Dtsch Med Wochenschr 2008; 133(6): 264
DOI: 10.1055/s-2008-1046706
Korrespondenz | Correspondence
Frage aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gestationsdiabetes: Insulintherapie auch bei Normoglykämie?

U. Schäfer-Graf
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Publikationsdatum:
30. Januar 2008 (online)

Frage: Die Therapie bei Gestationsdiabetes erfolgt nach den Leitlinien der DDG. Dennoch fordern die betreuenden Gynäkologen zunehmend die Einleitung einer Insulintherapie bei Normoglykämie, wenn der Fetus altersentsprechend zu groß ist, sog. „large for gestational age” (LGA). Wie sollte aktuell praktisch vorgegangen werden? Bis zu welcher Schwangerschaftswoche ist die Therapieeinleitung noch sinnvoll? Welche pathopysiologischen Erklärungen gibt es und wie groß ist das Hypoglykämierisiko für die Schwangere?

Antwort:Es ist richtig, dass man bei ultrasonografisch diagnostizierter fetaler Makrosomie, definiert als Abdominalumfang > 90. Perzentile, eine Insulineinstellung erwägen kann, auch wenn die durch Tagesprofile erhobenen mütterlichen Blutzuckerwerte nicht den Kriterien der Leitlinien für eine Insulintherapie entsprechen (nüchtern > 90 mg/dl, 1 h postprandial > 140 mg/dl und 2 h postprandial > 120 mg/dl) bzw. nur grenzwertig erhöht sind (www.awmf-leitlinien.de).

Man beginnt mit einer niedrigen Dosierung eines kurzwirksamem Insulins zu den Mahlzeiten, z. B. 8 IE zu den drei Hauptmahlzeiten und steigert solange bis ein 1-h-Wert von < 120 mg/dl bzw. 2-h-Wert von < 110 mg/dl erreicht ist. Eventuell kann auch ein langwirksames Insulin zur Nacht gegeben werden, um Nüchternwerte von < 80 mg/dl zu erzielen. Nach 36 Schwangerschaftswochen macht diese Insulineinstellung aus fetaler Indikation nicht mehr soviel Sinn, da sich das fetale Wachstum kaum noch beeinflussen lässt.

Diese am fetalen Wachstum orientierte Therapie des Gestationsdiabetes (GDM) beruht auf dem stark wachstumsfördernden Effekt des Insulins, der sich insbesondere auf das insulinsensitive Gewebe wie abdominales Fettgewebe auswirkt. Die Größe des fetalen Abdominalumfangs wird maßgeblich durch die Dicke des subkutanen Fettgewebes bestimmt. Die Feten reagieren auf ein erhöhtes Angebot an Glukose bei mütterlicher Hyperglykämie mit einer gesteigerten Insulinproduktion, was über den sogenannten „fetalen Hyperinsulinismus” zum übermäßigen Wachstum des Kindes führt. Durch Untersuchungen, die Insulinspiegel im Fruchtwasser bestimmt und mit den mütterlichen Glukosewerten verglichen haben, weiß man, dass keine strenge Korrelation zwischen der Höhe des fetale Insulins und dem Grad der mütterlichen Hyperglykämie besteht. Es scheint sowohl eine unterschiedliche Sensibilität der Feten für erhöhtes Glukoseangebot zu bestehen, das haben z. B. Zwillingsstudien gezeigt, als auch ein unterschiedliches Ausmaß an Glukosetransfer über die Plazenta. So kann es sein, dass ein Fet bedingt durch mäßigen fetalen Hyperinsulinismus einen zu großen Abdominalumfang entwickelt obwohl die mütterlichen Blutzuckerwerte das nicht vermuten lassen. In Studien hat man gesehen, dass durch eine sehr niedrige Blutzuckereinstellung knapp unterhalb den Zielwerten in der Schwangerschaft sich das weitere Wachstum der Feten verringern lässt [1]. Die Einbeziehung des Wachstums des Kindes bietet andererseits auch die Option, einer Frau eine Insulintherapie zu ersparen, wenn trotz erhöhter Blutzuckerwerte das Kind keinen Anhalt auf übermäßiges Wachstum zeigt.

