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DOI: 10.1055/s-2008-1077041
© Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG
Editorial
Publication History
Publication Date:
05 December 2008 (online)
Liebe Leserin, lieber Leser,
das vorliegende Heft beschäftigt sich mit Assessmentverfahren in der neurologischen Rehabilitation. Vor fast drei Jahrzehnten wurde ich als junger Sporttherapeut vor die Aufgabe gestellt, die Sporttherapie einer neurologischen Rehabilitationsklinik aufzubauen. Wie auch in anderen Rehabilitationsbereichen standen wir vor dem Dilemma, dass es für unsere Fragestellungen fast überhaupt keine Testverfahren gab. Wir waren gezwungen, eigene Tests zu entwickeln. Als wir diese Tests vor über 20 Jahren erstmals vorstellten, war die Resonanz darauf sehr gering. Heute erreichen mich fast wöchentlich Anschreiben, in denen ich gebeten werde, die eine oder andere Frage diese Tests betreffend zu beantworten. Rückblickend kann man feststellen, dass sich bezüglich der Implementierung von Testverfahren nicht nur in der neurologischen Rehabilitation einiges getan hat. Dies hängt zum einen mit den veränderten gesetzlichen Rahmenbedingungen zusammen. Zum anderen ist dies auch auf die verbesserte Ausbildung von Sporttherapeuten zurückzuführen, für die eine Therapie ohne vorhergehende bewegungsbezogene Befunderhebung auf der Basis wissenschaftlich fundierter Testverfahren undenkbar ist.
Die Bemühungen zur Sammlung und Systematisierung von Assessmentverfahren gehen in Deutschland auf Empfehlungen der „Reha-Kommission zur Weiterentwicklung der medizinischen Rehabilitation in der gesetzlichen Rentenversicherung” im Jahr 1992 zurück. Hierbei wurde bewusst die schon wesentlich weiter entwickelte angloamerikanische Diskussion als Grundlage herangezogen. Der Begriff Assessmentverfahren wird den Begriffen funktions- und leistungsdiagnostische Instrumente vorgezogen, um sich dem internationalen Sprachgebrauch anzupassen, aber auch um zum Ausdruck zu bringen, dass damit inhaltlich etwas anderes gemeint ist. Ziel ist es, ein umfassenderes Geschehen auszudrücken, als es gewöhnlich mit dem Begriff Diagnostik verbunden wird. Der Begriff Assessment steht im Gesundheitsbereich für den gesamten Komplex der interdisziplinären Anamnese- und Befunderhebung sowie Krankenbeobachtung. Er fasst das Sammeln und Bewerten von Informationen aus verschiedensten Quellen und das Formulieren diagnostischer Arbeitshypothesen zusammen. Unter einem Assessment versteht man entsprechend einen multidimensionalen und interdisziplinären diagnostischen Prozess, mit dem Ziel, die medizinischen, psycho-sozialen und funktionellen Probleme und Ressourcen eines Patienten zu erfassen und einen umfassenden Behandlungs- und Betreuungsplan zu entwickeln. Darüber hinaus sollen Assessmentverfahren, dadurch dass sie die Behandlungseffekte oder Outcomes auf eine möglichst objektive und überprüfbare Basis stellen, einen Beitrag im Rahmen der Evidenced based Medicine leisten.
Vor diesem Hintergrund erschien es gerechtfertigt zu versuchen, ein Schwerpunktheft der Zeitschrift „Bewegungstherapie und Gesundheitssport“ dem Thema Assessmentverfahren in der neurologischen Rehabilitation zu widmen. Die obige Definition weist aber schon darauf hin, dass es so gut wie unmöglich ist, alle möglichen Facetten abzubilden. Wir glauben aber dennoch, dass es gelungen ist, die verschiedenen Betrachtungsweisen in diesem Feld zu berücksichtigen. Die vorliegenden Beiträge stammen sowohl von Ärzten und Sporttherapeuten, die im klinischen Bereich tätig sind, als auch von Sportwissenschaftlern, die im Sport entwickelte Verfahren auf ihre Anwendbarkeit bei neurologischen Patienten diskutieren. Wir glauben, dass wir mit dieser Mischung unterschiedlicher Arbeiten einen Beitrag für die Weiterentwicklung von bewegungsbezogenen Assessmentverfahren leisten können und würden uns freuen, damit die weitere Diskussion anzustoßen.
Ihr
Georg Wydra