Schlüsselwörter
ACDF - ACCF - ventrale Spondylodese - Cage - Platte - HWS-Fraktur - Zugang HWS - Komplikationen
ventraler HWS Zugang
Key words
ACDF - ACCF - anterior cervical fusion - cage - plate - cervical fracture - cervical
approach - complications of anterior cervical approach
Einleitung
Als Ziele der operativen Therapie von HWS-Verletzungen sind die Dekompression komprimierter
neurologischer Strukturen, die Wiederherstellung der segmentalen Stabilität und die
Korrektur von ggf. vorhandenen traumatischen/posttraumatischen Fehlstellungen definiert.
Folgende Prinzipien sollten bei der Wahl der adäquaten operativen Strategie beachtet
werden [1], [2]:
-
Es sollten nur so viele Bewegungssegmente wie unbedingt notwendig in die definitive
Spondylodese miteinbezogen werden. Eine mehrsegmentale Versteifung im Bereich der
Halswirbelsäule bedingt eine relevante Einschränkung der Beweglichkeit und kann sekundär
die Lebensqualität des Patienten deutlich beeinträchtigen.
-
Die verletzten Bewegungssegmente bedürfen zur schnellen und endgültigen Ausheilung
einer sicheren Ruhigstellung. Eine dauerhafte Versteifung eines Bewegungssegmentes
ist ohnehin unumgänglich, daher sollte die chirurgische Therapie eine optimale Stabilität
bei möglichst geringer Invasivität zum Ziel haben.
Unterschieden werden sollte zwischen den Begriffen Stabilisation und Spondylodese.
Die Fixation von Bewegungssegmenten mit Implantaten und dem Ziel einer „temporären“
Ruhigstellung des Bewegungssegmentes sollte im allgemeinen Sprachgebrauch als segmentale
Stabilisation bezeichnet werden. Von einer Spondylodese wird gesprochen, wenn zusätzlich
zur Stabilisation Gelenke eröffnet und/oder Knochenmaterial angelagert wird, um eine
dauerhafte knöcherne Überbrückung (Fusion) eines oder mehrerer Bewegungssegmente zu
erreichen.
Seit der Einführung des ventralen Zugangs zur Halswirbelsäule durch Robinson werden
weltweit traumatische Verletzungen der subaxialen Halswirbelsäule mit gutem klinischem
Erfolg behandelt. Als Voraussetzung für eine definitive ventrale Spondylodese gilt
bis heute eine adäquate ventrale Diskektomie, über die auch der Spinalkanal ausreichend
dekomprimiert werden kann. Nach alleiniger zervikaler Diskektomie ohne anschließende
intervertebrale Stabilisation/Fusion verbleibt ein instabiles Bewegungssegment. Die
daraus resultierende segmentale Kyphosierung führt meist zu einer Heilung in Fehlstellung,
die sich ungünstig auf die Statik der Halswirbelsäule auswirkt und die mechanische
Beanspruchung der Anschlusssegmente verstärken kann. Daher wird allgemein eine intervertebrale
Spondylodese unter Erhalt/Rekonstruktion der Bandscheibenraumhöhe nach Diskektomie
empfohlen.
Lange Zeit wurde der autologe trikortikale Beckenkammspan als Standardtransplantat
genutzt, um eine intervertebrale Fusion zu erreichen. Probleme resultierten aus der
unzureichenden Primärstabilität des Beckenkammspantransplantats, sodass Hermann [3] die Verwendung einer zusätzlichen zervikalen Platte empfahl, um Komplikationen bei
Verwendung des Beckenkammspans zu vermeiden. Letztendlich hat sich die Verwendung
einer additiven Platte bei der ventralen Spondylodese zur Versorgung einer traumatischen
HWS-Verletzung durchgesetzt [4].
Mehr und mehr verdrängt wurde der autologe Beckenkammspan durch die Einführung von
metallischen Platzhaltern, die eine hohe Primärstabilität aufweisen und keine Entnahmemorbidität
in der Beckenregion bedingen. Aktuell können Cages verschiedener Designs (z. B. zylindrisch,
boxförmig) aus verschiedenen Materialien (z. B. Titan, PEEK) von den Herstellern bezogen
werden, wobei die Verwendung einer additiven Platte weiterhin als Standard bei der
Frakturversorgung gilt.
Indikation zur ventralen Spondylodese
Indikation zur ventralen Spondylodese
Für Verletzungen mit neurologischen Ausfallserscheinungen verdichten sich die wissenschaftlichen
Hinweise, dass eine zügige Dekompression des Spinalkanals mit nachfolgender adäquater
segmentaler Stabilisation ein verbessertes neurologisches Outcome zur Folge hat [5]. Daher ist die akute traumatische Querschnittslähmung oder eine akute radikuläre
Ausfallserscheinung eine absolute OP-Indikation. Ebenfalls besteht bei bildmorphologisch
instabiler Fraktur eine absolute OP-Indikation, da diese zu einer neurologischen Verschlechterung
des Patienten führen kann. Für die Definition einer Instabilität besteht aktuell kein
allgemeingültiger Konsens, wobei im deutschsprachigen Raum A3-, A4-, B- und C-Verletzungen
typischerweise als instabil angesehen werden. Radiologische Hinweise auf eine Instabilität
ergeben sich gemäß der unten angegebenen Kriterien, für deren Abklärung im Zweifel
funktionsradiologische Untersuchungen der Halswirbelsäule herangezogen werden können.
