Klin Padiatr 1996; 208(4): 179-185
DOI: 10.1055/s-2008-1046470
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Case Control Study on Childhood Leukemia in Lower Saxony, Germany

Basic considerations, methodology, and summary of resultsFallkontrollstudie zu den Ursachen von Leukämien bei Kindern in NiedersachsenDurchführung und ErgebniszusammenfassungPeter  Kaatsch , Uwe  Kaletsch , Frank  Krummenauer , Rolf  Meinert , Anke  Miesner , Günter  Haaf , Jörg  Michaelis
  • Institut für Medizinische Statistik und Dokumentation der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Further Information

Publication History

Publication Date:
13 March 2008 (online)

Abstract

In two municipalities in Lower Saxony statistically valid clusters were observed, which attracted great public interest. Committees were set up to initiate a large variety of on-the-spot-investigations. Finally, it was decided to conduct a case control study throughout Lower Saxony to explore potential risk factors which might explain the observed clusters. A limited number of already established and currently discussed hypotheses was chosen for investigation.

The study was based on patients registered at the German Children's Cancer Registry (GCCR). For each child with leukemia diseased between 1988 and 1993 two population-based controls (local and state controls) and one tumor control were selected.

Data were collected by means of a questionnaire self-administered by the parents and a telephone interview. In addition, measurements of electromagnetic fields and radon were performed and inspections of the child's birth record were made for the purpose of confirming a potential association between potential vitamin K prophylaxis and leukemia or tumors.

This paper presents the concept and basic considerations of the study, its design and statistical evaluation. Response rates and a summary of results will be presented, too. The paper will serve as a reference for subsequent publications about more detailed analyses of specific potential risk factors.

425 parents of diseased children and 610 of non-diseased children were asked for participation. The rates of response were 82% for families with diseased and 71% for families with non-diseased children. In total, 781 parents participated in the study. The most important results are as follows:
- The Greaves' hypothesis (9,10) was supported by the following results: In children diseased with leukemia, vaccinations were less frequent, virus-related infections occurred more rarely, these children were more frequently first-born children and more frequently breastfeed, and they possibly had fewer contacts with other children in infancy.
- Our data do not show a significant association between parenteral vitamin K prophylaxis and leukemia or tumours (17).
- Measurements of electromagnetic fields show a weak association between high-level exposure and an increased risk of developing leukemias.
- Children who were X-rayed more than four times or were born prematurely and had received intensive care treatment show a positive association with occurrence of leukemia, but the number of these patients was very small and these factors are not independent.
- The only potential job-related hazard was paternal exposure to plastic and resin fumes.
- The incidence of miscarriages and abortions was increased in mothers of children with leukemia.
- Our study did not confirm the hypotheses, that leukemia is associated with gestational age, with consumption of alcohol, nicotine, and medicaments during pregnancy. Nor was any association detected with exposure to wood preservatives and insecticides or with a high socio-economic status.
- The number of patients living in municipalities with increased incidence of leukemia was too small to show statistically valid results. However, it is noteworthy that some of the above-mentioned risk factors were observed also in these children.

One of the purposes of a nation-wide case control study which is currently performed at the GCCR is to validate and complete these results.

Zusammenfassung

In den niedersächsischen Samtgemeinden Sittensen und Elbmarsch waren Häufungen von Leukämieerkrankungen bei Kindern aufgetreten. Diese Leukämiecluster sind auch im Vergleich mit den bundesdeutschen Erkrankungsraten auf Gemeindeebene sehr auffällig.

In beiden Clustergebieten wurden zahlreiche Untersuchungen vor Ort durchgeführt. Es konnten jedoch keine Ursachen für die Erkrankungshäufungen festgestellt werden. Deshalb wurde von der niedersächsischen Expertenkommission eine landesweite Fallkontrollstudie zu den Ursachen von kindlichen Leukämien initiiert. Im Mittelpunkt der vorliegenden Studie steht die Frage nach potentiellen Risikofaktoren für die Entstehung akuter Leukämien im Kindesalter. Insbesondere soll geklärt werden, ob die beobachteten niedersächsischen Cluster möglicherweise auf bestimmte Expositionen zurückzuführen sind. Die Studie basiert auf dem Deutschen Kinderkrebsregister. Mögliche Expositionsfaktoren wurden in einem schriftlichen und telefonischen Interview von den Eltern erfragt.

