Frauenheilkunde up2date 2008; 2(5): 387-389
DOI: 10.1055/s-2008-1076990
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Dammriss – ist eine Versorgung notwendig?

G.  Naumann
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Publikationsdatum:
23. Oktober 2008 (online)

Unsere Geburtshilfe hat in den letzten Jahren einen eindrucksvollen Wandel vollzogen. So steigt die Rate an primären und frühzeitig indizierten sekundären Kaiserschnittentbindungen immer mehr an, die Rate an vaginal-operativen Entbindungen, verbunden mit zum Teil erheblichen Beckenbodendefekten, sinkt entsprechend immer mehr ab. Dies lässt sich auf folgende Gründe zurückführen:

der Wunsch nach größtmöglicher Sicherheit für das geborene Kind, der Wunsch nach erhaltener Integrität für den eigenen Beckenboden und die zunehmende Inakzeptanz von negativen Geburtserlebnissen.

Risikofälle für eine Spontangeburt werden zunehmend abdominal entbunden, sodass auch die Rate an schwerwiegenden Beckenbodenläsionen mit z. B. DR III und IV stetig abnimmt.

Während die zeitnahe und kompetente chirurgische Versorgung dieser Läsionen unstrittig Methode der Wahl bleibt, wird in steigendem Maße eine Diskussion darüber geführt, ob geringgradige Dammrisse I. und II. Grades postpartal chirurgisch versorgt werden müssen. Über Jahrzehnte bewährte chirurgische Grundprinzipien der konsequenten Wundversorgung müssen sich immer mehr mit Patienteninteressen messen, die die initiale postpartale Wundversorgung zunehmend hinterfragen und mögliche auftretende Wochenbettprobleme wie Schmerzen und Dyspareunie auf die chirurgische Naht zurückführen.

Zudem muss hinterfragt werden, ob im Rahmen von rein durch Hebammen geführten Entbindungen diese geburtshilflichen Verletzungen richtig eingeschätzt oder chirurgisch adäquat versorgt werden können.

Es gibt verschiedene Argumente für und wider einen chirurgischen postpartalen Wundverschluss [1] [2] [10] [15]. Das Risiko einer Infektion oder einer prolongierten Schmerz- oder Blutungssymptomatik ist bei einer Nichtversorgung eher gegeben. Andererseits besteht ebenso ein Risiko für Infektion und Schmerz durch die Fremdkörperreaktion der eingebrachten Nähte.

In der Literatur finden sich nur wenige Untersuchungen zum Thema der chirurgischen Versorgung von Dammrissverletzungen [9] [10] [12] [14]. Zudem finden sich keine randomisierten Studien zur Notwendigkeit der Naht, allenfalls Untersuchungen zu unterschiedlichen Nahttechniken oder Nahtmaterialien.

1999 wurde die klassische Einteilung der Dammrisse von Sultan [13] wie folgt aktualisiert (s. auch [Abb. 1]):

Abb. 1 Dammriss: Verletzungen des Dammes. a Einriss der Dammhaut im Bereich der hinteren Kommissur. b Riss der Dammmuskulatur bis an den M. sphincter ani externus. c Riss des M. sphincter ani externus und der Rektumvorderwand (aus [16]).

Dammriss I. Grades. Verletzung des perinealen Gewebes und des Vaginalepithels bei intaktem Dammmuskel.

Dammriss II. Grades. Zerreißung der Haut und der Muskulatur des Dammes; auch Verletzungen des oberflächlichen und tiefen Musculus transversum perinei und Fasern des Musculus bulbocavernosus oder M. pubococcygeus gehören hierzu. Der Musculus sphincter ani bleibt intakt.