Instabilitätskriterien gemäß Panjabi et al. [6]:
Prinzipiell können nahezu alle subaxialen HWS-Verletzungen primär über einen ventralen
Zugang versorgt werden, wobei die weichteilschonende Präparation den größten Vorteil
des ventralen Zugangs darstellt. Bei den ventralen Fusionstechniken kann zwischen
einem intervertebralen – meist monosegmentalen – Fusionsverfahren („anterior cervical
decompression and fusion“ – ACDF) und einem mehrsegmentalen Fusionsverfahren unter
Resektion eines oder mehrerer Wirbelkörper („anterior cervical corporectomy and fusion“
– ACCF) unterschieden werden.
Vor- und Nachteile des ventralen Zugangs:
Vorteile:
-
einfache Lagerung (Rückenlage)
-
Zugang weichteilschonend
-
direkte Dekompression bei ventraler Kompression (A3-, A4-Frakturen) möglich
-
kurzstreckige Versorgung möglich
-
segmentale Kyphosekorrektur
-
geringere Komplikationsrate (Blutverlust, Infektionsrate)
Nachteile:
-
temporäre Dysphagie
-
Risiko für Verletzung viszeraler Strukturen (Ösophagus und Trachea)
-
Rekurrensparese oder Horner-Syndrom möglich
-
offene Reposition technisch aufwendig (C-Verletzung)
Kontraindikationen für eine isolierte ventrale Fusion stellen verhakte Luxationsfrakturen
(AOSpine C, F4) dar, die weder geschlossen noch offen über einen ventralen Zugang
reponiert werden können. Eine weitere Frakturentität, die eher primär von dorsal langstreckig
stabilisiert werden sollte, stellen AOSpine-B3-Frakturen bei Morbus Bechterew (siehe
Beitrag „HWS-Frakturen bei ankylosierenden Erkrankungen“ im selbigen Heft) dar.
Das nachfolgende Flussschema ([Abb. 1]) kann Sie – die Kenntnis der korrekten Frakturklassifikation wird vorausgesetzt
– bei der Wahl der geeigneten Operationsstrategie unterstützen.
Abb. 1 Therapieschema der Autoren für AOSpine-A- und -B-Verletzungen sowie geschlossen reponible
C-Verletzungen (grüne Pfeile = ja; rote Pfeile = nein). Aus [2] mit freundlicher Genehmigung von Thieme.
Aufklärung und Operationsvorbereitung
Aufklärung und Operationsvorbereitung
Bei der Aufklärung für eine ventrale Fusion sollte auf die typischen perioperativen
und postoperativen Risiken des gewählten Zugangs/der Versorgungsstrategie eingegangen
werden.
Zu nennende Risiken:
-
Lagerungsschaden
-
Verletzung von Trachea oder Ösophagus
-
intraoperative Blutung (epiduraler Venenplexus, A. carotis, V. jugularis)
-
Nachblutung/Hämatom mit ggf. notfallmäßiger Revisionsindikation
-
Verletzung N. laryngeus recurrens → Stimmbandparese mit Heiserkeit
-
Verletzung des Grenzstranges → Horner-Syndrom
-
Verletzung von Nervenwurzeln/Rückenmark → Radikulopathie/Querschnittsyndrom
-
Eröffnung der Dura → Durafistel
-
selten Wundheilungsstörungen/Wundinfekt
-
Implantatversagen/Lockerung der Implantate
-
Pseudarthrose
-
Anschlusssegmentproblematik
-
Reststenose der Neuroforamina
Für die Operation werden die Patienten meist oral intubiert. Da der Beatmungsschlauch
nach kranial über den Kopf geführt werden sollte, ist die Verwendung eines Spiraltubus
zu empfehlen, um das Abknicken des Tubus mit nachfolgenden Beatmungsproblemen zu vermeiden.
Zusätzlich ist eine Cuffdruckmessung notwendig, um den Cuffdruck intraoperativ regulieren
zu können. Bei hochinstabiler Fraktursituation sollte ggf. videolaryngoskopisch intubiert
werden, um die Halswirbelsäule so wenig wie möglich zu manipulieren. Bei Intubationsschwierigkeiten
kann der ggf. anliegende Stiffneck geöffnet oder auch entfernt werden, wobei der Kopf
dann manuell immobilisiert werden muss. Alternativ kann eine fiberoptische Wachintubation
geplant werden. Es sollte immer eine Magensonde eingelegt werden, um den Ösophagus
intraoperativ tasten zu können und dessen Lage im Zugang zu verifizieren.
Merke
OP-Tipp: Zur Reduktion des Risikos für eine Ösophagusverletzung sollte der Ösophagus
durch eine Magensonde geschient werden. Dadurch kann dieser intraoperativ leichter
identifiziert und geschont werden.
OP Technik
Lagerung
Für die ventrale Spondylodese wird der Patient in Rückenlage gelagert. Wichtig dabei
ist eine ausreichend stabile Lagerung des Kopfes. Bei hochinstabilen Halswirbelsäulenverletzungen
erbringt die Lagerung in einer Mayfield-Klemme die höchste Stabilität. Alternativ
kann in einer Kopfschale oder auch in einem Kopfring ([Abb. 2 a]) gelagert werden. Eventuell noch anliegende Orthesen sind zu entfernen. Wenn frakturbedingt
möglich, sollte die Halswirbelsäule in physiologischer Lordose eingestellt werden,
um die Halswirbelsäule später nicht in kyphotischer Fehlstellung zu fusionieren. Nach
erfolgter Lagerung sollte zeitnah eine Stellungskontrolle mittels eines Bildverstärkers
(BV) sowohl im seitlichen als auch im a.–p. Strahlengang erfolgen, um die adäquate
Lagerung und achsgerechte Stellung der Halswirbelsäule zu verifizieren. Die seitliche
Durchleuchtung der unteren Halswirbelsäule kann durch die Überprojektion des Schultergürtels
erschwert sein. Hier können die Arme ggf. vorsichtig mittels Zugeinrichtung oder Pflasterzügelung
nach kaudal gezogen werden, um eine ausreichende intraoperative Visualisierung der
subaxialen Halswirbelsäule im seitlichen Strahlengang zu ermöglichen ([Abb. 2 b]).
