Psychiatrie und Psychotherapie up2date 2008; 2(04): 241-260
DOI: 10.1055/s-2008-1067345
Persönlichkeitsstörungen, Impulskontrollstörungen und dissoziative Störungen

Dissoziative Störungen

Kathlen Priebe
,
Christian Schmahl
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Kernaussagen

Diagnostik und Epidemiologie

  • Dissoziation ist als strukturierte Separation mentaler Prozesse beschreibbar. Während in der ICD-10 Störungen mit Funktionsausfällen auf kognitiv-psychischer und auf pseudoneurologischer Ebene der Kategorie dissoziative Störungen zugeordnet werden, sind im DSM-IV ausschließlich Störungen mit Funktionsausfällen auf kognitiv-psychischer Ebene als dissoziative Störungen klassifiziert. Im DSM-IV werden dissoziative Amnesie, dissoziative Fugue, dissoziative Identitätsstörung, Depersonalisationsstörung und nicht näher bezeichnete Störungen unterschieden.

  • Differenzialdiagnostisch müssen vor allem hirnorganische Störungen, affektive, Angst- und somatoforme Störungen sowie Psychosen berücksichtigt werden. Daher muss neben Erhebung von Anamnese und psychopathologischem Befund auch eine neurologische Untersuchung zum Ausschluss einer körperlichen Erkrankung erfolgen.

  • Da dissoziative Symptome häufig übersehen werden, bieten sich psychometrische Instrumente zum Screening an. Zur Absicherung der Diagnose dissoziativer Störungen kann das SKID-D verwendet werden.

  • Die epidemiologischen Daten weisen erhebliche Schwankungen auf. Für die Allgemeinbevölkerung wird eine Prävalenz von 2 – 10 % mit Überwiegen des weiblichen Geschlechts angegeben. Es bestehen hohe Komorbiditätsraten (am häufigsten Angst- und somatoforme sowie Persönlichkeitsstörungen). Dissoziation tritt als stressassoziiertes Symptom bei einer Vielzahl anderer Störungen auf.

Erklärungsmodelle und Behandlung

  • Bei der Entstehung dissoziativer Störungen spielen traumatische Erfahrungen eine wichtige Rolle. Im Rahmen eines Diathese-Stress-Modells wird Dissoziation als stressassoziiertes Verhaltensmuster konzeptualisiert, das in Abhängigkeit von einer individuellen Disposition und dem Ausmaß belastender Erfahrungen auftritt.

  • Dissoziative Störungen sollten primär psychotherapeutisch behandelt werden, wobei mangels kontrollierter Studien keine evidenzbasierten Aussagen getroffen werden können. Empfohlen wird ein phasenorientiertes Vorgehen: 1. Stabilisierung, 2. Traumabearbeitung, 3. Integration.

  • Die Behandlung beinhaltet Psychoedukation, Erarbeiten von Auslösern und Frühwarnzeichen, Erlernen antidissoziativer Fertigkeiten, Verbesserung der Gefühlsregulation und traumakonfrontative Elemente. Zur pharmakologischen Behandlung ist die Datenlage insgesamt dünn, ein Therapieversuch mit Naltrexon, insbesondere bei ausgeprägter Depersonalisation oder Derealisation, kann jedoch bei bestehender psychotherapeutischer Behandlung sinnvoll sein.



Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
06. Mai 2008 (online)

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