Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2008; 43(5): 384-392
DOI: 10.1055/s-2008-1079113
Fachwissen
Topthema:Monitoring in der Anästhesie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

EEG–Messung zur Awareness–Vermeidung – Nutzen oder Luxus?

EEG–Monitoring to avoid awareness during anaesthesia – Benefit or Luxury?Ulf Linstedt, Hinnerk Wulf
Further Information

Publication History

Publication Date:
08 May 2008 (online)

Zusammenfassung

Die bewusste intraoperative Wahrnehmung von Schmerz, Angst und völliger Hilflosigkeit ist eine schwerwiegende Komplikation. Die Häufigkeit beträgt heute 0,1–0,2 %. Postoperative Erinnerungen können bei Konsolidierung im Langzeitgedächtnis ein PTSD verursachen. Hoher emotionaler Gehalt und länger dauernde Awareness fördern diese Gedächtnisbildung.

Risikofaktoren für eine Awareness können vom Patienten, der Operation, und der Anästhesietechnik ausgehen. Bei Risikopatienten vermindert ein EEG Monitoring während der Operation die Inzidenz der Awareness.

Ob ein genereller Einsatz bei jeder Allgemeinanästhesie indiziert ist, kann derzeit nicht "evidence based" entschieden werden.

Abstract

The intraoperative perception of pain, anxiety and helplessness is a serious complication of anaesthesia, the frequency is now 0,1–0,2 %. Post–operative memories can cause posttraumatic stress disorder (PTSD), but this will require a consolidation of conscious awareness in the long–term memory. Memory formation is promoted by high emotional contents and a longer duration of awareness. There are defined risk factors for awareness, including patient factors, surgery and anaesthesia technique. In patients with high risk of awareness EEG monitoring can decrease the incidence. Because of lack of evidence, its use in every anaesthesia cases is an option but not a must.

Pro

EEG als generelles Routineverfahren

  • Moderne Kombinationsnarkosen können nicht mehr über „Guedelstadien” gesteuert werden. Eine Anästhesieführung allein über konventionelle Zeichen (Bewegung des Patienten, Schwitzen, Tränenfluss, Pupillenweite) oder über Vitalparameter (Herzfrequenz, Blutdruck) ist eine archaische Steuerung. Die Parameter, nach denen die Anästhesietiefe dabei gesteuert wird, haben Surrogatcharakter bzgl. des eigentlichen Zielorgans (ZNS). Angesichts der Nebenwirkungen moderner Anästhetika (z.B. Hypotension, Bradykardie durch Propofol oder Remifentanil) und häufiger kardiovaskulärer Vormedikation (z.B. Beta–Blocker) sind sie oft zu wenig aussagekräftig und möglicherweise nicht mehr zeitgemäß.

  • Anschnallpflicht senkt die Rate tödlicher Verkehrsunfälle (auch wenn sie nicht sicher verhindert werden). EEG–Monitoring senkt nachweislich – wenngleich ebenfalls nicht absolut sicher – die Awareness–Inzidenz.

  • Es ist vernünftig anzunehmen – auch, wenn es nicht explizit nachgewiesen ist – dass die Verminderung von Awareness auch zur Verminderung awarenessbedingter posttraumatischer Belastungsstörungen führt.

  • Es gibt keinen medizinischen Grund, auf ein Verfahren zur Awareness–Vermeidung, das keine relevanten Nebenwirkungen hat, zu verzichten.

  • Kosten sind ein relatives Argument. Wenige Euro pro Patient für ein evidenzbasiertes Verfahren sind anhand vorliegender Studien gut zu rechtfertigen (im Vergleich zu >1000 Euro für – nicht evidenzbasierte – beschichtete Stents in der Kardiologie).

  • Für einen Fall der Vermeidung von Awareness werden mehrere Tausend Euro benötigt. Dies ist volkswirtschaftlich vertretbar, wenn man die oft gravierenden und langwierigen psychiatrischen Folgen und Kosten betrachtet.

  • Darüber hinaus wird Anästhesietiefe–Monitoring häufig dazu beitragen, eine zu tiefe Narkose zu vermeiden. Es dient damit der besseren Anästhesiesteuerung (schnellere Aufwachzeiten, „fast–track” [51] [52]) und kann so auch in der Routineanwendung ökonomisch sinnvoll sein.

  • Die Indikationen bei „Risikopatienten” [Tab. 4], Anästhesietiefe–Monitoring einzusetzen, sind so häufig, dass quasi ein Routinemonitoring resultiert. Demnach sollte man nur die Ausnahmefälle definieren, in denen kein EEG–Monitoring erforderlich ist (Inhalationsanästhesie mit Lachgas, ohne Relaxanzien, bei jungen gesunden normalgewichtigen Männern für Eingriffe ohne große Volumenverschiebung).

