Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2008; 40(1): 32-34
DOI: 10.1055/s-2008-1044043
Praxis
Falldarstellung
© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Verlauf eines myelodysplastischen Syndroms (RAEB II) unter einer komplementären Therapie

E. D. Hager, F. Migeod, M. Schedler
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Publication Date:
02 April 2008 (online)

Einleitung

Das myelodysplastische Syndrom (MDS) ist eine klonale Erkrankung einer frühen hämatopoetischen Vorläuferzelle. Dadurch werden Proliferation, Differenzierung und Apoptose von meist mehreren hämatopoetischen Zellreihen gestört (Granulo-, Erythro-, Thrombopoese). Das MDS ist meist durch Knochenmarkhyperplasie mit variabler Blastenvermehrung und häufig mit Panzytopenie im peripheren Blut gekennzeichnet; in seltenen Fällen liegt auch eine Knochenmarkhypoplasie vor (hypoplastisches MDS). Genetische und vor allem epigenetische Aberrationen ohne bekannte Auslöser sind pathogenetisch und prognostisch von Bedeutung. Man unterscheidet zwischen einem primären MDS und einem durch Chemotherapie und ionisierende Strahlen sowie organischen Lösungsmitteln (z.B. Benzol) und Insektiziden verursachten sekundären MDS. Der Krankheitsverlauf ist unterschiedlich, eine akute myeloische Leukämie (z.B. M4Eo) kann die Folge sein. Zur Prognoseabschätzung werden der medulläre und periphere Blastenanteil und das Ausmaß der Beteiligung der verschiedenen Zellreihen bestimmt sowie Karyotypanomalien erfasst. Die Prognose wird nach dem „International Prognostic Scoring System” (IPSS) bestimmt. Bei einigen Formen von Niedrigrisiko-MDS (v.a. hypoplastisches MDS) wird eine Autoimmungenese vermutet. Die jährliche Inzidenz liegt bei 3-4/100 000 in der Bevölkerung mit steigender Tendenz.

Rein palliative Maßnahmen waren bisher die Methode der Wahl bei der Behandlung des MDS. Eine umsichtige, streng indikationsbezogene Anwendung von Erythro- und Thrombozyten-Transfusionen und Eisen-Chelation kann die Autoimmunisation und Eisenüberladung verzögern und die Prognose günstig beeinflussen. Die allogene Transplantation mit dosisreduzierter Konditionierung stellt derzeit die einzige kurative Therapieoption dar, allerdings mit schlechten Ergebnissen bei über 60-jährigen Patienten [1]. Neue Therapien mit Inhibitoren der DNA-Methylierung wie Azacytidin zeigen ermutigende therapeutische Erfolge, die allerdings nur von relativ kurzer Dauer sind (Median 5-6 Monate) [2].

Bei der dieser Krankheit zu Grunde liegenden pathogenetischen Entartung spielt das Enzym Histon-Acetylase eine große Rolle, da dieses Enzym die Funktion von Genen hemmt, die für Reifung, Differenzierung und Zellteilung von blutbildenden Stammzellen von entscheidender Bedeutung sind. Dadurch kommt es zu einer Beeinträchtigung der Blutbildung und zu einer Erhöhung des Risikos für eine Zellentartung. Valproinsäure hemmt die Histon-Deacetylase, dadurch können die abgeschalteten Gene wieder aktiviert werden. Daher wird experimentell Valproinsäure eingesetzt. Vor allem bei Niedrigrisiko-MDS-Patienten mit normalem Chromosomenbefund bietet sich ein Therapieversuch mit Valproinsäure für 8-10 Wochen (Therapieansprechen) an. Valproinsäure wirkt außerdem ähnlich wie Thalidomid durch die Hemmung der Gefäßbildung. Vitamin A (Retinsäure) und Valproinsäure weisen außerdem (re)differenzierende Wirkungen auf und können damit zur Behandlung der MDS angewendet werden. Thalidomid beziehungsweise sein Abkömmling Lenalidomid wirken immunmodulierend (sog. IMiDS = immunomodula- tory drugs) und hemmen die Angiogenese, die Zellproliferation und induzieren eine α-TNF-Hemmung und Apoptose. Bisher gibt es keine vergleichenden Studien zu Thalidomid vs. Lenalidomid. Was die Nebenwirkungen der beiden Substanzen anbelangt, so sind diese vergleichbar. Die in Publikationen und von dem Hersteller betonte geringere Nebenwirkungspalette von Lenalidomid im Vergleich zu Thalidomid bezieht sich auf die in den frühen onkologischen Studien angewendeten extrem hochdosierten Behandlungen mit Dosierungen bis 800 mg/die, die nach dem Prinzip der maximal tolerablen Dosis (MTD) ausgewählt wurden. Für Biologika gilt allerdings dieses MTD-Prinzip nicht, ganz im Gegenteil. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass 50 bis maximal 100 mg/die vollkommen ausreichen, um bei der MDS oder auch CLL gute therapeutische Effekte zu erreichen, und bei dieser Dosierung sind die Nebenwirkungen vergleichbar niedrig.