Abb. 2 a Rückenlagerung im Kopfring mit reklinierter Halswirbelsäule. b Seitliche Durchleuchtung der HWS mit Zug an den Armen über eine Pflasterzügelung.
Zugang
Der anterolaterale (ventrale) Zugang ist der Standardzugang zur Versorgung von Halswirbelsäulenverletzungen.
Dieser Zugang erfolgt weichteilschonend streng medial des M. sternocleidomastoideus,
entlang anatomisch vorgegebener Verschiebeschichten ([Abb. 3]). Der Hautschnitt kann horizontal ([Abb. 4]) ausgehend von der Mittellinie bis zum M. sternocleidomastoideus in Projektion auf
das destruierte Bewegungssegment (Cloward-Zugang) oder auch longitudinal direkt am
Vorderrand des M. sternocleidomastoideus erfolgen (Smith-Robinson-Zugang). Der Cloward-Zugang
eignet sich bei monosegmentalen und bisegmentalen Pathologien und ergibt das kosmetisch
günstigere Ergebnis. Bei bi- oder vor allem bei multisegmentalen Pathologien sollte
der Smith-Robinson-Zugang gewählt werden, da sich dieser unproblematisch nach kranial
oder kaudal erweitern lässt.
Abb. 3 Darstellung der Wirbelkörpervorderfläche per linksseitigem Smith-Robinson-Zugang.
Aus [2] mit freundlicher Genehmigung von Thieme.
Abb. 4 a Planung des horizontalen linksseitigen Cloward-Zugangs medial des M. sternocleidomastoideus.
b Situs nach Hautschnitt.
Ob der Zugang von links oder rechts durchgeführt wird, obliegt der klinischen Erfahrung
und Präferenz des Chirurgen. Nach erfolgtem Hautschnitt, subtiler Blutstillung und
Eröffnung des Platysmas sollten die weitere Präparation und Dissektion stumpf erfolgen,
um das Risiko für die Verletzung vaskulärer, viszeraler und neuraler Strukturen zu
reduzieren. Dabei ist es hilfreich, nach Identifikation des M. sternocleidomastoideus
([Abb. 5 a]) die Trachea und den Ösophagus mit einem Haken (z. B. Zenker-Haken) nach medial
zu mobilisieren und die A. carotis zu tasten. Diese Arterie muss dabei zwingend lateral
des Präparationsfeldes getastet und belassen werden.
Abb. 5 a Situs nach Eröffnung des Platysmas mit Darstellung des M. sternocleidomastoideus.
b Situs nach stumpfer Präparation und Darstellung des ventralen Anteils der Halswirbelsäule.
Bei korrekter Präparation kann dann in der Tiefe der ventrale Anteil der Halswirbelsäule
getastet werden ([Abb. 5 b]). Gegebenenfalls muss die darüber liegende tiefe Halsfaszie mit der Schere eröffnet
werden. Bei der Exposition empfiehlt es sich, das kranial und kaudal der Läsion gelegene
Segment ebenso zu exponieren, um die Retraktionskräfte zu reduzieren und das spätere
Anbringen der Platte zu erleichtern. Danach sollte der ventral auf der Halswirbelsäule
liegende M. longus colli beidseits vorsichtig von medial mobilisiert werden, um den
Weichteilsperrer darunter platzieren zu können ([Abb. 6 a]). Da auf dem Muskel sympathische Nervenfasern verlaufen, sollte die Verwendung von
monopolarem Strom oder eine ausgedehnte bipolare Koagulation vermieden werden. Eine
Läsion dieses sympathischen Nervengeflechtes kann ein temporäres oder ggf. dauerhaftes
Horner-Syndrom zur Folge haben.
Merke
OP-Tipp: Die Anpassung und Reduktion des Cuffdruckes nach dem Einbringen der Weichteilsperrer
kann die Häufigkeit einer Rekurrensparese reduzieren [7].
Bei korrektem Zugang sollte abschließend das Gefäß-Nerven-Bündel (A. carotis, V. jugularis,
N. vagus) lateral des Zugangs gelegen sein und sich die Trachea wie auch der durch
eine Magensonde geschiente Ösophagus medial des Zugangs tasten lassen.
Cave
Cave: Eine Präparation lateral der A. carotis und spätere Retraktion nach medial erhöht
das Risiko für eine Gefäß-/Nerven-Verletzung und kann eine Minderdurchblutung des
Gehirns bzw. einen Schlaganfall bedingen.
Durch Einbringen jeweils eines Steinmann-Pins kranial und kaudal des verletzten Segmentes
(ACDF) oder kranial und kaudal des verletzten Wirbelkörpers (ACCF) und Verwendung
eines Distraktors (z. B. Caspar-Distraktor) kann die spätere segmentale Dekompression
vereinfachen. Die Caspar-Pins sollten streng in der Mittellinie eingebracht werden,
damit das Bohrloch nicht mit den späteren Schraubenkanälen der Platte konkurriert.