  • Wenn das Monitoring erst für den Risikopatienten herbeigeschafft werden muss und keine Erfahrung mit der Technik und der Interpretation in der Routine besteht, ist eine effektive Anwendung im gezielten Einzelfall nicht zu erwarten.

Zoom Image

Tab. 4 modifiziert nach [28] [30] [44]

Contra

EEG als generelles Routineverfahren

  • Der Druck, EEG–Monitore bei jeder Narkose einzusetzen, ist groß. Dennoch hat sich die ASA in einem Practice Advisory dagegen ausgesprochen, den Einsatz bei jedem Patienten zu empfehlen [7]. Folgendes spricht gegen den generellen und für einen gezielten Einsatz:

  • Auch mit EEG–Monitor kommt es zu Awareness – zum Teil bei Werten, die eine Wachheit anzeigen, teils aber auch bei Indizes, die eigentlich ein sicheres Schlafstadium anzeigen sollen. Nicht das EEG, sondern gute Narkoseführung verhindert Awareness [7] [27] [35] [50].

  • Die einzige randomisierte Studie untersuchte ausschließlich ausgesuchte Hochrisikopatienten für Awareness [20]. Somit besteht eine unzureichende Evidenz, um die generelle Anwendung des EEG im normalen operativen Krankengut zu empfehlen.

  • Etwa ein Viertel der Awarenessfälle mit Erinnerung tritt während der endotrachealen Intubation auf [35] – dagegen hilft auch ein EEG nicht [12]. Die standardisierte Nachinjektion eines Hypnotikums senkt hingegen die Häufigkeit [43] und kann die Erinnerungslosigkeit (Amnesie) verstärken.

  • Die überwiegende Zahl von versicherungsrelevanten intraoperativen Awarenessfällen trat auf bei: N2O/Relaxans–Technik, inadäquater Dosierung, schwieriger Intubation, Vapordefekten oder dem Vergessen, den Vapor anzustellen [35] [50]. Hier ist die entsprechende „Awareness” des Anästhesisten – zusammen mit einem geprüften Narkosegerät – völlig ausreichend, um Wachheitsepisoden zu vermeiden [27] [54].

  • Viele Operationen können in Larynxmaske und ohne Applikation eines Muskelrelaxans durchgeführt werden. In diesen Fällen ist ein EEG–Monitoring überflüssig, da sich eine bewusste Awareness schon durch reflektorische Bewegungen, welche auf spinaler Ebene generiert werden, ankündigt. Eine tatsächliche Awareness wird nicht lange unbemerkt bleiben können, dadurch ist das Risiko einer Langzeiterinnerung und eines PTSD nahezu ausgeschlossen.

  • Es gibt deutliche und vorhersehbare Risikofaktoren für eine mögliche Awareness [20]. Ihnen kann man (wenn man ihrer gewahr ist) mit entsprechender Vorbereitung, in Einzelfällen mit Aufklärung [7] ([Abb. 3], letzter Satz) und mit sorgfältiger Narkosedurchführung begegnen, und

  • man setzt bei diesen Risikopatienten für Awareness auf der Basis einer individuellen Entscheidung EEG–Monitore ein [7].

