Phlebologie 2018; 47(02): 84-92
DOI: 10.12687/phleb2411-2-2018
Originalarbeit – Original articles
Schattauer GmbH

Lipödem – Mythen und Fakten Teil 1

Artikel in mehreren Sprachen: deutsch | English
T. Bertsch
1   Földiklinik Hinterzarten – Europäisches Zentrum für Lymphologie
,
G. Erbacher
1   Földiklinik Hinterzarten – Europäisches Zentrum für Lymphologie
2   Dipl.-Psychologin, Psychologische Psychothera peutin, Supervisorin (hsi)
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Publikationsverlauf

Eingereicht: 30. Januar 2018

Angenommen: 25. Februar 2018

Publikationsdatum:
02. April 2018 (online)

Zusammenfassung

Das Lipödem ist weit mehr als einfach nur dickere und schmerzhafte Beine! Die Erkrankung Lipödem ist mit zahlreichen Mythen behaftet. Im ersten Teil dieser Übersicht werfen wir einen kritischen Blick auf zwei populäre Statements zum Lipödem; Statements, die vor Jahrzehnten schon Eingang in wissenschaftliche Publikationen gefunden haben und seither unkritisch und stetig wiederholt werden; Statements, die inzwischen zum selbstverständlichen Wissensallgemeingut von Lipödempatientinnen und vor allem auch von Lipödem-Selbsthilfegruppen geworden sind. In unserer Darstellung über die Mythen des Lipödems fokussieren wir uns in diesem Beitrag vor allem auf zwei Aspekte, die aufs Engste mit dem Lipödem verbunden sind: auf die Adipositas sowie auf die psychische Situation von Lipödempatientinnen – die wiederum eng mit der Adipositas in Zusammenhang steht. Dabei überprüfen wir zwei häufig publizierte Statements auf wissenschaftliche Evidenz: 1. „Das Lipödem ist eine progrediente Erkrankung”, 2. „Ein Lipödem macht psychisch krank”. Beide Statements widersprechen in hohem Maße unserer seit Jahren bestehenden täglichen klinischen Erfahrung mit diesem speziellen Patientengut. Gleichzeitig haben wir im Rahmen unserer umfangreichen Literaturrecherche festgestellt, dass es auch keine Evidenz für diese in den „Lipödemsprachgebrauch” eingegangenen Behauptungen gibt. Tatsachlich ist das Lipödem in der Regel keine progrediente Erkrankung! Vielmehr liegt bei Lipödempatientinnen häufig eine Gewichtsprogredienz (meist eine Adipositasprogredienz) vor, in deren Folge sich auch das Lipödem verschlechtern kann. Unsere Pilotstudie zum 2. Statement macht deutlich, dass in der Regel nicht das Lipödem Ursache von psychischen Erkrankungen ist. Hier weisen unsere Ergebnisse in die umgekehrte Richtung: Eine – vorbestehende – psychische Vulnerabilität kann ganz wesentlich zum Krankheitsbild Lipödem beitragen. Um das Lipödem in seiner ganzen Komplexität und Vielfalt zu erfassen, braucht es mehr als nur Medizin. Psychosoziale Therapieansätze sollten integraler Bestandteil eines wirksamen multimodalen Behandlungskonzepts sein. Neben den beiden dargestellten Mythen gibt es weitere, die sich um das Lipödem ranken. Diese werden in weiteren Ausgaben dieser Zeitschrift diskutiert werden.