In den meisten Fällen ist eine parallele Ausrichtung der Pins zum Bandscheibenraum
zu empfehlen, um ein paralleles Aufspreizen des Bandscheibenraumes zu ermöglichen
([Abb. 6 b]).
Abb. 6 a Situs nach Einbringen des Weichteilsperrers unterhalb des M. longus colli. b Situs nach zusätzlichem Einbringen des Caspar-Sperrers.
Cave
Cave: Eine segmentale Überdistraktion – insbesondere bei diskoligamentärer Instabilität
– sollte vermieden werden!
Dekompression
Die ventrale Dekompression lässt sich am besten unter Verwendung eines Mikroskops
oder alternativ unter Verwendung einer Lupenbrille durchführen. Die Autoren präferieren
die Verwendung des Mikroskops wegen der hervorragenden Ausleuchtung des Operationsfeldes
und der entsprechenden optischen Vergrößerung. Im Weiteren empfiehlt sich die Verwendung
des Mikroskops auch unter Ausbildungskriterien, da Operateur und Assistent das Gleiche
sehen. Im Gegensatz dazu hat bei Verwendung einer Lupenbrille nur der Operateur einen
adäquaten Einblick in den Operationssitus.
Bei geplanter ACDF ist zur ventralen Dekompression des Myelons häufig eine Diskektomie
ausreichend (A3-Fraktur, B2- und C-Verletzung mit ventraler A0-, A1- oder A3-Komponente).
Liegt eine A4-Fraktur oder eine B2-/C-Verletzung mit ventraler A2- und/oder A4-Komponente
vor, ist meist eine Korporektomie notwendig, die ggf. auch über mehrere Wirbelkörper/Segmente
erfolgen kann.
ACDF
Falls die Bandscheibe nicht schon durch die Verletzung zerrissen ist, wird diese mit
dem 11er-Skalpell zunächst kaudal und dann kranial eröffnet ([Abb. 7 a]). Dabei sollte von der Mittelinie bis zum linken und rechten Processus uncinatus
geschnitten werden, wobei der Processus uncinatus eine Eröffnung des lateralen Anulus
bzw. eine Läsion der Vertebralarterie verhindert. Es sollte nicht tiefer als 10 mm
inzidiert werden, um eine akzidentelle Eröffnung der Dura zu verhindern. Anschließend
wird die Bandscheibe mittels Fasszange, scharfem Löffel und Kürette entfernt. Dabei
sollte auch der knorpelige Überzug der Endplatten entfernt werden, bis petechiale
Blutungen auftreten. Anschließend muss noch die Hinterkante des frakturierten Wirbelkörpers
unterschnitten werden, falls eine relevante spinale Stenose besteht. Ob eine Eröffnung
des hinteren Längsbandes notwendig ist, hängt vom Ausmaß der Spinalkanalstenose, ggf.
intraspinal liegenden Bandscheibensequestern oder vom Vorhandensein eines intraspinalen
Hämatoms ab. Können diese Pathologien z. B. im MRT sicher ausgeschlossen werden, muss
das hintere Längsband nicht zwingend eröffnet werden. Im Zweifelsfall ist eine Eröffnung
des hinteren Längsbandes und die chirurgische Spinalkanal-Clearance zu empfehlen ([Abb. 7 b]). Bei Radikulopathie aufgrund einer frakturbedingten Enge des Neuroforamens ist
zusätzlich eine Unkoforaminotomie notwendig, um den Spinalnerv von ventral zu entlasten.
Abb. 7 a Inzision der Bandscheibe mit dem Skalpell. b Situs nach Eröffnen des hinteren Längsbandes mit Darstellung der unverletzten Dura.
Cave
Cave: Bei der Unkoforaminotomie sollte beachtet werden, dass die A. vertebralis im
Foramen transversarium durch knöcherne Fragmente verletzt sein kann, aber auch iatrogen
eine Verletzung möglich ist.
Bei möglicherweise auftretenden venösen epiduralen Blutungen sollte eine sichere und
schnelle Blutstillung oberste Priorität haben. Hier kann eine epidurale Instillation
von Wasser, die vorsichtige bipolare Koagulation oder temporäre Einlage von Hämostyptika
mit Hirnwatte zu einer Blutstillung führen. Bei persistierender venöser Blutung kann
ein injizierbares Hämostyptikum (z. B. FloSeal®) verwendet werden, um eine schnelle und sichere Blutstillung zu erreichen. Abschließend
sollte eine vollständige Dekompression des Spinalkanals und des Neuroforamens mit
dem Tasthaken unter seitlicher Durchleuchtung dokumentiert werden.
ACCF
In Analogie zur Dekompression bei der ACDF erfolgt bei geplanter Korporektomie zunächst
die Entfernung der kranialen und kaudalen Bandscheibe inklusive Dekompression der
Hinterkante, falls möglich. Danach kann der zerstörte Halswirbel mittels Luer, Stanze
oder Fräse bis auf die Hinterkante abgetragen werden. Die Hinterkante kann dann entweder
mit der Stanze oder der Diamantfräse entfernt werden, wonach der Spinalkanal ausreichend
dekomprimiert sein sollte. Fakultativ kann dann noch eine Foraminotomie durchgeführt
werden, sollte eine relevante knöcherne Foramenstenose bestehen. Die Seitenwände des
frakturierten Wirbelkörpers können i. d. R. in situ verbleiben. Eventuell bestehende
venöse Blutungen aus der Restspongiosa können gut mit der Diamantfräse gestoppt werden.