Literaturverzeichnis

  • 1 Valuchene AL, Verecke H, Thas O. et al. . Spectral entropy as an electroencephalographic measure of anesthetic drug effect: a comparsion with bispectral index and processed midlatency auditory evoked response.  Anesthesiology. 2004;  101 34-42
  • 2 Vakkuri A, Yli–Hanakla A, Talja P. et al. . Time–frequency balanced spectral entropy as a measure of anesthetic drug effect in central nervous system during sevoflurane, propofol and thiopental anesthesia.  Acta Anaesthesiologica Scandinavia. 2004;  48 145-153
  • 3 Doi M, Gajraj RJ, Mantzaridis H. et al. . Relationship between calculatetd blood concentration of propofol and electrophysiological variables during emergence from anaesthesia: comparison of bispectral index, spectral edge frequency, median frequency and auditory evoked potential index.  British Journal of Anaesthesia. 1997;  78 180-184
  • 4 Schmidt GN, Bischoff P.. Neuromonitoring für die Abschätzung der Narkosetiefe, Anaesthesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther.  2004;  39 33-63
  • 5 Schmidt GN, Müller J, Bischoff P.. Messung der Narkosetiefe Anästhesist. 2008: 1294-6
  • 6 Bruhn J, Myles PS, Sneyd R. et al. . Depth of anaesthesia monitoring: What's available, what's validated and what's next?.  Br. J Anaesth. 2006;  97 85-94
  • 7 ASA. . Practice Advisory for intraoperative awareness and brain function monitoring.  Anesthesiology. 2006;  104 847-864
  • 8 Myles PS.. Prevention of awareness during anaesthesia.  Best Pract Res Clin Anaesthesiol. 2007;  21 345-355
  • 9 Gurman GM.. Assessment of depth of general anesthesia. Observations on processed EEG and spectral edge frequency.  Int J Clin Monit Comput. 199;  11 185-189
  • 10 Schwender D, Kaiser A, Klasing S. et al. . Anästhesie mit Flunitrazepam/Fentanyl und Isofluran/Fentanyl – Unbewusste Wahrnehmung und akustisch evozierte Potentiale mittlerer Latenz.  Anaesthesist. 1994;  43 289-297
  • 11 Tunstall ME.. Detecting wakefulness during general anaesthesia for caesarean section.  Br Med J. 1977;  21 1321
  • 12 Haecker K.. Häufigkeit von Aufwachreaktionen während der endotrachealen Intubation – Vergleich der Muskelrelaxantien Atracurium und Succinylcholin. Inauguraldissertation Christian–Albrechts–Universität Kiel 2007
  • 13 Schneider G, Wagner K, Reeker W. et al. . Bispectral Index (BIS) may not predict awareness reaction to intubation in surgical patients.  J Neurosurg Anesthesiol. 2002;  14 7-11
  • 14 Dietel S, Maier C, Linstedt U. Awareness zum Zeitpunkt der Intubation – Vergleich von Atracurium und Rocuronium. Abstractband des DAK. Nürnberg 2002
  • 15 Struys MM, Versichelen L, Byttebier G. et al. . Clinical usefulness of the bispectral index for titrating propofol target effect–side concentration.  Anaesthesia. 1998;  53 4-12
  • 16 Münte S, Münte TF, Grotkamp J. et al. . Inplicit memory varies as a function of hypnotic encephalogram stage in surgical patients.  Anesth Analg. 2003;  97 132-138
  • 17 Veselis RA. Memory. A guide for anaesthetists.  Best Pract Res Clin Anaesthesiol. 2007;  21 297-312
  • 18 Veselis RA, Reinsel RA, Feshchenko VA. et al. . Information loss over time defines the memory defect of propofol: a comparative response with thiopental and dexmedetomidine.  Anaesthesiology. 2004;  101 831-841
  • 19 Leslie K, Sessler DI, Schroeder M. et al. . Propofol blood concentration and the Bispectral Index predict suppression of learning during propofol/epidural anesthesia in volunteers.  Anesthesia and Analgesia. 1995;  81 1269-1274
  • 20 Myles PS, Leslie K, McNeil l. et al. . Bispectral index of monitoring to prevent awareness during anaesthesia: The B–Aware randomised controlled trial.  Lancet. 2004;  98 1757-1763
  • 21 Luginbühl M, Schnider T.. Detection of awareness with the bispectral index: two case reports.  Anaesthesiology. 2002;  96 241-243
  • 22 Ekman A, Lindholm ML, Lennmarken C. et al. . Reduction in the incidence of awareness using BIS monitoring.  Acta Anaesthesiologica Scandinavia. 2004;  48 20-26
  • 23 Sandin RH, Enlund G, Samuelson P. et al. . Awareness during anaesthesia: a prospective case study.  Lancet. 2000;  355 707-711
  • 24 Sebel P, Bowdle TA, Ghoneim M. et al. . The incidence of awareness during anesthesia: A multicenter United States study.  Anesth Analg. 2004;  99 833-839
  • 25 Brice D, Hetherington R, Utting J.. A simple study of awareness and dreaming during anaesthesia.  British Journal of Anaesthesia. 1970;  42 535-542