Dammriss III. Grades. Neben einer Verletzung der Dammhaut und -muskulatur sind auch Anteile des Musculus sphincter ani externus und / oder internus betroffen. Dammrisse III. Grades können subklassifiziert werden in:

3 a: < 50 % der Dicke des M. sphincter ani externus sind betroffen. 3 b: > 50 % der Dicke des M. sphincter ani externus sind betroffen. 3 c: In Verbindung mit einem komplett lädierten M. sphincter ani externus ist auch der M. sphincter ani internus mitbetroffen.

Dammriss IV. Grades. Bei einem viertgradigen Dammriss sind die Dammmuskulatur, der externe und interne Analsphinkter sowie die Rektumschleimhaut vollständig zerrissen.

Literatur

  • 1 Clement S, Reed B. To stitch or not to stitch? A long-term follow-up study of women with unsutured perineal tears.  Pract Midwife. 1999;  2 20-28
  • 2 Fleming V E, Hagen S, Niven C. Does perineal suturing make a difference? The SUNS trial.  Br J Obstet Gynaecol. 2003;  110 684-689
  • 3 Gordon B, Mackrodt C, Fern E et al. The Ipswich Childbirth Study: 1. A randomised evaluation of two stage postpartum perineal repair leaving the skin unsutured.  Br J Obstet Gynaecol. 1998;  105 435-440
  • 4 Grant A, Gordon B, Mackrodat C et al. The Ipswich Childbirth Study: one year follow up of alternative methods used in perineal repair.  Br J Obstet Gynaecol. 2001;  108 34-40
  • 5 Greenberg J A, Lieberman E, Cohen A P et al. Randomized comparison of chromic versus fast-absorbing polyglactin 910 for postpartum perineal repair.  Obstet Gynecol. 2004;  103 1308-1313
  • 6 Kettle C, Hills R K, Jones P et al. Continuous versus interrupted perineal repair with standard or rapidly absorbed sutures after spontaneous vaginal birth: a randomised controlled trial.  Lancet. 2002;  359 2217-2223
  • 7 Kettle C, Hills R K, Ismail K M. Continuous versus interrupted sutures for repair of episiotomy or second degree tears. Cochrane Database Syst Rev 2007; Oct 17 (4):CD000947. Review
  • 8 Kindberg S, Stehouwer M, Hvidman L et al. Postpartum perineal repair performed by midwives: a randomised trial comparing two suture techniques leaving the skin unsutured.  Br J Obstet Gynaecol. 2008;  115 472-479
  • 9 Leeman L M, Rogers R G, Greulich B et al. Do unsutured second-degree perineal lacerations affect postpartum functional outcomes?.  J Am Board Fam Med. 2007;  20 451-457
  • 10 Lundquist M, Olsson A, Nissen E et al. Is it necessary to suture all lacerations after a vaginal delivery?.  Birth. 2000;  27 79-85
  • 11 Mackrodt C, Gordon B, Fern E et al. The Ipswich Childbirth Study: 2. A randomised comparison of polyglactin 910 with chromic catgut for postpartum perineal repair.  Br J Obstet Gynaecol. 1998;  105 441-445
  • 12 Stepp K J, Siddiqui N Y, Emery S P et al. Textbook recommendations for preventing and treating perineal injury at vaginal delivery.  Obstet Gynecol. 2006;  107 361-366
  • 13 Sultan A H. Obstetric perineal injury and anal incontinence (editorial).  Clin Risk. 1998;  5 193
  • 14 Wheeless Jr C R. Ten steps to avoid fecal incontinence secondary to fourth-degree obstetrical tear.  Obstet Gynecol Surv. 1998;  53 131-132
  • 15 Wild S M. Suture of second-degree perineal tears after childbirth.  Lancet. 2002;  359 1253
  • 16 Pfleiderer A, Breckwoldt M, Martius G. Gynäkologie und Geburtshilfe. 4. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2002

Dr. med. G. Naumann

Klinik und Poliklinik für Geburtshilfe und Frauenkrankheiten der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz

Langenbeckstr. 1

55101 Mainz

eMail: gnaumann@uni-mainz.de