Abb. 8 Axialer CT-Schnitt mit Kontrastmitteldarstellung der A. vertebralis und Demonstration
der Nähe der Vertebralarterie zur Wirbelkörperseitenwand.
Cave
Cave: Bei eventuell geplanter Resektion der Seitenwände des frakturierten Wirbelkörpers
sollte die anatomische Nähe der Vertebralarterie bedacht werden, die direkt neben
der Seitenwand des Wirbelkörpers verläuft ([Abb. 8]).
Implantate
Die Spondylodese kann entweder intersegmental (mono-, bi- oder auch multisegmental)
mittels Cage und additiver ventraler Platte erfolgen ([Abb. 9] und [10]). Wichtig dabei ist die korrekte Einstellung der segmentalen Lordose. Dafür sollten
entsprechend lordotisch geformte Cages gewählt und die ventrale Platte zusätzlich
lordotisch vorgebogen werden. Bei ventraler kompletter Berstung (AOS A4) oder mehrsegmentaler
Operation mit Notwendigkeit zur Korporektomie können metallische Wirbelkörperersatzimplantate
(z. B. expandierbare Cages) mit zusätzlicher ventraler Platte verwendet werden ([Abb. 11]). Alternativ kann anstatt metallischer Cages auch ein autologes trikortikales Beckenkammspantransplantat
verwandt werden. Aufgrund der Entnahmemorbidität und der unzureichenden mechanischen
Primärstabilität wird zunehmend auf die Verwendung von autologen Knochenspänen verzichtet.
Abb. 9 42-jähriger neurologisch unauffälliger Patient nach Sportunfall. a Nativradiologische Darstellung einer Spondylolisthese HWK VI/VII. b CT-Darstellung der unilateralen Facettengelenksfraktur HWK VI/VII. c Nativradiologische Verlaufskontrolle 6 Monate nach Reposition und ventraler Spondylodese
per ACDF.
Abb. 10 35-jährige Patientin mit Contusio spinalis nach Fahrradsturz. a Nativradiologische Darstellung der Dornfortsatz-/Laminafraktur HWK V + VI. b Sagittale CT-Rekonstruktion, roter Pfeil: Spondylchondrose mit Retrospondylophyt.
c MRT mit Darstellung einer spinalen Stenose sowie Darstellung der Verletzung des vorderen
Längsbandes HWK VI/VII. d Röntgenverlaufskontrolle 12 Monate nach bisegmentaler ventraler Fusion (ACDF).
Abb. 11 19-jähriger Patient nach Motorradunfall mit komplettem Querschnitt ASIA A bei HWS-Mehretagenverletzung.
a Frakturmorphologie im CT. b Zustand nach primärer Korpororektomie und WK-Ersatz HWK IV+V. c Zustand nach dorsaler additiver Fusion HWK III – VI. d MRT nach 12 Monaten mit Darstellung des frakturbedingten Myelonschadens.
Nach Beendigung der Dekompression werden dann Probe-Cages unter seitlicher Röntgenkontrolle
vorsichtig in den Diskektomie-/Korporektomiedefekt eingebracht, um die adäquate Implantatgröße
zu bestimmen. Eine Überdistraktion durch einen zu hohen Cage sollte hierbei vermieden
werden. Nach Auswahl des geeigneten Implantats und wird dieses auf dem Cage-Halter
montiert. Die Cages können mit dem bei der Dekompression gewonnenen autologen Knochenmaterial
gefüllt werden bzw. dieses kann in der Korporektomiesituation lateral der Cages für
die ventrale Spondylodese angelagert werden. Ist nicht genügend autologer Knochen
vorhanden, ergibt die Füllung der Cages mit z. B. mit β-Trikalziumphosphat ebenso
hervorragende Fusionsergebnisse [8].
Anschließend wird der Cage unter seitlicher Röntgenkontrolle bis zum gewünschten Sitz
in den Diskektomie-/Korporektomiedefekt eingebracht. Wirbelkörperersatzimplantate
werden ggf. expandiert, um den Defekt adäquat zu überbrücken. Auch hier sollte wiederum
eine Überdistraktion vermieden werden. Anschließend wird der Cage-Halter entfernt
und ebenso der Caspar-Distraktor demontiert. Anschließend sollte die korrekte Implantatlage
auch im a.–p. Strahlengang dokumentiert werden.
Cave
Cave: Ein zu tiefes Einbringen (Überschreitung der Hinterkante) sollte unbedingt vermieden
werden, um eine Kompression des Duralsackes zu vermeiden. OP-Tipp: Venöse Blutungen
aus den Bohrlöchern für die Caspar-Pins können mit Knochenwachs zügig gestoppt werden.
Nach dem Einbringen des Cages sollte eine zusätzliche ventrale Platte aufgebracht
werden, um das Bewegungssegment/die Bewegungssegmente zu stabilisieren. Diese wird
entweder mit mono- oder bikortikalen Schrauben sicher im Knochen verankert. Bei Verwendung
einer winkelstabilen Platte-Schrauben-Verbindung hat sich die monokortikale Schraubenplatzierung
bewährt [9], [10].
Wichtig ist die Auswahl einer geeigneten Länge der Platte, die nicht mit dem angrenzenden
Bandscheibenraum interferieren sollte. Empfohlen wird hier, einen Abstand von ca.
