrhoisch, ohne daß Genitalfehlbildungen vorlagen. Bei den Mädchen mit bereits eingetretener Menarche ließ sich in keinem der 21 Fälle eine Mißbildung des Genitales nachweisen.

Zur Klärung der Frage, ob neben den beschriebenen Organveränderungen zusätzlich Störungen der Entwicklung und Funktion auf hormoneller Ebene durch das Thalidomid vorliegen, ergänzten wir unsere Untersuchungen durch endokrinologische Studien.

In der Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale spiegelt sich der äußerlich erkennbare Ablauf der Pubertätsentwicklung wider. Unsere Patientinnen haben fast alle ein fortgeschrittenes Pubertätsstadium erreicht, die Mammaentwicklung ist der Pubesentwicklung voraus.

Der Menarcheeintritt zwischen dem 11. und 16. Lebens jahr läßt für unsere Patientinnen keine Abweichungen von einem normalen Ablauf erkennen. Ein stabiler Zyklus lag in 11 Fällen vor.

Die funktionszytologische Auswertung von Vaginalabstrichen bei 28 Patientinnen ergab in keinem Fall einen Hinweis auf einen Östrogenmangel. Der Pubertätsentwicklung liegen neuroendokrine Reifungsprozesse zugrunde. Die Basalsekretionen von FSH und LH nehmen zu. Durch dynamische Funktionsteste mit LH-RH läßt sich die hypophysäre LH-Reserve nachweisen, die gleichfalls in typischer Weise ansteigt. Bei 14 Patientinnen konnten wir einen LHRH-Test durchführen. Hierbei fand sich in 9 Fällen eine ausgereifte LH-Reserve entsprechend dem Index R2.

Unsere Ergebnisse sprechen für eine normale Pubertätsentwicklung bei thalidomidgeschädigten Mädchen mit ungestörter Entwicklung der neuroendokrinen Reifungsprozesse. Eine Indikation für eine Stimulations- oder Substitutionsbehandlung stellt sich bei regelrecht sekretorischer Aktivität von Hypophyse und Ovarien nicht.

Abstract

Gynaecological examinations were done for the first time in 32 girls, between age 13 and age 18 damaged by thalidomide. 11 of the girls had primary amenorrhoea at the time of examination. 9 of these cases showed genital malformations. 7 cases showed aplasia of the uterus. A rudimentary uterus and a hypo-plastic uterus were found in one patient each.

In 8 girls these changes were combined with abnormalities of the vagina, 3 cases had vaginal aplasia. 4 cases had a blind vaginal sac. 1 case had a urogenital sinus. Two patients had primary amenorrhoea without genital malformations. In the girls who had started menstrual periods none of the 21 cases showed genital malformations.

Supplementary endocrinological investigations were done to answer the question whether functional disturbances were caused by thalidomide in addition to organic changes.

The development of puberty can be diagnosed from secondary sexual markers. Our patients had almost all advanced puberty with more mammary development than pubic development.

The menarche between age 11 and age 16 showed no deviation from the normal in our patients. 11 girls had regular cycles.

The hormonal vaginal cytology in 28 patients showed no sign of deficient estrogen. Neuro-endocrine maturation is responsible for the development of puberty. The basal secretions of FSH and LH increase. The dynamic functional test with LHRH shows the LH reserve of the pituitary which rises in a typical pattern. 14 patients had a LHRH test and nine of these showed a mature LH reserve corresponding to the index R2.

Our results show a normal pubertal development in girls damaged by thalidomide and an undisturbed development of the neuro-endocrine maturation. Stimulation or Substitution treatment is not indicated in cases with normal secretory activity of the pituitary and the ovaries.