Zusammenfassung
In dieser kleinen Übersichtsreihe über die Mythen des Lipödems werfen wir einen kritischen
Blick auf populäre Statements zum Lipödem; Statements, die vor Jahrzehnten schon Eingang
in wissenschaftliche Publikationen gefunden haben und seither unkritisch und stetig
wiederholt werden; Statements, die dadurch inzwischen zum selbstverständlichen Wissensallgemeingut
von Lipödempatientinnen und vor allem auch von Lipödem-Selbsthilfegruppen geworden
sind. Im ersten Teil unserer Darstellung haben wir uns kritisch mit zwei populären
Mythen über das Lipödem auseinandergesetzt. Hierbei haben wir festgestellt, dass sowohl
für das Statement „Das Lipödem ist eine progrediente Erkrankung” als auch für das
Statement „Ein Lipödem macht psychisch krank” keine wissenschaftliche Evidenz vorliegt.
In diesem zweiten Beitrag über die Mythen des Lipödems fokussieren wir uns auf den
Ödemaspekt, auf das „Ödem im Lipödem” und die hieraus erfolgte therapeutische Konsequenz
– die Manuelle Lymphdrainage. Daher: Mythos 3: Das Lipödem ist in erster Linie ein
„Ödem-Problem”; daher ist die Manuelle Lymphdrainage essenzielle und regelmäßig durchzuführende
Standardtherapie! Auch dieses Statement widerspricht in hohem Maße unserer seit Jahren
bestehenden täglichen klinischen Erfahrung mit diesem speziellen Patientengut. Gleichzeitig
haben wir im Rahmen unserer umfangreichen Literaturrecherche festgestellt, dass es
keine Evidenz für diese Sichtweise gibt. Tatsächlich gibt es keinerlei Hinweis darauf,
dass beim Lipödem ein relevantes Ödem – Ödem im Sinne von Flüssigkeit – vorliegt.
Ebenso fehlt jegliche wissenschaftliche Evidenz dafür, dass dieses kaum (bzw. meist
nicht) vorhandene Ödem für die Beschwerden der Lipödempatientinnen verantwortlich
ist. Der regelmäßigen und dauerhaften Verordnung von Manuellen Lymphdrainagen mit
dem Ziel der „Ödembeseitigung” fehlt daher jede Grundlage. Das Lipödem ist weit mehr
als nur dickere, schmerzhafte Beine! Darum müssen wir manche der alten therapeutischen
Pfade verlassen, Pfade, für die es keine wissenschaftliche Evidenz gibt, Pfade, die
darüber hinaus auch unserer klinischen Erfahrung widersprechen. Eine umfassende Therapie
des Lipödems sollte daher auch all jene Aspekte berücksichtigen, die nicht so offensichtlich
sind wie das Augenscheinliche und das vordergründig Geäußerte. Lipödem-Therapie muss
neben der Behandlung der somatischen Beschwerden auch auf die bereits in unserem ersten
Beitrag beschriebenen psychosozialen und gesellschaftlichen Aspekte dieses komplexen
Krankheitsbildes fokussieren. Die Vorstellung eines umfassenden Therapiekonzeptes
für Lipödempatientinnen wird Inhalt im letzten Teil unserer kleinen Lipödemreihe sein.
Neue Wege entstehen, in dem wir sie gehen – dies gilt auch für die Therapie des Lipödems!
Schlüsselwörter
Lipödem - Ödem - Manuelle Lymphdrainage - Wissenschaftliche Evidenz