Neben dieser Befragung wurden mögliche Expositionen gegenüber elektromagnetischen Feldern durch Messungen vor Ort erfaßt und die häusliche Belastung durch Radon erhoben. Außerdem wurde die Frage eines möglichen Einflusses einer parenteralen Vitamin K-Gabe auf die Entstehung von kindlichen Malignomen anhand der Geburtsakten der jeweiligen Kinder untersucht.

Den befragten Eltern der erkrankten Kinder wurden zwei Kontrollgruppen von Eltern nicht erkrankter Kinder gegenübergestellt (Nah- und Fernkontrollen). Außerdem wurde eine Vergleichsgruppe von an Tumoren erkrankten Kinder ausgewählt.

Die vorliegende Arbeit beschreibt das Design und die Grundgedanken der Studie, die durchgeführten statistischen Auswertungen sowie die Responseraten. Studienergebnisse werden summarisch dargestellt; detaillierte Publikationen über die einzelnen Ergebnisse sind in Vorbereitung.

425 Eltern erkrankter Kinder und 610 Eltern von nicht an einem Malignom erkrankten Kindern wurden um Teilnahme an der Studie gebeten. Die Teilnahmerate betrug bei den Familien mit erkrankten Kindern 82% und bei den Bevölkerungskontrollen 71%. Insgesamt nahmen 781 Familien an der Studie teil.

Die wichtigsten Ergebnisse können wie folgt zusammengefaßt werden:
- Die von Greaves aufgestellte Infektions-Hypothese (9, 10) wird durch mehrere Einzelergebnisse unterstützt: Die Leukämiepatienten waren häufiger erstgeborene Kinder, sie wiesen geringere Impfraten auf und waren häufiger gestillt worden; bei ihnen traten seltener Virusinfektionen auf, und sie hatten vermutlich weniger frühzeitig Kontakt mit anderen Kindern. Die Greaves-Hypothese besagt - stark vereinfacht - daß ein fehlendes frühkindliches Training des Immunsystems das Auftreten von Leukämien (c-ALL) bedingen kann. weil es dann später bei der Auseinandersetzung mit Infekten im Zuge eines ,,proliferativen Streß" zu gehäuften Mutationen kommen kann.
- Ein wichtiges Studienergebnis bestand darin, daß die parenterale Vitamin K-Gabe weder mit dem Auftreten der Leukämien noch mit den anderen untersuchten Tumoren assoziiert war (17).
- Die Messungen elektromagnetischer Felder in den Haushalten zeigten bei hoch exponierten Kindern eine schwache Assoziation mit dem Auftreten von Leukämien. Zur Zeit wird eine bundesweite Ausdehnung der Messungen diskutiert.
- Bei den mehr als viermal geröntgten Kindern ergab sich eine Assoziation mit der Häufigkeit der Leukämieerkrankungen. Auch waren tendenziell unter den Leukämiepatienten häufiger Kinder vertreten, die einer Frühgeborenenbehandlung oder einer frühkindlichen Intensivtherapie unterzogen worden waren; bei diesen Kindern werden üblicherweise auch häufiger Röntgenuntersuchungen vorgenommen. Insgesamt sind hier die Fallzahlen sehr niedrig.
- Unter den möglichen mütterlichen Risikofaktoren war lediglich die Häufigkeit von Fehlgeburten, nicht aber das Alter bei Geburt der Kinder, auffällig. Die Mütter von Leukämiepatienten hatten nicht häufiger geraucht oder Alkohol getrunken als die Vergleichspersonen, auch bei der Medikamenteneinnahme während der Schwangerschaft war keine Auffälligkeit zu beobachten.
- Die Exposition der Väter mit Plastik- und Harzdämpfen könnte nach unseren Daten als einziges einen beruflichen Risikofaktor darstellen.
- Aus unseren Daten ergibt sich kein Hinweis, daß ein hoher Sozialstatus mit kindlichen Leukämien assoziiert ist.
- Für Niedersachsen wurden 11 Samtgemeinden mit auffällig erhöhter Leukämie-Inzidenz gefunden. Wegen der geringen Fallzahlen sind die dafür separat durchgeführten Analysen nur von begrenzter Aussagefähigkeit. Immerhin ist es bemerkenswert, daß zahlreiche der in der Studie beobachteten Assoziationen auch in dieser kleinen Untergruppe zumindest tendenziell hervortreten.

Eine zur Zeit am Kinderkrebsregister durchgeführte bundesweite Fallkontrollstudie wird dazu dienen können, die jetzt gewonnenen Ergebnisse an einem unabhängigen Datenmaterial zu validieren und zu ergänzen.