Z Orthop Unfall 2009; 147(1): 91-120
DOI: 10.1055/s-2008-1039299
Refresher Orthopädie und Unfallchirurgie

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Therapie von Femurschaftfrakturen

C. Hierholzer1 , A. Woltmann1 , V. Bühren1
  • 1Chirurgische Abteilung, BG-Unfallklinik Murnau
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Publication Date:
04 March 2009 (online)

Anatomie

Das Femur kann in verschiedene Regionen eingeteilt werden: Hüftkopf-, Schenkelhals-, inter- und pertrochantäre, subtrochantäre, Schaft-, suprakondyläre und Kondylenregion.

Die

Instabilität und Anatomie bedingen eine gesonderte Kategorisierung der subtrochantären Frakturen.

subtrochantären Frakturen werden aufgrund ihrer anatomischen Besonderheiten und Instabilität als hüftgelenknahe, proximale Frakturen angesehen. Die proximalen hüftgelenknahen und distalen kniegelenknahen Frakturen stellen eigene Frakturentitäten dar und werden in diesem Artikel nicht behandelt.

Die diaphysäre Zone beginnt proximal mit der subtrochantären Region und endet distal mit der suprakondylären Region. Die Diaphyse erstreckt sich zwischen diesen beiden metaphysären Zonen. An der posterioren Seite des Femurs verläuft die Linea aspera, die eine wichtige Faszienverankerung darstellt.

Das

Die anteriore Angulation des Femurs zeigt eine individuelle Variabilität.

Femur zeigt keinen geraden Verlauf, sondern besitzt eine anteriore Angulation. Das Ausmaß der anterioren Angulation variiert von Patient zu Patient. In Schaftmitte weist der medulläre Kanal einen engen Isthmus auf und vergrößert sich sowohl proximal als auch distal. Entlang der posterioren Linea aspera ist der femorale Kortex deutlich dicker.

Das distale Femurende hat 2 konvexe Kondylen, die durch die Fossa intercondylaris getrennt sind:

den größeren Condylus medialis und den Condylus lateralis.

Diese Fossa wird dorsal begrenzt durch eine flache Knochenleiste, die Linea intercondylaris. Ventral vereinigen sich die Kondylen zu einer gemeinsamen, transversal konkaven, sagittal konvexen Gelenkfläche als Verbindung mit der Kniescheibe, der Facies patellaris. Proximal der Kondylen liegen die nur wenig vorspringenden Epikondylen medial und lateral.

Die

Distale Gelenkfläche und Femurschaft stehen im Valguswinkel von 5–7 Grad zueinander.

distale Gelenkfläche des Femurs ist im Valguswinkel zum Femurschaft orientiert. Der Valguswinkel beträgt bei Männern ca. 5 Grad und bei Frauen ca. 7 Grad. Der überwiegende Anteil der femoralen Kondylen liegt posterior der Femurschaftachse.

Biomechanische Besonderheiten

Die

Mechanische und anatomische Achse des Femurs decken sich nicht.

Eine axiale Belastung resultiert in lateralen Zug- und medialen Kompressionskräften.

Plattenosteosynthesen sollten wegen der Kräfteverhältnisse auf der Zuggurtungsseite erfolgen.

mechanische Achse des Femurs liegt nicht auf der anatomischen Achse. Unter axialer Belastung entstehen daher am Femur auf der lateralen Seite Zug- und auf der medialen Seite Kompressionskräfte. Auf der lateralen Femurseite führen die distrahierenden Kräfte zu einer Frakturdislokation. Eine Plattenosteosynthese, die auf der Kompressionsseite des Femurs aufgebracht wird, kann die Zugkräfte nicht neutralisieren. Daher sollte die Plattenosteosynthese nicht auf der Kompressions-, sondern immer auf der Zuggurtungsseite appliziert werden. Liegt die Platte auf der Zuggurtungsseite, kann die Osteosynthese die Zugkräfte des lateralen Kortex in Kompressionskräfte auf den medialen Kortex umwandeln. Voraussetzung hierfür ist eine intakte mediale Abstützung. Liegt ein medialer kortikaler Defekt vor, können Biegebelastungen zu einem Ermüdungsbruch der Plattenosteosynthese führen. In diesen Fällen sollte keine Zuggurtungsplatte verwendet werden.