Diese Insulineinstellung aus fetaler Indikation sollte nicht erwogen werden, wenn die mütterlichen Werte nüchtern < 80 g/dl und 2 h postprandial < 110 mg/dl liegen. Wenn dies beachtet wird, ist das Hypoglykämierisiko gering. In der Praxis kommt eine Insulineinstellung aus fetaler Indikation am ehesten in Frage, wenn grenzwertig erhöhte Werte vorliegen und man sich ohne zusätzliche fetale Anzeichen für eine Behandlungsbedürftigkeit mit dem Beginn einer Insulintherapie schwer tun würde.

Begründung

Es gibt inzwischen vier prospektive randomisierte Interventionsstudien, die gezeigt haben, dass sich durch eine Modifikation der Zielwerte der mütterlichen Blutzuckerwerten basierend auf dem fetalen Wachstum das Schwangerschaftsergebnis verbessern lässt (fetal growth based management) [1] [3] [4]. Bei einen Abdominalumfang > 75. Perzentile wurde je nach Studiendesign entweder generell [1] oder bei Überschreiten von niedrigen Zielwerten [1] eine Insulintherapie eingeleitet. Das führte zu einer Reduzierung der Makrosomierate. Bei einem Abdominalumfang < 75. Perzentile wurde bis zum Erreichen von recht hohen mütterlichen Werten auf eine Insulintherapie verzichtet (nüchtern > 120 mg/dl, 2 h pp > 200 mg/dl), dadurch konnte ca. 30 % der Frauen mit moderater Hyperglykämie eine Insulintherapie erspart bleiben ohne ein schlechteres Schwangerschaftsergebnis [3] [4]. Im Gegenteil, die Rate an Kindern mit Wachstumsverminderung konnte gesenkt werden, da eine strenge Insulintherapie durch eine Verminderung der Substratzufuhr zum Feten auch zu Retardierung führen kann („small-for-gestational age”, SGA).

Die Einbeziehung des fetalen Wachstums bietet die Möglichkeit, die intensivierte Behandlung durch Insulintherapie auf die Schwangeren zu konzentrieren, deren Kinder Anzeichen für eine mögliche diabetische Fetopathie zeigen. Ein anderer Ansatz ist die Bestimmung der Höhe des kindlichen Insulins im Fruchtwasser, das hat sich jedoch wegen der damit verbundenen invasiven Amniozentese nicht durchgesetzt. Der fetale Abdominalumfang gemessen durch Ultraschall korrelierte recht gut mit dem Fruchtwasserinsulin [5]. Ein fetaler Abdominalumfang < 75. Perzentile schließt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit einen fetalen Hyperinsulinismus aus. Der positiv prädiktive Wert ist jedoch nicht so gut (30 %), das heißt ein AU > 75. Perzentile muss nicht immer auf erhöhten Insulinwerten beruhen.

Literatur

  • 1 Buchanan T A, Kjos S l. et al . Use of fetal ultrasound to select metabolic therapy for pregnancies complicated by mild gestational diabetes.  Diabetes Care. 1994;  17 275-283
  • 2 Bonomo M, Cetin I, Pisoni M. et al . Flexible treatment of gestational diabetes modulated on ultrasound evaluation of intrauterine growth: a controlled randamized clinical trial.  Diabetes Metab. 2004;  30 237-44
  • 3 Kjos S, Schaefer-Graf U, Sardesi S. et al . A randomized controlled trial using glycemic plus fetal ultrasound parameters versus glycemic parameters to determine insulin therapy in gestational diabetes with fasting hyperglycemia.  Diabetes Care. 2001;  24 1904-1910
  • 4 Schaefer-Graf U, Kjos S, Fauzan O. et al . A randomized trial evaluating a predominately fetal growth-based strategy to guide management of gestational diabetes in Caucasian women.  Diabetes Care. 2004;  27 297-302
  • 5 Schaefer-Graf U, Kjos S, Bühling K. et al . Amniotic fluid insulin levels and fetal abdominal circumference at time of amniocentesis in pregnancies with diabetes.  Diabetic Med. 2003;  20 349-35

PD Dr. med. Ute Schäfer-Graf

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