2 – 3 mm bis zum angrenzenden Bandscheibenraum einzuhalten. Um auch in der Frontalebene
eine adäquate Ausrichtung der Platte sicherzustellen, wird die temporäre Plattenfixierung
mit mindestens 2 Spikes und anschließender a.–p. BV-Kontrolle vor definitiver Bohrung
und Verschraubung der Platte empfohlen. Die Bohrung sollte dann mit entsprechenden
Bohrern mit Tiefenanschlag unter seitlicher BV-Kontrolle erfolgen, um eine adäquate
Trajektorie der Bohrung sicherzustellen.
Dann wird der Situs gespült und der Weichteilsperrer vorsichtig entfernt. Abschließend
erfolgen die Überprüfung und Dokumentation der korrekten Lage der Instrumentation
und des korrekten Alignments der Halswirbelsäule in 2 Ebenen mittels BV.
Wundverschluss
Die Autoren empfehlen standardmäßig eine prävertebrale Redon-Drainage einzulegen,
die ggf. an der Haut angenäht werden sollte. In Abhängigkeit der Blutungssituation
kann diese entweder als Sog- oder als Ablaufdrainage verwendet werden. Die Wunde wird
mehrschichtig verschlossen, wobei für das Platysma und die Subkutis ein resorbierbares
Nahtmaterial verwandt wird. Der Hautverschluss erfolgt dann entweder mittels Klebung
(z. B. Dermabond®) oder Naht, wobei die intrakutane Naht ein kosmetisch besseres Ergebnis im Vergleich
zur Donati-Rückstichnaht ergibt.
Ventrale Fusion bei verhakter Facettengelenksluxation (AOSpine C, F4)
Ventrale Fusion bei verhakter Facettengelenksluxation (AOSpine C, F4)
Frakturen mit Translation werden als C-Verletzungen klassifiziert. Um die Fusion in
achsgerechter Stellung zu ermöglichen, ist die adäquate Reposition zwingend erforderlich.
Vor Reposition ist die Durchführung einer MRT-Untersuchung zu empfehlen, um nach einem
Bandscheibensequester zu fahnden. Dieser könnte im Rahmen der Reposition zu einer
Myelonkompression führen und eine neurologische Verschlechterung bedingen. Unterschieden
werden muss zwischen geschlossen reponierbaren und geschlossen nicht reponierbaren
Verletzungen ([Abb. 12]). Nach erfolgreicher geschlossener Reposition ist die standardisierte ventrale Dekompression
und Fusion möglich, die in Abhängigkeit von der ventralen Destruktion per ACDF (ventral
A3-Fraktur) oder per ACCF (ventral A4-Fraktur) erfolgen kann. Durch die ventrale Dekompression
kann ein potenzieller intraspinaler Bandscheibensequester in den meisten Fällen unkompliziert
entfernt werden. Häufig ist aber aufgrund der ausgeprägten dorsalen ligamentären Instabilität
noch eine additive dorsale Zuggurtung notwendig. Diese kann einzeitig oder zweizeitig
durchgeführt werden.
Abb. 12 Behandlungsschema der Autoren bei verhakten Luxationsfrakturen (AOS C). Aus [2] mit freundlicher Genehmigung von Thieme.
Bei geschlossen nicht reponierbarer Fraktur muss eine offene Reposition durchgeführt
werden ([Abb. 13 a, b]). Diese kann, je nach Erfahrung des Operateurs, von ventral oder von dorsal durchgeführt
werden.
Abb. 13 38-jährige Patientin nach Pferdesturz mit inkomplettem Querschnitt ASIA B bei HWK-VI/VII-Luxation
und nebenbefundlicher idiopathischer Skoliose. a Sagittale CT-Rekonstruktion mit bilateral luxierten und verhakten Facetten. b Gescheiterter Versuch der geschlossenen Reposition. c Verlauf der erfolgreichen offenen Reposition. d Röntgen der HWS nach ACDF. e MRT postoperativ mit Darstellung der insuffizienten dorsalen Zuggurtung. f HWS-Röntgenbild nach additiver dorsaler Zuggurtung (7 Monate Follow-up) bei komplett
rückläufiger Neurologie (ASIA E). Aus [2] mit freundlicher Genehmigung von Thieme.
Die größte Sicherheit für den Patienten ergibt sich bei primär ventralem Zugang und
zunächst Durchführung der Diskektomie und Spinalkanal-Clearance. Daran sollte sich
der Versuch der ventralen Reposition anschließen, wobei die Kompression divergierend
eingebrachter Caspar-Pins ([Abb. 13 c]) und die Flexion der HWS unter moderatem Längszug hilfreich sind. Ist die offene
ventrale Reposition erfolgreich, kann primär zunächst nur von ventral mittels Cage
und Platte fusioniert werden. In Abhängigkeit von Frakturausmaß, Distension der Facettengelenke
und Ausmaß der residualen Instabilität kann eine additive dorsale Zuggurtung ein-
oder zweizeitig durchgeführt werden ([Abb. 13 d] – [f]). Ist die ventrale Reposition nicht erfolgreich, ist nach Diskektomie die dorsale
Reposition und ggf. Stabilisation durchzuführen. Danach sollte erneut von ventral
zugegangen werden, um den Spinalkanal auszutasten und die Stabilisation/Fusion mittels
Cage und additiver Platte zu vollenden. Das folgende Fließschema wird vonseiten der
Autoren bei verhakten Luxationen verwandt.
