Aktuelle Urol 1997; 28(5): 241-250
DOI: 10.1055/s-2008-1054283
ÜBERSICHTSARBEIT

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Die Therapie der stumpfen hinteren Harnröhrenverletzung

Prof. Dr. med. Hans Marberger zum 80. Geburtstag gewidmetTherapy for Injury to the Posterior UrethraG. Jakse
  • Urologische Universitätsklinik RWTH Aachen
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Publication Date:
19 March 2008 (online)

Zusammenfassung:

Verletzungen der hinteren Harnröhre treten häufig bei schweren Beckentraumen auf. Kontrovers wird noch immer die adäquate Therapie der akuten Harnröhrenverletzung diskutiert, wobei die Möglichkeit der sofortigen oder verzögerten Operation bzw. der alleinigen Zystostomie als Therapie-option zu sehen sind. Die Strikturrate nach Primärversorgung beträgt etwa 50%, wobei die Strikturen üblicherweise kurzstreckig sind. Andererseits wird nach alleiniger Zystostomie eine Strikturrate von mehr als 90% beschrieben. Darüber hinaus sind die dann auftretenden Strikturen häufig langstreckig (7 cm und mehr). Als Vorteil der Behandlung durch die alleinige Zystostomie wird die geringere Rate von Impotenz und Inkontinenz angegeben. Entsprechend der vorliegenden Literatur scheint es jedoch so zu sein, daß die Impotenz und Inkontinenz in strenger Korrelation mit dem Ausmaß der Beckenfraktur steht und weniger mit der durchgeführten Behandlung zu assoziieren ist. Kommt es nach Verletzungen der hinteren Harnröhre zu kompletter Harnröhrenstriktur, sind die Strikturresektion und die End-zu-End-Anastomose die Therapie der Wahl, wobei der perineale Zugangsweg zu favorisieren ist. Zusätzliche Manöver wie die Separation der Corpora cavernosa, die partielle Resektion des unteren Anteils der Symphyse und das sogenannte “rerouting” sind notwendig, um eine spannungsfreie Anastomose zu erzielen. Die so durchgeführte Strikturoperation ist in mehr als 90% der Patienten erfolgreich. Der transpubische Zugangsweg oder zweitseitige Strikturoperationen sollten für komplexe Strikturen mit Fistelbildung und chronischen Infekten reserviert bleiben. Erfahrungen mit der endoskopischen Strikturoperation wurden in den letzten Jahren zunehmend präsentiert. Sie sind jedoch nur bei kurzen inkompletten Strikturen erfolgreich. Die Reoperationsrate bei kompletten Strikturen beträgt 90% und nur sehr wenige Patienten haben eine kompetente Harnröhre, welche keine weitere Harnröhrendilatation oder Urethrotomie benötigt. Berücksichtigt man die vorliegende Literatur, so werden folgende Therapiestrategien empfohlen: a) Die inkomplette Harnröhrenruptur sollte nur durch die Zystostomie alleine behandelt werden. Strikturen, die dann auftreten, sind üblicherweise kurz und können durch endoskopische oder offen chirurgische Maßnahmen korrigiert werden. Ob eine verzögerte endoskopische Sicherung der inkompletten Ruptur die Strikturrate reduziert, ist unbekannt. b) Komplette Harnröhrenrupturen mit Dislokation der Harnblase können durch eine verzögerte offene Korrektur (6-10 Tage später) versorgt werden. Dadurch wird die Strikturrate reduziert, komplexe und langstreckige komplette Strikturen treten nichtauf. c) Die adäquate Behandlung der Beckenfraktur stellte einen integralen Bestandteil beider Strategiemaßnahmen dar.

Abstract

Injury to the posterior urethra is a frequent event in severe pelvic fracture. However, there is still controversy regarding the appropriate treatment, i.e. immediate or delayed realignment or cystostomy only. The stricture rate after realignment is about 50% and the strictures are usually short. On the other hand, cystostomy alone means a stricture in more than 90% of the patients. Moreover, the length of the complete strictures can be 7 cm or longer. Supporters of the cystostomy-only strategy claim that the rate of impotence and incontinence is higher in immediate therapy. However, there is strong evidence that impotence and incontinence are clearly associated with the extent of trauma, but rarely with the respective treatment. In case complete strictures occur after injury to the posterior urethra, stricture resection and end-to-end anastomosis is performed by the perineal route. Additional measures such as separating the corpora cavernosa in the midline, partial resection of the inferior aspect of the pubic arch and “rerouting” can be necessary to obtain a tension-free anastomosis. Successful repair is obtained in more than 90%. The transpubic approach and two-stage procedures are reserved for more complex strictures associated with fistula or chronic infection. Endoscopic stricture repair has gained some interest in the last few years, but is only possibly in short (in)complete strictures. The reoperation rate is about 90% and only very few patients will have a patent urethra without need for repeated dilatation or urethrotomy. Considering the present literature, the following treatment strategies are proposed: a) Incomplete urethral rupture should be treated by cystostomy alone. The strictures occurring are usually short and can be handled easily by endoscopic or open surgery. It is not known if delayed endoscopic realignment decreases the present stricture rate of more than 90%. b) Urethral distraction defect injuries (complete rupture) can be managed by delayed open realignment, thus reducing the stricture rate and preventing long and complex stricture formation. c) Adequate treatment of the pelvic fracture is an integral part of both treatment strategies.