Weiterhin wurde eine entzündungshemmende Wirkung nachgewiesen. Die Gabe von Thalidomid bzw. Lenalidomid bei Patienten mit MDS ist vielversprechend. Ein gutes zytogenetisches Ansprechen wurde bei der 5 q-Deletion beschrieben. Das Therapieziel für diese Patientengruppe, die Transfusionsfreiheit, kann damit bei einem Großteil der Patienten erreicht werden. Vermutlich kommt es zu einer Suppression des myelodysplastischen Zellklons. Zu beachten ist das erhöhte Risiko für Neutro- und Thrombozytopenien, insbesondere zu Beginn der Therapie. Eine sorgfältige Überwachung der Patienten und die G-CSF-Gabe können dazu beitragen, dieses Komplikationsrisiko zu minimieren. Auch ist ein erhöhtes Thromboserisiko unter der Thalidomid-Behandlung zu beachten, insbesondere wenn die Dosierung über 50-100 mg/die liegt. Eine Phase-2-Studie ergab für Lenalidomid 10 mg/die eine Transfusionsfreiheit für einen Großteil der Patienten [4].

Der größte Risikofaktor für viele lymphoproliferative Erkrankungen ist die Immundefizienz. So ist das Risiko, an einem Non-Hodgkin-Lymphom zu erkranken bei erworbener Immundefizienz, z.B. unter immunsuppressiver Therapie nach Nierentransplantation, 10- bis 20-fach größer als im Durchschnitt der Bevölkerung; bei angeborener Immundefizienz sogar bis zu 50-fach. Andererseits konnte H. Nauts, die Tochter von W.B. Coley, durch sorgfältige Aufarbeitung der Akten, die ihr Vater über Jahrzehnte von Patienten gesammelt hat, bei denen eine aktive Fiebertherapie durchgeführt wurde, zeigen, dass insbesondere Patienten mit Lymphomen und Lymphosarkomen besonders gut auf eine Fiebertherapie angesprochen haben (Übersicht siehe [3]). Überwärmung oder Fieber ist die maximale Form zur Aktvierung des Immunsystems. Der weitverbreitete Irrtum, dass durch Immunstimulation lymphoproliferative Erkrankungen gefördert werden könnten, basiert auf keiner rationalen, naturwissenschaftlichen Basis. Molekularbiologische Forschungen zeigen, dass sich maligne Lymphomzellen durch autokrine und parakrine Stimulation durch „Abschuss” von Vesikeln, die mit Wachstumsfaktoren sehr dicht besetzt sind, derart hochdosiert stimulieren, dass peripher verursachte Stimuli mit Sicherheit so gut wie keinen Einfluss auf das maligne Geschehen haben.

Literatur

  • 01 Benesch. et al . Hematopoietic cell transplantation for adult patients with myelodysplastic syndromes and myeloproliferative disorders.  Mayo Clin Proc. 2003;  78 941-3
  • 02 Claus R. et al .DNA-Hypermethylierung als therapeutische Zielstruktur bei myelodysplastischen Syndromen. Zeitschrift online Ausgabe 03/07
  • 03 Hager E D. Biotherapie und Biomodulation des Krebses. Bd. II Heidelberg; Verlag für Medizin Dr. Ewald Fischer 1989
  • 04 List A. et al . Lenalidomide in the myelodysplastic syndrome with chromosome 5 q-deletion.  N Engl J Med. 2006;  355 1456-65

Korrespondenzadresse

Dr. med. Dr. rer. nat. E. Dieter Hager

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