Nachbehandlung
In Abhängigkeit von der Frakturmorphologie und vom Ausmaß der Instabilität der dorsalen
Säule ist die Indikation zur additiven dorsalen Zuggurtung zu evaluieren. Als mögliche
Indikation für eine additive dorsale Fusion nach ACDF/ACCF gelten [1], [2]:
-
Hyperflexionsverletzung mit segmentaler Restkyphose
-
Überdistraktion der Facettengelenke
-
inadäquate Knochenqualität
-
mehrsegmentale Korporektomie und WK-Ersatz
-
primär ventrale Versorgung von Verletzungen bei ankylosierender Erkrankung der HWS
Bei geplanter zweizeitiger Versorgung sollte in diesen Fällen ggf. überbrückend eine
Zervikalorthese verordnet werden. In allen anderen Fällen wird mit der operativen
ventralen Versorgung eine übungsstabile Situation angestrebt. Eine Zervikalorthese
ist bei stabiler Versorgung daher nicht erforderlich. Die Mobilisation des Patienten
beginnt, soweit bei potenziellen Begleitverletzungen möglich, am 1. postoperativen
Tag. Eine tägliche Wundkontrolle ist erforderlich.
Cave
Cave: Sollte eine Sogdrainage verwandt worden sein, sollte vor Entfernung der Sog
neutralisiert werden, um vaskuläre Komplikationen (Nachblutung) zu vermeiden.
Während der ersten 6 Wochen sollte zur Unterstützung der knöchernen Fusion jegliche
die Halswirbelsäule mobilisierende Krankengymnastik unterbleiben. Eine Röntgenkontrolle
ist spätestens nach 12 Wochen zu empfehlen, um eine Implantatkomplikation auszuschließen.
Sollte nativradiologisch der Verdacht auf eine Implantatkomplikation aufkommen, ist
eine computertomografische Diagnostik (CT) zu empfehlen. Routinemäßige CT-Verlaufskontrollen
zur Dokumentation des Fusionsstatus werden aus Gründen des Strahlenschutzes nicht
empfohlen. Nach spätestens 12 Wochen kann der Patient dann die Halswirbelsäule zunehmend
belasten, und es kann eine aktive Krankengymnastik verordnet werden.
Komplikationen
Bei Komplikationen nach ventraler Spondylodese an der HWS kann zwischen intraoperativen
und postoperativen Komplikationen unterschieden werden.
Intraoperative Komplikationen
Parese des N. laryngeus recurrens
Dieser Nerv ist während der Präparation beim Zugang und durch den intraoperativen
Druck des Retraktors gefährdet. Patienten mit einer Läsion des N. laryngeus recurrens
klagen postoperativ über Heiserkeit, und es stellt sich ein einseitiger Stimmbandstillstand
bei der Laryngoskopie dar. Die Häufigkeit von temporären Beschwerden wird in der Literatur
mit 11% und von permanenten Beschwerden mit 2 – 8% angegeben [7], [11]. Ob die Wahl der Zugangsseite die Rate der Nervenläsionen reduzieren kann, wird
seit Langem kontrovers diskutiert. Der Zugang von rechts ist aber zumindest theoretisch
mit einer höheren Rate von Läsionen des N. laryngeus recurrens vergesellschaftet.
Andererseits können Druckläsionen bei zu hohem Cuffdruck ebenfalls zu einer Störung
des N. laryngeus recurrens führen. Daher sollte nach dem Platzieren der Weichteilsperrer
der Tubuscuff kurzzeitig entblockt und dann mit maximal 20 – 25 mmHg geblockt werden,
um eine optimale Lage des Tubuscuffs und eine günstigere Druckverteilung zu erreichen.
Die Rate von postoperativen Rekurrensparesen kann dadurch verringert werden [7].
Horner-Syndrom
Eine intraoperative Läsion des sympathischen Grenzstranges kann zu dem selten postoperativ
auftretenden Symptomkomplex von Miosis, Ptosis und Enophthalmus (Horner-Syndrom) führen
[12], [13]. Ursächlich ist meist eine zu ausgedehnte mono- oder bipolare Koagulation auf dem
M. longus colli, auf dessen lateralem Rand das sympathische Nervengeflecht verläuft.
Zur Prophylaxe sollte nicht mit monopolarem Strom im Bereich des M. longus colli gearbeitet
werden, die bipolare Blutstillung sollte sparsam erfolgen und der Muskel nur schonend,
ausgehend vom medialen Rand, nach lateral mobilisiert werden.
Querschnittlähmung
Sowohl die Lagerung des Patienten als auch potenzielle Repositionsmanöver sollten
nur sehr vorsichtig und unter regelmäßigen BV-Kontrollen durchgeführt werden, um eine
potenzielle Kompression des Rückenmarks zu vermeiden bzw. frühzeitig zu detektieren.
Ebenso sollte das Einbringen der Implantate radiologisch überwacht werden, um eine
Implantatfehllage zu weit dorsal im Spinalkanal mit Myelonkompression zu verhindern.
Nach notwendiger Frakturreposition (C-Verletzung) ist eine intraoperative Clearance
des Spinalkanals und ggf. eine notwendige Entfernung von intraspinal verschleppten
Bandscheibensequestern obligat.
Vaskuläre Läsion
Intraoperative arterielle Gefäßverletzungen (z. B. der A. vertebralis) mit nachfolgenden
Blutungen sind selten und werden in der Literatur mit 0,3 – 0,5% angegeben [14], [15]. Verletzungsmöglichkeiten sind insbesondere bei vollständiger Korporektomie im Bereich
der Seitenwand gegeben. Verletzungen der A. carotis sind bei zu weit lateraler Fehlpräparation
oder Gefäßverletzungen durch den Weichteilsperrer möglich. Daher sollte der Sperrer,
wenn möglich, unterhalb des M. longus colli sicher platziert werden. Venöse Blutungen
treten vor allem im Rahmen der spinalen/foraminalen Dekompression auf, bei denen es
durchaus heftig aus dem epiduralen Venenplexus bluten kann. Zur Blutstillung wird
die Verwendung von Hämostyptika (z. B. fibrinbeschichtete Vliese oder topisch applizierbare
Hämostyptika) sowie ggf. eine temporäre lokale vorsichtige Kompression empfohlen.