Gefäßversorgung

Das

Die periostale Blutversorgung ist überwiegend zirkulär orientiert, weshalb ringförmige Drahtcerclagen die Vaskularisierung nicht relevant beeinträchtigen.

Femur besitzt eine ausgedehnte Gefäßversorgung und bezieht einen Großteil der Blutversorgung über die Arteria profunda femoris. Die Aa. nutriciae treten entlang der Linea aspera von posterior und proximal in das Femur ein und speisen die endostale Zirkulation. Die endostale Zirkulation versorgt einen Großteil der Femurkortikalis und besitzt einen überwiegend zentrifugalen Blutfluss. Zusätzlich besteht eine periostale Blutzirkulation, die eine überwiegende zirkuläre Blutflussrichtung und nur eine geringe longitudinale Ausbreitung hat. Daher können zirkuläre Drahtcerclagen um das Femur bei der Frakturversorgung gelegt werden ohne ein relevantes Risiko für die Vaskularisierung eines lokalen Femurabschnitts.

Obwohl

Während der frühen Knochenheilung spielt die periostale Blutversorgung eine zentrale Rolle.

die periostale Zirkulation nur etwa ein Viertel des äußeren Kortex versorgt, spielt sie eine wichtige Rolle bei der Frakturheilung der Diaphyse. Bei einer Frakturdislokation kommt es zur Zerreißung der medullären Gefäße. Daher dominiert die periostale Blutversorgung der Frakturzone während der Phase der frühen Knochenheilung. Als physiologische Antwort auf eine Fraktur wird eine Proliferation der periostalen Gefäße induziert, während die endostale Zirkulation erst viel später wiederhergestellt wird.

Die

Cave: Keine periostale Denudierung im Bereich der Linea aspera!

Bedeutung des periostalen Blutflusses in der frühen Frakturheilungsphase unterstreicht, dass eine periostale Denudierung besonders entlang der Linea aspera unbedingt vermieden werden muss.

Umgebender Weichteilmantel

Der Femurschaft ist durch große Muskelgruppen umschlossen:

  • die Adduktoren auf der medialen Seite,

  • der Quadrizepsmuskel auf der anterioren Seite,

  • die Oberschenkelbeuger auf der posterioren Seite und

  • der M. vastus lateralis mit dem Tractus iliotibialis auf der lateralen Seite.

Die wichtigsten neurovaskulären Strukturen des Femurs sind wie folgt:

  • die Nervi femoralis und ischiadicus sowie

  • die Arteriae femoralis superficialis und profunda.

Der

Anatomisch bedingt besteht ein erhöhtes Verletzungsrisiko des N. saphenus am Knie und medialen Oberschenkel.

Nervus femoralis tritt in den Oberschenkel auf der Oberfläche des M. psoas liegend ein und endet in der Quadrizepsmuskulatur auf der anterioren Seite. Der Nervus saphenus ist der Endast des Nervus femoralis und zieht mit der Vena saphena magna nach distal bis zur Medialseite des Fußes. Im Bereich der Medialseite des Oberschenkels und des Knies ist der Nerv lagebedingt sehr verletzungsanfällig.

Der Nervus ischiadicus tritt an der posterioren Seite unter der Insertion des Gluteus maximus ein und verläuft weiter nach distal. In Höhe der Schaftmitte teilt er sich in den Nervus tibialis und Nervus peronaeus.

Die Arteria femoralis superficialis verläuft durch die Lacuna vasorum, dann auf der anterioren Seite des Oberschenkels und zuletzt durch den Adduktorenkanal. Sie verlässt medial den Adduktorenkanal durch den Hiatus adductorius und wird schließlich zur A. poplitea im posterioren Anteil des distalen Oberschenkels.

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Prof. Dr. Christian Hierholzer

Chirurgische Abteilung
BG-Unfallklinik Murnau

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