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DOI: 10.1055/s-2008-1038686
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Kommunikation - ein Schlüsselproblem auch in der Notfallmedizin
Publication History
Publication Date:
17 June 2008 (online)
Der Begriff „Kommunikation“ wurde von einer hochrangig besetzten Jury im Jahre 1999 zu einem der „100 Wörter des Jahrhunderts“ ausgewählt. Zweifellos leben wir, zumal mit Unterstützung technischer Hilfsmittel, in einem Zeitalter enorm wachsender und vielfach völlig neuer Kommunikationsmöglichkeiten. Die neue Qualität speziell von elektronischer „Kommunikation“ führt aber auch zu einer inflationären Verwendung des Begriffs und Verschleiß seines eigentlichen Inhalts, nämlich der Fähigkeit des Menschen, Informationen unterschiedlichster Art u. a. durch Sprache und deren Modulation, Körperhaltung, Gestik und Mimik anderen mitzuteilen. Der Wortstamm von „Kommunikation“ unterstreicht bereits die Bedeutung des Gemeinschaftlichen und beschreibt damit auch die sozialen Zusammenhänge von Kommunikation, die z. B. einer gemeinsamen Problemlösung dienen kann. Kommunikation erweist sich in diesem Sinne als eine der wesentlichsten Grundlagen menschlichen Zusammenlebens.
So verstanden wundert es nicht, dass der inflationäre Gebrauch des Wortes „Kommunikation“ für die unterschiedlichsten interaktiven Vorgänge auch Widerstand hervorruft: „Dürfte ich das Unwort des Zeitalters bestimmen, so käme nur eins infrage: kommunizieren … Die ganze Artenvielfalt unserer Erregungen und Absichten fallen der Ödnis und der Monotonie eines soziotechnischen Kurzbegriffes zum Opfer. Damit leisten wir dem Nichtssagenden Vorschub, das unsere Sprache mit großem Appetit auffrisst“ (Botho Strauß in: „Der Untenstehende auf Zehenspitzen“).
In dieser Ausgabe von Notfallmedizin up2date finden Sie eine fundierte Übersicht von K. Burghofer und C. K. Lackner zur Kommunikation am Notfallort als einer ersten Endstrecke des Notfalleinsatzes. In der Notfallmedizin bedarf die Kommunikation in besonderem Maß der Kürze, der Klarheit, der Verständlichkeit und der Eindeutigkeit. Wegen ihrer Fehleranfälligkeit und den daraus erwachsenden Gefahren bedarf sie außerdem der die gleichen Bedingungen erfüllenden Bestätigung durch den Empfänger. Dass die Kommunikation am Notfallort oft nicht nur für den Außenstehenden Befehlscharakter hat, ist unvermeidbare Folge der unterschiedlichen Verantwortungsebenen in der Notsituation.
Betrachten wir den Ablauf eines typischen Notfalleinsatzes mit begrenztem Problem, d. h. der Versorgung eines einzelnen Notfallpatienten, so erkennen wir die essenzielle Bedeutung der Kommunikation in ihrer Grundbedeutung in verschiedensten Ebenen, werden uns aber auch der Vielzahl der möglichen Fehlerquellen bewusst. Ruft der Betroffene selbst die Leitstelle an und schildert seine Symptome, so wird der Leitstellenmitarbeiter bereits aus der Art des Anrufes (Stimmlage, Kurzatmigkeit, Hintergrundgeräusche, etc.) einiges an zusätzlichen Informationen wahrnehmen können, die der Patient selbst gar nicht bewusst mitteilt. Wesentlich schwieriger wird die Situation, wenn der Anrufer nicht selbst der Betroffene ist oder wenn gar eine dritte Person, die die Situation selbst gar nicht kennt (sogenannter 3rd-Party-Caller), den Notruf tätigt. Die Kompetenz des Leitstellenmitarbeiters erweist sich gerade in solchen Situationen durch seine Kommunikationsfähigkeit und auch dann, wenn Schmerz, Angst, Aggressivität, Ungeduld oder Missverständnisse die Notrufbearbeitung schwierig werden lassen. Eine ruhige Gesprächsführung, Klarheit, Geduld und Verständnis für die Situation wecken beim Anrufer Vertrauen und Sicherheit auf schnelle, kompetente Hilfe.