  • 26 Liu W, Thorp T, Graham S. et al. . Incidence of awareness with recall during general anaesthesia.  Anaesthesia. 1991;  46 435-437
  • 27 Pollard RJ, Coyle JP, Gilbert RL. et al. . Intraoperative awareness in a regional medical system.  Anesthesiology. 2007;  106 269-274
  • 28 Ghoneim MM.. Incidence of and risk factors for awareness during anaesthesia.  Best Pract Res Clin Anaesthesiol. 2007;  21 327-343
  • 29 Hutchinson R.. Awareness during surgery – A study of its incidence.  Br J Anaesth. 1960;  33
  • 30 Myles PS, Williams DL, Hendrata M. et al. . Patient satisfaction after anaesthesia and surgery, results of a prospectivesurvey of 10811 patients.  Br J Anaesth. 2000;  84 6-10
  • 31 Sebel PS, Bowdle TA, Rampil IJ. et al. . Don't ask, don't tell.  Anesthesiology. 2007;  107 672
  • 32 Moerman N, Bonke B, Oosting J.. Awareness and recall during general anaesthesia. Facts and feelings.  Anaesthesiology. 1993;  79 454-464
  • 33 Samuelsson P, Brudin L, Sandin RH.. Late psychological symptoms after awareness among consecutively included surgical patients.  Anesthesiology. 2007;  106 26-32
  • 34 Lennmarken C, Bilfors K, Enlund G. et al. . Victims of awareness.  Acta Anaesthesiol Scand. 2002;  46 229-231
  • 35 Domino KB, Posner KL, Caplan RA.. Awareness during anesthesia. A closed claims analysis.  Anesthesiology. 1999;  90 1053-1061
  • 36 Diagnostic and Statistical Manual of mental disorders IV. German edition. Göttingen: Hogrefe 1996
  • 37 Mychaskiw G II, Horowitz M, Sachdev V. et al. . Explicit memory at a bispectral index of 47.  Anesth Analg. 2001;  92 808-809
  • 38 Schneider G, Gelb AW, Schmeller B. et al. . Detection of awareness in surgical patients with EEG based indices – BIS and PSI.  Br J Anaesth. 2003;  91 329-335
  • 39 Barr G, Anderson RE, Öwall A. et al. . Being awake intermittendly during Propofol–induced hypnosis: A study of BIS, explicit and implicit memory.  Acta Aneaesthesiol Scand. 2001;  45 834-838
  • 40 Messner M, Beese U, Romstöck J. et al. . The bispectral index declines during neuromuscular block in fully awake persons.  Anesth Analg. 2003;  97 488-91
  • 41 Dahaba AA.. Difficult conditions that could result in the bispectral index indicating an incorrect hypnotic state.  Anesth Analg. 2005;  101 765-773
  • 42 Voss L, Sleigh J.. Monitoring conciousness: the current status of EEG based depth of anaesthesia monitors.  Best Pract Res Clin Anaesthesiol. 2007;  21 313-325
  • 43 Aminsadeghieh S, Linstedt U.. Einfluss eines Wiederholungsbolus Propofol auf die Häufigkeit von Awareness zum Zeitpunkt der Intubation. Abstractband des München: DAK 2003
  • 44 Tramèr M, Moore A, McQuay H.. Omitting nitrous oxide in general anaesthesia: meta–analysis of intraoperative awareness and postoperative emesis in randomized controlled trials.  Br. J Anaesth. 1996;  76 186-193
  • 45 Crawford J.. Awareness during caesarean section under general anaesthesia.  Brit Med J. 1971;  43 280-283
  • 46 Moir D. Anaesthesia for caesarean section: an evaluation of a method using low concentrations of halothane and 50 percent of oxygen.  Br J Anaesth. 1970;  42 136-142
  • 47 Lyons G, Macdonald R.. Awareness during caesarean section.  Anaesthesia. 1991;  46 62-64
  • 48 Buchanan FF, Myles PS, Leslie K. et al. . Gender and recovery after general anesthesia combined with neuromuscular blocking drugs.  Anesth Analg. 2006;  102 291-297
  • 49 Eger El. II. Age, minimum alveolar anesthetic concentration, and minimum alveolar anesthetic concentration–awake.  Anesth Analg. 2001;  93 947-953
  • 50 Schaffartzik W, Neu J.. Schäden in der Anästhesie – Ergebnisse der Hannoverschen Schlichtungsverfahren 2001–2005.  Anaesthesist. 2007;  56 444-448
  • 51 Mayer J, Boldt J, Schellhaaß A. et al. . Bispectral index–guided general anesthesia in combination with thoracic epidural analgesia reduces recovery time in fast track colon surgery.  Anesth Analg. 2007;  104 1145-1149
  • 52 Punjasawadwong Y, Boonjeungmonkol N, Phongchiewboon A.. Bispectral index for improving anaesthetic delivery and postoperative recovery. Cochrane Database of Systematic Reviews 2007
  • 53 Myles PS, Leslie K, Chan MTV. et al. . Avoidance of nitrous oxide for patients undergoing major surgery.  Anesthesiology. 2007;  107 221-31
  • 54 Avidan MS, Zhang L, Burnside BA. et al. . Anesthesia awareness an the bispectral index.  N Engl J Med. 2008;  358 1097-1108

PD Dr. med. Ulf Linstedt
Prof. Dr. med. Hinnerk Wulf

Email: linstedtul@diako.de<

Email: h.wulf@med.uni-marburg.de

>