Viszerale Läsionen
Läsionen des Ösophagus oder des Pharynx/der Trachea sind selten und werden mit einer
Inzidenz von bis zu 0,4% bei hoher Mortalität von 20 – 50% in der Literatur beschrieben
[11], [16], [17], [18]. Diese können präparatorisch, durch den Druck des einliegenden Weichteilsperrers
oder auch durch eine direkte Verletzung (z. B. mit der Fräse) entstehen. Nach entsprechender
anatomischer Präparation sollte, wie zur Prävention von vaskulären Läsionen, der Weichteilsperrer
unterhalb des M. longus colli platziert werden.
Postoperative Komplikationen
Hämatom
Ein postoperatives Hämatom stellt eine relevante Komplikation dar und wird in der
Literatur mit einer Inzidenz von bis zu 5,6% angegeben [11], [19]. Durch die unmittelbare Nachbarschaft zu Ösophagus und Pharynx/Trachea kann sich
eine lebensbedrohliche Verlegung des Atemweges entwickeln, was eine sofortige Entlastung
des prävertebralen Hämatoms – ggf. noch vor Intubation – mit anschließender operativer
Revision erfordert. Somit sollten die Patienten postoperativ streng hinsichtlich der
Zeichen eines sich entwickelnden prävertebralen Hämatoms überwacht werden. Insbesondere
werden ein zunehmender Halsumfang, Globusgefühl, zunehmende Schluckstörungen oder
ein zunehmender inspiratorischer Stridor mit subjektiver Atemnot als dringliche Indikation
für eine frühzeitige Revision – auch ohne vorherige Bildgebung – gesehen. Ursächlich
ist meist eine diffuse Blutung, daher wird bei der operativen Revision selten eine
lokalisierte Blutung gefunden. Als wesentliche Prophylaxe einer postoperativen Nachblutung
ist die sorgfältige intraoperative Blutstillung wie auch die Einlage einer prävertebralen
Redon-Drainage zu empfehlen.
Im frühen postoperativen Verlauf ist eine neurologische Verschlechterung (z. B. Tetraparese/-plegie)
durch ein sich entwickelndes epidurales Hämatom möglich. Auch hier ist eine sofortige
Revision zu empfehlen. War der Patient direkt postoperativ neurologisch intakt, kann
aus Gründen der Zeitersparnis auf eine vorherige Bildgebung verzichtet werden, da
ein kompressiv wirkendes Epiduralhämatom hochwahrscheinlich ist.
Infektion
Infektiöse Wundheilungsstörungen nach ventraler Spondylodese sind selten. Bei Nachweis
einer Wundinfektion sollte vor der Revision wie auch intraoperativ eine potenzielle
viszerale Läsion (z. B. Ösophagusfistel) als Ursache der Infektion ausgeschlossen
werden [20].
Cave
Cave: Eine übersehene Ösophagusperforation als Ursache einer Wundinfektion stellt
unbehandelt eine potenziell lebensbedrohliche Komplikation dar.
Implantatversagen/Pseudarthrose
Die Pseudarthroserate kann insbesondere bei mehrsegmentaler Fusion durch die Verwendung
von additiven Platten reduziert werden [21]. Ein Implantatversagen ist bei unzureichender Knochenqualität (z. B. Osteoporose),
segmentale Instabilität bei Überdistraktion oder insuffizienter dorsaler Zuggurtung
(AOSpine B2- oder C-Verletzung) möglich ([Abb. 14]).
Abb. 14 Zum Unfallzeitpunkt 14-jährige Patientin nach Kopfsprung ins flache Wasser mit inkomplettem
Querschnitt ASIA C bei HWK-IV/V-Hyperflexionsverletzung. a Sagittale CT-Rekonstruktion mit Nachweis der segmentalen Kyphose und eines Ausrisses
des hinteren Längsbandes. b Natives Röntgenbild nach ACDF mit persistierender Kyphose und nur 50% Überdeckung
der Facettengelenke. c Progrediente Nackenschmerzen und Nachweis eines Schraubenbruches mit persistierender
Instabilität im Funktionsröntgen 4 Jahre nach Erstversorgung. d Darstellung der Fehlheilung (Pseudarthrose) im CT. e Röntgenbild nach ventrodorsoventraler Revision. f CT-Kontrolle 2 Jahre post-OP und Darstellung der vollständigen Fusion HWK III – V
sowie einer asymptomatischen Anschlussdegeneration HWK III/IV.
Fazit
Mittels ventraler Spondylodese können nahezu alle traumatischen Pathologien an der
Halswirbelsäule versorgt werden. Ziel der Behandlung ist eine übungsstabile Versorgung,
die in einer sicheren und dauerhaften Überbrückung des verletzten Bewegungssegmentes
münden sollte. Nach adäquater Reposition und ventraler Diskektomie über einen weichteilschonenden
ventralen Zugang kann dieses Ziel heutzutage durch die Kombination eines intervertebralen
Platzhalters und zusätzlicher ventraler Plattenfixierung komplikationsarm erreicht
werden.