Eine optimale Verarbeitung aller Inhalte der stattgehabten Kommunikation bestätigen einerseits dem Anrufer, dass er verstanden worden ist, andererseits führt sie zur Alarmierung der geeigneten Rettungsmittel in professionell eindeutiger, in der Regel befehlsartiger Form. Die alarmierten Rettungskräfte bestätigen in Kürzeln, dass die Information richtig angekommen ist. Die Leitstelle selbst wird je nach Lage die Kommunikation mit dem Anrufer nicht abbrechen, sondern bereits Erste-Hilfe-Anweisungen geben.
Am Notfallort wird je nach Sachlage die gesamte Breite der Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Rettungskräften und Patienten auf der einen Seite und den Rettungskräften untereinander auf der anderen Seite eingesetzt. In Bezug auf den Patienten ist neben der nicht immer möglichen verbalen die nonverbale Kommunikation wie z. B. mithilfe optischer und haptischer Eindrücke von zentraler Bedeutung. Nach der Erstversorgung von lebensbedrohlich Erkrankten oder Verletzten ist die Vorabanmeldung des Patienten mit Verdachtsdiagnose und voraussichtlicher Eintreffzeit wiederum ein wichtiger Kommunikationsschritt in der Notfallmedizin, gefolgt von einer strukturierten Übergabe im Krankenhaus als letzten Vorgang in der rettungsdienstlichen Notfallversorgung. Jeder der genannten Schritte hat ein hohes Maß an Fehleranfälligkeit, das durch die zeitliche Dringlichkeit und notwendige Schnelligkeit bei häufig komplexer Situation noch gesteigert wird. Oberstes Ziel der Notfallmedizin ist, in gemeinsamer Arbeit das Problem des betroffenen Patienten zu lösen. Insofern ist „Kommunikation“ auf diesem Feld im wahrsten Sinne des Wortes gefordert und eine besondere Herausforderung.
Maximale Belastung erfährt die individuelle Kommunikationsfähigkeit beim Großschadenseinsatz. Die technischen Möglichkeiten finden in dieser Lage schnell Grenzen. Die Vielfalt der Ereignisse, Situationen und Lagen gehen mit einem nachvollziehbaren Bedürfnis nach Information auf der einen Seite und Anfragen nach personeller oder materieller Unterstützung auf der anderen Seite einher. Disziplin, soziale Kompetenz und Begrenzung der verbalen Kommunikation auf das absolut Wesentliche ist hier Ausdruck der Professionalität. Allein so lässt sich der häufig beobachtete frühe Eintritt des Zusammenbruchs der Kommunikation durch Überlastung der hierfür zur Verfügung stehenden Mittel und die potenziell daraus resultierenden katastrophalen Konsequenzen vermeiden. Ohne Zweifel: Kommunikation ist ein Problem in der Notfallmedizin, von dessen Lösung Gelingen oder Misslingen des Notfalleinsatzes wesentlich mit beeinflusst wird.
Am Ende dieses Editorials bleibt, verehrte Leser, nur noch mitzuteilen (um nicht durch Verwendung des Begriffs „zu kommunizieren“ zur inflationären Entwicklung des Begriffs beizutragen), dass ich mit diesem Editorial meine Aufgabe als Mitherausgeber der „Notfallmedizin up2date“ abgeben werde. Mir ist es eine Freude, Herrn PD Dr. Holger Thiele, ebenfalls Internist, Kardiologe und Notfallmediziner in meiner Nachfolge vorzustellen. Ich hoffe, dass meine Arbeit dazu beigetragen hat, die Notfallmedizin up2date in der Startphase auf einen guten Weg zu bringen und ich bin sicher, dass der Kollege Thiele diese Arbeit erfolgreich weiterführen wird.
Prof. Dr. med. Hans-Richard Arntz, Berlin